Barnier
Soll Ruhe in den derzeit geradezu hysterischen Politbetrieb Frankreichs bringen: Michel Barnier / dpa

Neuer Premier Michel Barnier - „Der französische Joe Biden“

Mit dem Konservativen Michel Barnier bekommt Frankreich nach 50 Tagen ohne Regierung wieder einen Premier. Seine erste Aufgabe: Politische Stabilität schaffen – und die EU-Instanzen mit einem seriösen Haushalt beschwichtigen.

Stefan Brändle

Autoreninfo

Stefan Brändle ist Frankreich-Korrespondent mit Sitz in Paris. Er berichtet regelmäßig für Cicero.

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Am Schluss ging alles sehr schnell. Am Mittwochabend hatten sich Präsident Emmanuel Macron und Michel Barnier zu einem trauten Nachtessen im Elysée-Palast getroffen; wenige Stunden später galt der 73-jährige Konservative aus der Alpenregion Savoyen als gesetzt für den Premierposten. Vor ihm hatte Macron vier andere Namen mit gezielten Indiskretionen getestet – und für ungeeignet befunden: den Sozialdemokraten Bernard Cazeneuve, den Sozialaktivisten Thierry Beaudet, den Liberalen David Lisnard und den Konservativen Xavier Bertrand.

Barnier ist, wenn man böse sein wollte, insofern nur fünfte Wahl. Macron griff auf ihn zurück, weil er als erfahrener, wenig profilierter Konsenspolitiker gilt. Als solcher hat er etwas bessere Überlebenschancen als die übrigen Premierkandidaten. Das rechte Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen hatte offen gedroht, die Favoriten Cazeneuve und Bertrand in der obligatorischen Vertrauensabstimmung in der Nationalversammlung gleich nach der Regierungsbildung zu Fall zu bringen. Ein solcher Sturz wäre unweigerlich auf Macron zurückgefallen, der seit der verpatzten Ansetzung von Neuwahlen sehr geschwächt ist.

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Henri Lassalle | Sa., 7. September 2024 - 19:39

Der mit dem Segen von Marine Le Pen ins Amt gehievte Regierungschef gilt als konsensuell, hat (erstaunlich!) keine Feinde und verfügt über eine lange, vertiefende Erfahrung als "commis d'état". Er hat eher ein Profil des Ausführenden, nicht des Führenden. Le Pen wird also in gewisser Weise "mitregieren", denn ohne den RN läuft nicht mehr viel.
Barnier muss die Revanchegelüste der Linken domptieren, ihre Fallen sehen und viel Rücksicht auf Le Pen nehmen. Das grosse Problem wird das Budget sein, eine "Quardratur des Kreises" soll erfolgen. Barnier wird wohl nur eine duale Möglichkeit haben: Ausgabenbegrenzung und Steuererhöhungen. Ansonsten droht eine immer stärkere Abhängigkeit von den Kreditgebern.

Dorothee Sehrt-Irrek | Sa., 7. September 2024 - 22:27

Dennoch erinnert er mich in seinem Fleiss und Können an eine anderen großen Konservativen, Wolfgang Schäuble. RIP
Macron sprach auf dessen Gedenkveranstaltung im deutschen Bundestag.
Vielleicht schaffen es ja die französischen Konservativen im Verbund mit dem Staatspräsidenten Macron, der NF mit le Pen staatsbürgerliche Tugenden beizubringen, midestens näher zu bringen?
Die betreffenden Länder mit auch starken rechts-bürgerlichen Parteien legen sich doch politisch teilweise lahm, wenn es nicht irgendwann einen modus vivendi geben wird..?
Zurecht wird das aber in der Bundesrepublik Deutschland sehr lange dauern, davon gehe ich aus.

Markus Michaelis | Sa., 7. September 2024 - 23:50

Das Schlingern des Regierungsschiffs ist doch nicht das Problem, sondern das Schlingern der Gesellschaft. Man steht sich in mehreren unversöhnlichen Gruppen gegenüber - auch noch mit unklaren Fronten.

Maria Arenz | So., 8. September 2024 - 07:56

zeigt den französischen, den intelligenteren Weg, mit dem umzugehen, was man als "Rechtspopulismus" abtut. Allerdings kann er bei uns schon deshalb nicht gegangen werden, weil die deutsche Parteienlandschaft weit und breit niemand aus der Liga Barnier aufzuweisen hat. Nicht nur körperlich überragt er alles, was hierzulande mangels irgendeiner passenden oder auch nur nennenswerten Qualifikation meint, Politik als Beruf ausüben zu sollen. Angefangen von Literaturwissenschaftlern und Kinderbuchschreibern über Hupfdohlen und all die "Politologie "studiert habende Blindwurze, bei denen der weitere Lebenslauf dann beweist, daß es garnicht mehr darauf ankommt, ob und wo und nach wieviel Semestern sie dieses Nonsensfach fertig studiert haben. Und weil das so ist, und diese Bagage weiß, daß sie ihre ziemlich großen Brötchen in der Realwirtschaft nicht verdienen kann, muß Berlin halt auf "Brandmauern" setzen. Die auf Dauer allerdings nicht gegen "sich irrende Wähler" (ZEIT) helfen.

Soweit ich Ihnen auch zustimmen kann, werte Frau Arenz. bei
unseren Politikern hilft auch ein erfolgreich absolviertes Studium,
z. B. Rechtswissenschaften, nichts. Deutlich dürfte dies z. B. im
Vergleich der beiden Präsidenten von Frankreich bzw. Deutschland
werden. Man kann zu den beiden Personen stehen wie man will
und auch die Funktionen sind unterschiedlich angelegt. Aber
selbst unterlegene körperliche Größe, lässt den Franzosen ja fast
wie auf einem Podest stehend, im Vergleich zu unserem BP, erscheinen.

Bei Ihren Aussagen zu den Nonsensfächer und absolut Berufslosen
stimme ich Ihnen zu, aber die Juristen in unserer Regierung
(z. B auch eine bekannte Ex-Ministerin) zeigen ja gerade, auch ein
abgeschlossenes Studium in einem seriösen Fachgebiet hilft nicht
gegen den zu fabrizierenden Unsinn.

Wie der neuen Mann, Barnier, wirken wird, wird man sehen müssen,
aber ein vergleichbares Kaliber haben wir wohl in Deutschland
tatsächlich nicht vorzuweisen, alles wurde weggebissen.

MfG

Karl-Heinz Weiß | So., 8. September 2024 - 17:17

Antwort auf von Volker Naumann

@Volker Naumann, Sie sprechen ein wichtiges Thema an: warum ist der Anteil der Juristen bei den Parlamentariern derart hoch ? Jura ist ein anspruchsvolles Fach, vermittelt aber deutlich weniger Wissen über politische Prozesse und Strukturen als Politologie. Im öffentlichen Dienst war früher "Die Menschwerdung begann im höheren Dienst" ein geflügeltes Wort. Besserwisserei und Überheblichkeit sind Juristen nicht wesensfremd.