Fotografie - Das höchste Risiko

Robert Capa oder Das kurze Leben des Kriegsfotografen und der Kriegsfotografie

Der Name Robert Capa steht unter einigen der bekanntesten Kriegsfotos überhaupt. Jeder kennt das Bild aus dem Spanischen Bürgerkrieg: den Soldaten im weißen Hemd, den eben die tödliche Kugel traf, der im Sturz das Gewehr aus der Hand gleiten lässt und vor einem riesig grau aufgespannten Himmel einen scharfen Schatten wirft. Das Foto dieses Todesaugenblicks erschien am 12. Juli 1937 in «Life» und hat gleichsam die Kriegsfotografie ins Leben gerufen. 
 
Von gleicher Kraft und ähnlich emblematisch ist das Foto des Infanteristen Edward K. Regan, das Capa am 6. Juli 1944 im Wasser vor Omaha Beach in der Normandie machte. Auch vor einem grauen Himmel, der in eine bewegte See voll verlassener Landungsboote übergeht, kämpft sich der Soldat ans Land. Das Foto kam am 19. Juni 1944 in «Life» heraus und dokumentierte die ungeheure Dramatik des D-Day in einem zugleich körnigen wie verfließenden Bild.
 
Die dramatischen Augenblicke und historischen Wendepunkte gehören zum überstürzten Leben dieses Robert Capa, das der britische Journalist und Autor Alex Kershaw in einer spannenden, sorgfältig recherchierten Biografie erzählt. Capa kam 1913 in Budapest zur Welt. Seine jüdischen Eltern betrieben einen Schneidersalon, die Kundschaft kam aus besseren Kreisen. Damals hieß Capa noch André Friedmann. 
 
Seine Kindheit zählte bereits Lehrjahre der Unruhe: Krieg, Revolution, Räteherrschaft, Weißer Terror, Pogrome folgten rasch aufeinander. Dies war aber nur der Auftakt zur Biografie eines Mannes, der von Schrecken und Gewalt magisch angezogen wurde. Ein kurzes Liebäugeln des Siebzehnjährigen mit den Kommunisten brachte den Geheimdienst des faschistischen Reichsverwesers Admiral Horthy auf seine Spur. Der Junge hatte Glück und wurde nur des Landes verwiesen. So gelangte Friedmann zunächst 1931 nach Berlin, wo er aus reiner Not zu fotografieren begann. Er erhielt einige kleine Aufträge von der «Deutschen Photoagentur». Seine erste große Serie glückte ihm 1932, als er im Kopenhagener Sportpalast Leo Trotzkij bei einer Rede aus allernächster Nähe aufnahm. Hier kamen ihm die neue Technik der Leica-Kameras mit den austauschbaren Objektiven und kurzen Belichtungszeiten, aber auch die ihm eigene Naivität und Direktheit zugute. 
 
Mit einem neuen Namen in den Bürgerkrieg Nach dem Reichstagsbrand verließ Friedmann Berlin und ging über Wien nach Paris, wo er sich lange Zeit mühsam mit kleinen Fotohonoraren durchschlug. Schließlich kam ihm der Gedanke, sich einen für das Gedächtnis amerikanischer Verleger klangvolleren Namen zuzulegen. Kurz darauf brach der Spanische Bürgerkrieg aus und bot ihm Gelegenheit, mit seinen Fotos auch seinen neuen Namen Robert Capa in viele Zeitschriften zu bringen. 
Capas lakonischer Fotostil kam an, die Aufträge wurden zahlreicher und besser honoriert. Seine von allen Freunden bezeugte Spielernatur, sein mit Leichtsinn gemischter Mut ließen ihn als Kriegsfotograf höchste Risiken eingehen, aber auch höchste Geldsummen beim Poker verlieren. Am Ende des Krieges, den Capa auf Seiten der Republikaner verfolgt hatte, empfing er vom «Life»-Redakteur Wilson Hicks das Gütesiegel: Er sei der «Kriegsfotograf Nr. 1». Inzwischen war er auch in China gewesen und hatte von General Tschiang Kai-scheks Krieg gegen Japan berichtet.
 
Der Weg dieses nervösen Bohemien, der in Spanien Hemingway begegnet war und mit ihm Freundschaft geschlossen hatte, führte 1939 erstmals nach Amerika. Nur mit Glück erhielt er eine Aufenthaltserlaubnis. Er fotografierte für «Life» in Mexiko, wo er Trotzkij als Mordopfer wiedersah, und in London, wo er die deutschen Luftangriffe dokumentieren sollte, aber zu spät kam. 1942 erhielt er von der Zeitschrift «Collier’s» den Auftrag, die geplante Landung der Alliierten in Nordafrika und Frankreich zu begleiten. 
 
Zunächst kam er nach Algerien, wo er die deutsch-italienischen Angriffe gegen die Amerikaner bei El Guettar erlebte. Er verfolgte die Landung der Amerikaner auf Sizilien im Juli 1943. Im September berichtete er wieder für «Life» von der Einnahme Neapels, im Oktober fotografierte er den Philosophen Benedetto Croce beim Interview. Schließlich entschloss er sich im Mai 1944, bei der Landung in der Normandie die Gruppe der ersten Angreifer zu begleiten. Das war das höchste Risiko. 
 
Einzigartige Fotos, in London verdorben Ein paar Tage vor dem entscheidenden Datum feierte er eine heiße Abschiedsparty, bei der auch Hemingway seine Trinkfestigkeit unter Beweis stellte. Dann kam der Abend des 5. Juni. Capa begleitete die Soldaten der 116. Infanteriedivision, die die erste Angriffswelle bildeten. Vom Transportschiff «Samuel Chase», das zu der gewaltigen alliierten Armada gehörte, stiegen die Männer am frühen Morgen in die kleinen Landungsboote, die sie an die Küste brachten, dorthin, wo die deutschen Verbände unter Führung Rommels auf die Invasion warteten. 
 
Hautnah erlebte und fotografierte Capa die Jahrhundertschlacht am Ufer des Atlantik. Die vier Filme, die er unter diesen Umständen belichtete, wurden dann versehentlich in der Londoner Redaktion zum großen Teil verdorben. Lediglich elf Fotos blieben übrig, elf einzigartige Bildzeugnisse der zweiten Kriegsentscheidung nach Stalingrad.PorträtRobert Capa: The Definitive Collection  Phaidon, Berlin 2004.  572 S., 39,95€
 
Alex Kershaw Robert Capa.  Der Fotograf des Krieges Aus dem Englischen von  Olaf M. Roth. Ullstein,  Berlin 2004. 400 S., 24€
Im Zickzack zwischen Front und Bar Das Leben Capas bewegte sich im Zickzack zwischen Kriegsschauplätzen und Bars. Kurz, leidenschaftlich und unstet verliefen auch seine zahlreichen Liebschaften mit berühmten schönen Frauen wie Ingrid Bergman oder Hedy Lamarr. Große Figuren wie William Saroyan, Pablo Picasso, John Huston, Henri Cartier-Bresson begleiteten seinen Weg.
 
Alle diese Gestalten, Szenen und Ereignisse lässt Kershaw in flackernden Bildern vor dem Auge des Lesers vorüberlaufen. Man glaubt gerne, dass der Autor im Begriff ist, ein Drehbuch über das abenteuerliche Leben Capas zu verfassen. Auf diese Idee war Capa schon selbst gekommen, als er 1947 in seinem Buch «Slightly out of focus» die Erlebnisse der Jahre 1942 bis 1945 erzählte. Allerdings machte er dort auch schon Andeutungen, dass man seinen Erzählungen nicht aufs Wort glauben müsste. 
 
So gibt Kershaw, der offenbar alles greifbare Material verarbeitet und eine große Zahl von Freunden und Weggefährten Capas gesprochen hat, auch Zweifeln Raum. Etwa der seit drei Jahrzehnten heiß umstrittenen Frage, ob das berühmte Foto des fallenden Republikaners aus dem Spanischen Bürgerkrieg nicht ein Fake sei. Die Fotogeschichte schleppt auch eine Betrugsgeschichte mit sich. Weder in seinem Beruf noch in der Liebe zeigte Capa High Fidelity. Die aber will sein Biograf erreichen. Um den Rhythmus dieses Lebens einzufangen, verzichtet Kershaw jedoch bisweilen auf eingehendere Analysen. Das ist vor allem bei den politischen Themen spürbar. Worum ging es im Spanischen Bürgerkrieg eigentlich? Das Tempo und der Kinorhythmus der Erzählung unterbinden solche Fragen. 
 
Der Siegeszug des Fernsehens Dieser Mann war schön, charismatisch, rätselhaft, obsessiv. Capa gehört in diese Jahre, da die Welthistorie so viel Menschenleben verzehrte und zugleich solche Lebenslust aufflammen ließ. Von Capas Person wie von seiner Geschichte geht eine gewaltige Faszination aus, das schreckliche Ende eingeschlossen: Capa wurde 1954 in Vietnam von einer Mine zerrissen, als er kurz nach der Katastrophe von Dien Bien Phu wieder im Auftrag von «Life» seine Bilder machte und Warnungen vor den Gefahren eines Weges in den Wind schlug.
 
Auch die Kriegsfotografie erlebte nur eine kurze Geschichte. Den Ersten Weltkrieg hat sie eigentlich erst nachträglich sichtbar gemacht, der Bürgerkrieg in Spanien und der Zweite Weltkrieg waren ihre größte Zeit. Sicher spielte sie noch einmal im amerikanischen Vietnamkrieg eine Rolle, wo sie viele Journalisten das Leben gekostet hat, und möglicherweise trug sie sogar zum Ende dieses Krieges bei. 
 
Capa aber sah bereits den Siegeszug des TV voraus, das jetzt im Embedded Journalism gezähmt ist. Während der Kriegsfotograf seine Bilder noch schoss, ist der TV-Kameramann im Krieg eine pazifizierte Figur. Kriegerisch ist die Videopraxis des Terrors. Der Krieg ist farbig und bewegt, die Generäle geben nichts sagende Statements ab. Capas Leben verlief in Schwarzweiß und synchron mit dieser kurzen dramatischen Geschichte der Kriegsfotografie.
 
Manfred Schneider ist Literatur- und Medienwissenschaftler an der Universität Bochum

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