- So wird die Mitmachdemokratie missbraucht
Der Protest gegen den ZDF-Moderator Markus Lanz nimmt absurde, ja geradezu schädliche Ausmaße an: Wenn Internet-Petitionen nur noch Ausdruck kurzfristiger Erregungen sind, heißt das nichts Gutes für die Demokratie. Ein Kommentar
Zu den witzigeren Aktionen des Berliner Piraten Christopher Lauer gehörte in den letzten Tagen eine Online-Petition: Sie trug den schönen Titel „Markus Lanz soll mal seine Show so machen wie er will, immerhin ist er ja erwachsen“. Zunächst schaffte die (Sie ahnen es, nicht ganz ernst gemeinte) Petition 272 Unterzeichner, bis sie vom Portalbetreiber gesperrt wurde. Das ist etwas weniger als eine Petition, mit der das ZDF dazu gebracht werden soll, Lanz aus dem Programm zu nehmen: Rund 226.000 Nutzer hatten dort bis Dienstagmittag unterschrieben, soweit man das Verwenden manchmal ganz ulkiger Pseudonyme als „Unterschrift“ bezeichnen kann. Aus den Kommentaren trieft ansonsten das, was jeder Medienmacher von der kleinen Lokalzeitung bis hin zum öffentlich-rechtlichen Sender nur zu gut kennt, wenn dem Publikum mal etwas nicht passt: „Werde mein Abo kündigen“, „Werde nie wieder einschalten“ – undsoweiterundsoweiter.
Nun muss man Markus Lanz ganz bestimmt nicht mögen, seine Fähigkeiten als Talkmaster und „Journalist“ sind sehr überschaubar – und sein „Interview“ mit Sarah Wagenknecht, an dem sich momentan alle abarbeiten, mehr als unsäglich. Das hat im Übrigen auch Lanz selbst eingesehen, sich bei Wagenknecht entschuldigt, letztere hat die Entschuldigung angenommen, damit könnte dann auch alles wieder gut sein. Zumal es eine ziemlich einfache Möglichkeit gibt, Lanz nicht mehr sehen zu müssen: einfach nicht mehr einschalten.
Spielwiese für die digitale Erregungsdemokratie
Tatsächlich ist das eigentlich Ärgerliche an der nunmehr fast schon zwei Wochen anhaltenden Debatte um einen mediokren Moderator nicht der Anti-Journalismus, den Lanz schon seit Jahren zelebriert. Sehr viel ärgerlicher ist, dass das Netz mit seiner ganzen Kraft und seiner potenziellen Fähigkeit, mit ihm Dinge zu verändern, zu etwas gemacht wird, was es nicht sein sollte: nämlich zu einer Spielwiese für Themen aus der digitalen Erregungsdemokratie. Ihr wichtigstes Merkmal ist das permanente Verwechseln von Eigeninteressen oder auch (wie in diesem Fall) eigenen Ärgernissen mit Dingen von Bedeutung.
Eine Petition ist natürlich demokratisches Bürgerrecht. Gerade deswegen sollte man mit diesen Instrumenten eher sparsam umgehen – weil sie sich ansonsten entwerten. Eine Petition gegen einen Talkmaster im TV? Was kommt dann als nächstes? Petitionen gegen das Wetter und für eine neue Regel in der Bundesliga, nach der jeder Gegner von Bayern München mit einem Vorsprung von zwei Toren ins Spiel gehen darf?
Im Netz – und das macht die Angelegenheit so schwer – herrscht dauernd der Grundtenor der Aufgeregtheit. Dinge gut zu finden, sei dort sehr viel schwerer als sie schlecht zu finden, schrieb der Blogger Johnny Häusler unlängst. Das ist zum einen komplett richtig – zum anderen aber vermutlich auch damit begründet, dass man mit leisen und möglicherweise sogar durchdachten Tönen nicht mehr viel Gehör findet. Lanz hat eine schlechte Sendung abgeliefert? Da reicht dann kein Kommentar mehr irgendwo oder ein Blogbeitrag, da muss gleich die ganz große Keule her, weg mit Lanz, Petition!
Zeitgleich sind übrigens gerade auch einige andere Petitionen im Umlauf. Zu Themen, die man als wichtig, relevant, umstritten bezeichnen könnte. Zu Themen jedenfalls, die Aufmerksamkeit verdienen. Wie unsinnig ist es dagegen, Petitionen zum Thema „Wir wählen unseren Lieblings-Moderator“ zu verfassen. Und wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass noch irgendjemand Aufmerksamkeit für Petitionen übrig hat, wenn es künftig dauernd irgendwelche Petitionen zu irgendwas gibt?
Darf man also den Weg kritisieren, ohne damit Lanz gleich zu verteidigen oder eine journalistische Wagenburg aufzubauen, aus der bei jeder Form von Kritik sofort scharf und geschlossen zurückgefeuert wird? Ja, darf man. Nichts spricht dagegen, Lanz nicht zu mögen. Es spricht aber auch genauso wenig dagegen, dem Intendanten, dem Programmchef oder sonst irgendeinem zuständigen Menschen auf dem Mainzer Lerchenberg zu schreiben und seinen Unmut kundzutun. Oder einfach auszuschalten. Oder, ganz pragmatisch, zu akzeptieren, dass es guten und schlechten Journalismus gibt und dass man den schlechten nicht zu konsumieren braucht, weil wir in einem Land leben, in dem es mehr als zweieinhalb Sender gibt.
Petitionsbetreiber fühlt sich missbraucht
Wenn Markus Lanz und seine überaus harmlose und letztendlich komplett unwichtige Talkshow schon Gegenstand von Petitionen werden, dann wird die Petition als solche lächerlich gemacht. Erkannt hat das mittlerweile auch der Betreiber von „Open Petition“: Die Lanz-Petition bleibt zwar online, die Nutzungsbedingungen sind allerdings so geändert werden, dass sich Petitionen nur noch für oder gegen eine Sache wenden können. Das sagt ziemlich viel darüber aus, wie sehr sich selbst der Betreiber der Petitionen-Plattform missbraucht fühlt.
Und wenn man sich am absehbaren Ende der Lanz-Erregungswelle etwas wünschen dürfte: Es gäbe eine ganze Menge Dinge, für die es sich lohnen würde, Petitionen zu starten oder sich anderweitig zu engagieren.
Die Absetzung eines TV-Moderators gehört ganz sicher nicht dazu.
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