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Blitzumfragen - Wie du liest, so wählst du

Brigitte-Leserinnen hätten Rot-Grün, Focus-Leser die Alternative für Deutschland gewählt: Wer sich nach der Bundestagswahl noch einmal die Umfragen einiger Medien anschaut, dürfte nicht schlecht staunen

Autoreninfo

Petra Sorge ist freie Journalistin in Berlin. Von 2011 bis 2016 war sie Redakteurin bei Cicero. Sie studierte Politikwissenschaft und Journalistik in Leipzig und Toulouse.

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Irgendwie sind sie nicht tot zu kriegen, diese Nonsense-Umfragen vor Wahlen. Sie sind in Zeitungen, auf Onlineseiten und im Fernsehen zu finden, nennen sich verheißungsvoll „Trend“, „Barometer“, „Wahlprognose“, „Ted-“, „Leser-“ oder „Blitzumfrage“. Sie dienen wahlweise der Belustigung des Publikums, der Leser-Blatt-Bindung oder der Steigerung der Klickzahlen. Toller Nebeneffekt: Sie erwecken den Anschein politischer Information und geben so auch Boulevardformaten einen aufklärerischen Anstrich.

Und ihre Aussagekraft? Tendiert gegen null. Zumindest in Bezug auf den tatsächlichen Wahlausgang.

Wenn man sich solche Umfragen aber nach der Wahl noch einmal ansieht, sagen sie erstaunlich viel aus. Und zwar über die jeweiligen Medien, in denen sie erscheinen: Die Umfrageergebnisse lassen vage Aussagen über die politischen Vorlieben ihrer Teilnehmer zu. Vom Publikum wiederum lässt sich mit sehr viel Vorsicht auf das Blatt oder das Programm selbst schließen.

Natürlich ist das gleich mehrfach einzuschränken: Wo schon Umfragen renommierter Meinungsforschungsinstitute höchst unzuverlässig sind, müsste man solche Tipp-Tools ins Reich der Ufojäger verbannen.

Weil dies eine Kolumne ist und kein Nachrichtenformat, erlauben wir uns trotzdem mal den Spaß.

Fangen wir bei der Brigitte an, die ihre höhere politische Kompetenz ja schon durch qualifizierte NSU-Berichterstattung bewiesen hat. Die Leserinnen der Onlineseite bevorzugten klar Rot-Grün, wenn man sich die Ergebnisliste ansieht:

Huch, wo war denn da der Kanzlerinnen-Bonus? Laut dem Meinungsforschungsinstitut dimap haben am Sonntag 44 Prozent aller Frauen die Union gewählt – und nur 39 Prozent der Männer. Wir schauen uns die zweite Frage an und staunen:

58 Prozent der Brigitte-Leserinnen fanden also, dass Angela Merkel nicht länger hätte Kanzlerin bleiben sollen. Und das, obwohl Mutti in einem Brigitte-Talk so schön übers Kochen philosophiert hat! Die Umfrage-Teilnehmerinnen kannten trotzdem keine Gnade.

Focus-Leser würden AfD wählen

Wer sich dagegen die Meinungen beim Focus anschaut, muss einräumen, dass es durchaus publizistische Unterschiede bei den Magazinen gibt. Dort erlangte die Alternative für Deutschland (AfD) 61,1 Prozent. Wir erinnern uns: Deutschlandweit wählten nur 4,7 Prozent die Partei der Eurokritiker.

Umso gruseliger wird das Ergebnis auf der Webseite des Focus, wenn man sich vor Augen hält, dass dort 34.328 Stimmen abgegeben wurden. Meinungsforschungsinstitute befragen in der Regel nur um die 1.000 Personen. Was schließt man daraus? Ist der Focus besonders eurokritisch? Oder zieht er nur viele Eurokritiker an? Das müssten jetzt eigentlich mal Medienforscher in einer Inhaltsanalyse ermitteln.

Übrigens will auch das Handelsblatt vor der Wahl eine enorme Euphorie für die AfD gemessen haben: Auf 19,2 Prozent soll das „Online-Marktforschungsinstitut Mafo“ gekommen sein. Wie die Süddeutsche Zeitung herausfand, wurde bei der Befragung allerdings getrickst und geschoben, von einer „Stimmungsmache“ war sogar die Rede. Man sollte also auf solche Umfragen keinen Pfifferling geben.

Wer Wahlumfragen – ganz im Medientrend – sub- und hyperlokal auswertet, entdeckt echte Protestnester: Die Leser der Thüringer Allgemeinen in Nordhausen wählten die SPD (27 Prozent) zur stärksten Kraft vor der CDU (25 Prozent). Danach folgten die AfD mit 21 Prozent und die Linke mit 15 Prozent. In Ostdeutschland ist die Linke traditionell sehr stark; auch die Alternative holte in den neuen Bundesländern bessere Werte.

Am Abend vor der Wahl begab sich schließlich auch Stefan Raab unter die Umfragegurus. In der ProSieben-Spezialausgabe von „TV Total“ durfen die Zuschauer per Telefon abstimmen. Das Ergebnis der Bundestagswahl-Prognose: Die FDP scheiterte an der Fünf-Prozent-Hürde, die Union lag mit Rot-Grün gleichauf. Dafür erhielt die Linke stolze 15,6 Prozent – das waren ganze 7 Prozentpunkte mehr als die Partei am Sonntag tatsächlich erhielt.

Stern-Herausgeber Andreas Petzold sorgte sich bei Twitter angesichts dieser Prognose um die Einnahmen des Senders: „Was wohl proSieben Werbekunden sagen, dass überwiegend Linke-Wähler Raab gucken?“

Man kann es aber auch so wie die Bild-Zeitung machen und sich das Wunschergebnis einfach selbst zurechtbasteln. Verärgert keinen Werbekunden – und macht den Chefredakteur glücklich. In der Wahl-Sonderausgabe, die am Samstag kostenlos an 41 Millionen Haushalte in ganz Deutschland verteilt wurde, kamen auf einer Doppelseite Erstwähler zu Wort. 33 junge Leute – naja, streng genommen waren es nur 25 – verrieten, wen sie wählen würden. Wenn man deren Zweitstimmen-Aussagen zusammenzählt (unter der Annahme, dass ein Befragter, der „in Richtung CDU, FDP“ tendierte, die Erststimme der Union und die Zweitstimme den Liberalen gab), kommt man auf folgende Übersicht:

Der Linke-Wähler: Ein arbeitsloser Punk

Bei Rot-Grün kam das dem tatsächlichen Wahlergebnis unter den Erstwählern sehr nahe: Elf Prozent von ihnen wählten am Sonntag grün, 24 Prozent die SPD. Anders sah es in Wirklichkeit im schwarz-gelben Lager aus. Nur 31 Prozent der 18-24-Jährigen gaben der Union, vier Prozent der FDP ihre Stimme. Dass Schwarz-Gelb bei der Bild-Erstwählerumfrage deutlich überrepräsentiert war, wäre ja noch kein Drama, wenn die Redaktion nicht mit der Auswahl der zu Wort kommenden Jugendlichen auch eine subtile politische Botschaft verbunden hätte. Die zwei einzigen gesellschaftlichen „Verlierer“ unter den befragten Jugendlichen waren nämlich Anhänger linker Parteien. Ein Häftling, der wegen Drogenbesitzes, Einbruchs und Körperverletzung sitzt, warb für die Grünen, „weil sie Cannabis erlauben wollen. Dann wird niemand mehr zu Beschaffungskriminalität gezwungen.“ Und der arbeitslose Hamburger Punk „Erbse“ sprach sich als Einziger für die Linke aus.

Der Münchner Einser-Abiturient unterstützte natürlich die CSU, und die Berufe der drei FDP-Wähler: ein Unternehmer, ein Versicherungsvertreter und ein Software-Architekt.

Bei seiner Auszählung der Gewinner und Verlierer in der Bild kam der Medienjournalist Stefan Niggemeier jüngst zu einem ähnlichen Ergebnis: FDP-Politiker waren dort am häufigsten die Gewinner, Vertreter von SPD und Grüne am häufigsten die Verlierer. Politiker der Linken waren immer nur Verlierer.

Das alles ist natürlich nur Zufall, Hexerei und sagt auch gar nichts über die jeweiligen Medien aus... Und jetzt fragen Sie bitte nicht, wo die 57 Prozent herkommen, die sich bei Cicero Online eine rot-rot-grüne Koalition wünschen!

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