Rettungsmediziner
„Es gibt kein Ansehen der Person“, sagt Hans Anton Adams. / dpa

Triage - „Diese Last kann man doch nicht in Gesetze fassen“

Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass der Bundestag unverzüglich gesetzliche Regelungen zur sogenannten Triage ausarbeiten muss. Der Notfall- und Katastrophenmediziner Hans Anton Adams erklärt, warum er von einer gesetzlichen Regelung nichts hält und was Triage im medizinischen Alltag bedeutet.

Autoreninfo

Ulrike Moser ist Historikerin und leitet das Ressort Salon bei Cicero.

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Wenn die Intensivbetten wegen Corona knapp werden, könnten Ärzte gezwungen sein, die Triage anzuwenden: Sie müssten etwa entscheiden, welcher Patient einen Platz am Beatmungsgerät erhält und welcher nicht. Das Bundesverfassungsgericht hat nun ein Gesetz angemahnt, das sicherstellen soll, dass Menschen mit Behinderung bei der Verteilung von Intensivbetten nicht benachteiligt werden. Hans Anton Adams ist Professor für Anästhesie und Operative Intensivmedizin im Ruhestand. Er war Leiter der Stabsstelle für Interdisziplinäre Notfall- und Katastrophenmedizin der Medizinischen Hochschule Hannover. Im Interview berichtet er, in welchen Situationen Ärzte gezwungen sind, die sogenannte Triage anzuwenden, auf welcher Grundlage solche Entscheidungen getroffen werden und warum er nichts von einer gesetzlichen Regelung hält. 

Herr Adams, zwar haben die medizinischen Fachgesellschaften Leitlinien veröffentlicht, nach welchen Grundsätzen entschieden werden soll, wenn es zu wenige Intensivbetten für alle Patienten gibt. Zentraler Punkt ist, die Patienten danach auszuwählen, wie groß die Erfolgsaussichten der Behandlung sind. Es gibt also Empfehlungen, aber keine gesetzliche Regelung. Ist das ein Manko? 

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Frank Müller | Mi., 29. Dezember 2021 - 17:28

Völlig absurder Gedanke, so etwas gesetzlich regeln zu können. Passt aber zum Zeitgeist, für alles eine Vorschrift. Da bin ich mal auf die Checkliste gespannt, die der Gesetzgeber erarbeitet - vielleicht gibt's dann eine APP dazu. Ich fürchte, die Kläger haben da ein Riesenproblem geschaffen.

Nils Birkmann | Mi., 29. Dezember 2021 - 17:46

- das habe ich auch gedacht. Das Bundesverfassungsgericht in seiner - mehr als einmal unter Beweis gestellten - Hybris sieht das anders, schlimm genug. Wahrscheinlich steht am Ende eine Regelung, die so kompliziert und unpraktikabel ist, dass sie den einen oder anderen Patienten das Leben kostet. Wer möchte schon gern mit dem Gesetz in Konflikt geraten, und die deutsche Regelungswut kann da durchaus einem schnellen, beherzten und lebensrettenden ärztlichen Handeln im Weg stehen.

Ich sage nur eins, Grundgesetz Artikel 3: "Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich".
Also für mich wieder etwas, was man nicht ändern sollte.
Das BVG ist für meine Begriffe nicht mehr für die Gesamtheit des Volkes geeignet.

gabriele bondzio | Mi., 29. Dezember 2021 - 18:30

hat nun ein Gesetz angemahnt, das sicherstellen soll, dass Menschen mit Behinderung bei der Verteilung von Intensivbetten nicht benachteiligt werden. "

Auf die Idee muss man erst mal kommen.

Wenn man o.a. Art. nicht kennt -es ist nicht der Einzige, den sie offenbar noch nie gelesen haben- war die Anmahnung des Gesetzes „alternativlos“. Ein Arbeitsnachweis wurde damit ebenfalls erbracht.

Tomas Poth | Mi., 29. Dezember 2021 - 18:34

Eine Liste mit 50, oder 100 oder wieviel Kriterien?
Bis die kontrolliert abgearbeitet ist werden wahrscheinlich schon 5 oder 10 Notfälle das zeitliche gesegnet haben.
Der Hr. Adams hat hier die richtigen Worte gefunden, es geht nicht!
Zum Stichwort Impfunwillige:
Wer will denn Impftote gegen Mit/An-Corona-Tote ausspielen?! Oder schwere Impffolgen gegen schwere Erkrankungsfolgen ausspielen?!
Das kann nur jeder für sich selbst entscheiden!
Eine per Gesetz erzwungene Impfung ist russisches Roulette und ist eine vorsätzliche Verletzung oder Tötung aus Angst vor mangelnder Krankenhausversorgung.

Hans Jürgen Wienroth | Mi., 29. Dezember 2021 - 18:39

Danke für dieses Interview mit einem Fachmann. Die Kompetenz von Medizinern bei der Triage hat das BVerfG in Frage gestellt. Dort entscheiden die Juristen. Steht künftig vor jeder Intensivstation ein Jurist? In der Psychiatrie entscheidet jetzt (n. BVerfG) ein Richter über die notwendige Fixierung Erkrankter (nur tagsüber!?).
Ist das noch die Gleichberechtigung, die im GG steht oder wird hier Politik für „Minderheiten“ gemacht? Wie beim Rassismus: Mehrheiten kann man nicht diskriminieren.
Für mich wollte hier (wieder einmal) eine Minderheit ihr Recht durchsetzen, auf keinen Fall benachteiligt (sprich im Zweifel bevorzugt) zu werden. Wer traut sich nach diesem Urteil noch, einem „Vorerkrankten“ nicht jede erdenkliche „Hilfe“ zukommen zu lassen? Ansonsten droht ein Verfahren mit ungewissem Ausgang. Stirbt ein junger Mensch aufgrund der Priorisierung, war er im Zweifel zu schwer erkrankt. Stehen Ärzte künftig noch mehr am Schreibpult statt am Krankenbett?

Rob Schuberth | Mi., 29. Dezember 2021 - 18:54

Ich kann den Argumenten des Katastrophenmediziners, Hrn Adams, nur beipflichten.

Für mich ein weiteres Unding wie sehr sich unser BVerfG hier politisiert.

Es soll das GG verteidigen, ja.
Und zwar gegen die Politik unserer Politiker sofern nötig, d. h. deren Gesetze unsere G-Rechte unangemessen u. unverhältnismäßig einschränken.

Es soll jedoch n i c h t den Gesetzgeber dazu auffordern neue Gesetze zu verfassen, weil sich bestimmte Minderheiten es so wünschen.

Mir ist nicht klar warum unsere höchsten Richter nicht erkennen das sie selbst sich hier gerade vor einen Interessen-Karren spannen lassen.

Die Triage ist in den meisten Ländern, so auch in D, klar geregelt.
Zum Nachlesen: https://www.aerzteblatt.de/archiv/79711/Triage-in-der-Notaufnahme

Ob nun nach dem 3- od. besser dem 5-stufen-Mod. sie IST bereits geregelt.

Was ist nur mit unserem Land los? Kaum ein Tag vergeht an dem nicht irgendeine Minderheit ihre vermeintl. Diskriminierung beklagt u. Rechte einfordert.

Bernd Muhlack | Mi., 29. Dezember 2021 - 19:14

Werte, liebe Frau Moser,

Sie schrieben dieser Tage einen sehr schönen Kommentar qua "Weihnachten".
Qua Triage gab es gleichfalls bei CICERO einen schönen Artikel.
Ich hatte jeweils gepostet.

Da ich mich zeitnah antwortend nicht wiederholen will nur so viel:

ALLES GUTE für SIE & alle CICERONEN!

& mögen Sie NIE in einen Schockraum kommen!

GLÜCKAUF!

Ingofrank | Mi., 29. Dezember 2021 - 20:59

Aus dem Bauch heraus bin ich auch sehr skeptisch über die zu erstellenden Rahmenbedingungen wie z.B. bei dem geschilderten Unfall.
Die Thematik ist dermaßen vielschichtig und situationsbedingt, dass das Ganze in die Hose bzw. Im Einzelfall vor Gericht Enden wird. Es ist schlicht unmöglich, jede Situation vorherzusagen und diese in ein Korsett einzubetten.Es geht um Menschen die über Menschen entscheiden müssen und nicht um ein Komputerprogramm welches in Sekunden ein Ergebnis in einem Ablauf liefern kann.
Abgesehen vom zeitgeistigen Regulierungswahn, würde mich interessieren, wie andere europäische Länder dies handhaben.
Mit freundlichen Grüßen aus der Erfurter Republik

Heidemarie Heim | Do., 30. Dezember 2021 - 13:48

Antwort auf von Ingofrank

Mir geht es da wie Ihnen lieber Herr Ingofrank. Auf den ersten laienhaften Blick könnte man meinen die Sichtung oder Beurteilung wer die besten Überlebenschancen hat und zugespitzt das Intensivbett bekommt wäre eine Art Auswahl nach Survival of the Fittest was seit Darwin schon für heftigste Diskussionen auf allen Ebenen führte. Doch das sorgt nicht nur bei behinderten Mitbürgern für Unbehagen sondern m.E. auch bei chronisch Kranken mit Chancen mindernden Vorerkrankungen bzw. Schädigungen, die der Beurteilung unterliegen. Ihre Frage bzgl. Programm, das den Ärzten diese Last auch im allgemeinen Medizinbetrieb abnähme, erinnerte mich an etwas was vor Jahren, ich glaube es war in GB, zu ähnlichen Auseinandersetzungen führte weil man beabsichtigte ein solches einzusetzen, bei dem der Mediziner verschiedenste Eingaben machen musste und diese KI danach "berechnete" ob sich Sorry! äußerst grob ausgedrückt der Aufwand noch lohnt! Eine Art "Gesundheitsökonomie"?, die man m.E. GsD verwarf! LG

Heidemarie Heim | Mi., 29. Dezember 2021 - 21:40

Zunächst danke geehrte Frau Moser und werter Herr Prof. Adams für die Auseinandersetzung mit dieser m.E. äußerst diffizilen Thematik! Die im Interview erwähnten Beispiele aus der Praxis tragen mehr zur Aufklärung bei als alles andere bisher gelesene. Dennoch bleibt die ein oder andere Frage offen. Gestern sah ich im TV eine der Klägerinnen und konnte deren Ängste und Gründe für die Klage sehr gut nachvollziehen. Sie leidet an der Erbkrankheit Mukoviszidose und hat im Gegensatz zu früher das Erwachsenenalter erreicht. Wer diese Erkrankung hat weiß wahrscheinlich besser als jeder andere was es heißt Atemnot, Lungenentzündung, akute Notfallereignisse wie Versagen der Bauchspeicheldrüsenfunktion und/oder der Leber zu durchleben bzw. zu überleben. Das ist nichts was man wie bei der sogenannten weichen Triage (OPs usw.) mal ein paar Wochen
verschieben oder durch die Gegend karren kann bis irgend ein freies Bett gefunden wird. Unter welche Kriterien fällt so jemand bei der Sichtung? MfG

Bernhard Mayer | Do., 30. Dezember 2021 - 06:37

Dachte ich eigentlich auch.
Rechtsverdreher sehen das natürlich völlig anders.

Die Bürokratie im Krankenhaus wird weiter steigen, wahrscheinlich braucht's eine*N Protokollant*In welche*R jeden Schritt aller Ärzte schriftlich festhält!

Jens Böhme | Do., 30. Dezember 2021 - 07:43

Seit Ewigkeiten entscheiden Retter, wer zuerst. Auch in Kliniken wird das seit deren Existenz getan. Die Verfassungsklagen der Behinderten fussen auf der politischen und öffentlichen Panikmache in Coronazeiten. Die Kollateralschäden des Coronahandlings sind viel weitreichender und langlebiger als 7-Tage-Unwohlsein mit Corona-Viren.

Ernst-Günther Konrad | Do., 30. Dezember 2021 - 08:06

Ich bin gegen eine gesetzliche Regelung solcher möglicher Triage Fälle. Es ist so, wie es Herr Prof. Adams sagt. Ich habe es mehrfach selbst dienstlich erlebt. Größeres Schadensereignis, ein leitender Notarzt und viele Helfer. Es wird nach Dringlichkeit eingeteilt und niemand danach beurteilt, wer und was er ist. Das wird ad hoc entschieden und ganz sachlich und völlig unaufgeregt, auch wenn es mal hektisch aussieht. Meine Schwiegermutter erlitt mit 85 Jahren eine Hirnblutung, ab ins KH und untersucht. Wir legten sofort eine Patientenverfügung vor und die Ärzte waren froh, nicht noch für ein oder zwei Tage Lebensverlängerung, irgendwelche Eingriffe vorzunehmen. Muttern konnte nach vier Tagen friedlich von allen verabschiedet einschlafen. Ja, med. wäre da noch einiges gegangen. Am Ende hätte sie mit 85 dahinsiechend, wie lange gelegen? Das wollte sie nie, hat sie zu Lebzeiten ausgeschlossen und ihr Wunsch einzuschlafen konnte erfüllt werden. Ein Gesetz erzeugt Angst bei den Ärzten.

Dr.Andreas Oltmann | Do., 30. Dezember 2021 - 12:31

Der 1. Senat unter der Leitung seines Präsidenten Harbarth hat ein überflüssiges Urteil gefällt und bleibt damit seiner Linie treu. Da das Grundgesetz eine Benachteiligung ausschließt, ist die Schaffung eines weiteren Gesetzes nicht notwendig. Es sei denn, die Kläger trauen unserem GG nicht oder wollen, für jede Minderheit, mal wieder eine eigene rechtliche Absicherung. M.E. hätte das Gericht die Klage gar nicht zur Entscheidung annehmen dürfen.
Offensichtlich ist es das Ziel der neuen Generation am Verfassungsgericht, die Gesellschaft zu verändern, Egoismen zu bedienen und unsere bisherigen Werte außer Kraft zu setzen.
Denk ich an Deutschland in der Nacht….

Ingo frank | Do., 30. Dezember 2021 - 14:04

Antwort auf von Dr.Andreas Oltmann

Ja, das ist da erklärte Ziel derer, die derzeit an der Macht sind bzw. nach ihr streben wie die Linkspartei die unter 5% trotzdem im BT sitzt
Mit freundlichen Grüßen aus der Erfurter Republik