- Zehn-Punkte-Programm für Griechenland
Die Austeritätspolitik ist gescheitert. Sie hat Griechenland und den anderen Südländern geschadet. Plädoyer für einen Kurswechsel im Umgang mit Griechenland
Gleichsam beiläufig hatte Bundesfinanzminister Schäuble bei der Weltbank-Frühjahrstagung in Washington öffentlich fallen lassen, dass die griechische Regierung bis Ende Juni ihre Reformzusagen erklärt haben muss. Bislang war von Ende April als Deadline die Rede, vorher von Mitte März. Weshalb die neuerliche Verschiebung? Weil wir es so gut meinen mit Griechenland? Vielleicht liegt auch folgende Überlegung zugrunde:
Wenn Griechenland Ende April endgültig insolvent geworden wäre, hätten die EU und Deutschland, das in dieser Sache offenbar „federführend“ ist, mindestens drei Probleme:
1. Wir haben kein geregeltes Insolvenzverfahren für Staaten. Was machen wir, wenn in Griechenland Gesetzlosigkeit und soziale Unruhen ausbrechen?
2. Wir haben kein geregeltes Verfahren für einen Austritt aus dem Euro, der aus politischen Erwägungen prinzipiell nicht vorgesehen war. Was macht die Eurogruppe mit einem insolventen Griechenland? Wird es zum Austritt gezwungen? Und was passiert anschließend mit dem Euro? Wird die Eurozone dann faktisch reduziert auf einen Währungsverbund, in den man ein- und aussteigen kann? Welches Land käme dann als nächstes in das Visier der Spekulanten? Bliebe das ohne Auswirkungen auf den europäischen Binnenmarkt?
3. Wir haben kein geregeltes Verfahren für einen Austritt aus der EU, der aus politischen Erwägungen prinzipiell nicht vorgesehen war. Was macht die EU mit einem insolventen, vielleicht anomischen Griechenland?
Die deutschen Forderungen
Für die deutsche Regierung, die in der Politik vor allem auf rechtliche Regelungen und Kontrollen setzt, ist das eine ungemütliche Situation. Es wäre wohl besser, sie zu vermeiden und mit Griechenland zu einer Einigung zu kommen. Denn nach allem, was man hört, gibt es keinen Plan B, weder in Griechenland, noch bei uns.
Was steht einer Einigung entgegen? Die einen – vornehmlich in Deutschland – sagen: Die Griechen machen ihre „Hausaufgaben“ nicht (das Land hat, empirisch nachprüfbar, mehr gespart als alle anderen europäischen Länder), sie haben einen eitlen Finanzminister, der nicht ernsthaft nach einer Lösung sucht, sie haben zudem ihr bisheriges kompetentes Personal in den Ministerien durch inkompetente Leute ausgetauscht. Mit denen könne man nicht verhandeln. Kurzum: Es gehe nicht um legitime politische Gegensätze, sondern Griechenland, und vor allem die neue Regierung, sei nicht satisfaktionsfähig. Genauere Angaben darüber, was die Griechen nicht geliefert haben, welche Vorschläge warum inakzeptabel sind, erfährt man offiziell nicht.
Es heißt – hinter den Kulissen – dass es der Troika vor allem an Arbeitsmarktflexibilisierung fehlt. Sie will offenbar, dass man schneller und leichter entlassen kann. Angesichts der hohen Arbeitslosigkeit, der verzweifelten Stimmung im Lande und der Rezession, die – mangels absehbarer Exportchancen - ganz wesentlich auf einen Nachfragemangel im Land zurückzuführen ist, eine erstaunliche Forderung. Dass nach neuerlichen Entlassungen das Wachstum anspringt, weil private Investoren in Scharen antreten, ist nicht zu erwarten.
Die Troika und Deutschland stört wohl auch, dass Privatisierungen von der Regierung nur mit Vorbehalten angegangen werden: z.B. dass sich die Einnahmen lohnen müssen. Eine Verschleuderung unter dem gegenwärtigen Druck wollen die Griechen nicht; übrigens: Die Deutsche Treuhand konnte zum Schluss ihre Objekte nur mit Draufzahlen loswerden! Darüber hinaus wolle die griechische Regierung wirksame Anteile am Staatseigentum behalten (damit über den Hafen von Piräus nicht nur die Chinesen bestimmen) und dass Investoren Arbeitsplätze schaffen sollen. Solche einschränkenden Forderungen störten mögliche Investoren, meint man in der Bundesregierung. Chinesen hin oder her, das einzig wichtige sei, dass Griechenland wieder an die Finanzmärkte komme.
Es heißt darüber hinaus, die Regierung kümmere sich nicht um die Steuerflucht. Mit den Schweizern haben sie freilich Verhandlungen über steuerflüchtiges Vermögen begonnen, allerdings bisher noch ohne Erfolg. Sven Giegold, Grünen-Abgeordneter im EU-Parlament, unterstützt sie in ihrer Haltung: „Die Schweiz habe lediglich die anonyme Regularisierung von Altlasten angeboten, um ihre vermögende griechische Kundschaft vor Strafverfolgung zu schützen. ‚Es ist richtig, dass Griechenland wie fast alle anderen europäischen Länder dieses vergiftete Angebot ausgeschlagen haben.‘ " (taz 19.3.15). Im Übrigen wissen wir, dass Steuern einzutreiben heutzutage mindestens europäisch geschehen muss.
Weiter wird von der Troika offenbar eine Mehrwertsteueranhebung gewünscht, ebenso wie eine Heraufsetzung des Rentenalters bzw. eine Kürzung der Renten, von denen gegenwärtig oft drei Generationen leben müssen. Diese Maßnahmen gehen noch einmal zu Lasten der Bevölkerung, sie haben bisher nicht geholfen – das kleine Wachstum ist schon Ende 2014 unter der Vorgängerregierung wieder zurückgegangen – und würden der Regierung mehr und mehr die Legitimation entziehen. Dazu Poul Thomsen, neuer Leiter der Europaabteilung des IWF: „Wir müssen akzeptieren, dass es eine neue Regierung gibt, die von den Wählern beauftragt wurde, die Krise anders zu managen.“ (Handelsblatt 20.4 15, S. 12) Sein Vorgänger Reza Moghadam schrieb vor 14 Tagen in der Financial Times: “Europe is demanding implementation, in the next few weeks, of a long and comprehensive list of actions that previous governments were unable to deliver in the space of a few years.” (8.4.15) Folgt diese Härte vielleicht einer politischen Logik?
Die vorgeschlagenen Maßnahmen gegen die Korruption wurden bisher von der Troika wohl nicht kritisiert. Dass diese, ebenso wie alle Aufbaumaßnahmen für eine effektive und transparente Verwaltung, nicht in drei Monaten gelingen können, ist wohl klar.
Schließlich geht es natürlich um die Rückzahlung von Schulden. Ein Schuldenschnitt wird allgemein abgelehnt. Zugleich ist es ein offenes Geheimnis, dass die Schulden jedenfalls im jetzigen Zustand Griechenlands nicht zurückgezahlt werden können. Zur Frage steht, ob und wie in Umschuldungsverhandlungen eingetreten werden kann. Das braucht allerdings Zeit und hat keinen Sinn, wenn Griechenland ständig unter dem Damoklesschwert der drohenden Insolvenz steht. Aber gerade diese Lockerung soll nicht gewährt werden. Und hier liegt vermutlich im Streit zwischen Deutschland und Griechenland der Hund begraben.
Anthropologischer Pessimismus, Misstrauen und Kontrolle
Eigentlich geht es hier nicht um kühl kalkulierte wirtschaftliche Regelungen, sondern um das zugrundeliegende Politikverständnis bzw. Menschenbild. Der konservative Jurist Wolfgang Schäuble will die Kontrolle, er misstraut den Menschen wie der Politik, nicht nur der griechischen. „Es ist ein karges, entbehrungsreiches Leben, das der Gast aus Europa seinen Zuhörern da schmackhaft zu machen versucht. Politischer Fortschritt ist demnach nur möglich, wenn die handelnden Akteure permanent unter Druck gesetzt werden. Glück ist, wenn es gelingt, eine kaum noch überschaubare Zahl an Regeln einzuhalten. Und Krisen sind gut, denn sie erzwingen den Wandel.“ So beginnt der Bericht von Claus Hulverscheidt in der SZ (Nr.89. S. 25) von einer Veranstaltung im Brookings-Institut in Washington, wo nach Schäuble Finanzminister Varoufakis auftrat. Der spricht dagegen „von der wunderbaren Kraft der Demokratie,…von Freiheit und Selbstbestimmung. Freundliches Raunen im Publikum.“(ebd.)
Je älter der verdiente Politiker Schäuble wurde, desto mehr hat er sich der klassischen deutschen Tradition des Autoritarismus angenähert: Anthropologischer Pessimismus, Misstrauen, Kontrolle, juristische Erzwingung anstelle von Politik. In der politischen Bildung nach dem zweiten Weltkrieg sollte gegen diesen tradierten Autoritarismus ein demokratisches Menschenbild in die Schulen gebracht werden, weil Demokratie ohne ein grundlegendes Vertrauen in Freiheit und Verantwortungsfähigkeit der Bürger nicht geht.
Es ist deshalb ganz logisch, dass der Ausgang der demokratischen Wahlen in Griechenland von einer konservativen deutschen Regierungspolitik als Unfall betrachtet wird, der möglichst schnell rückgängig gemacht werden sollte, damit die eigene bzw. die europäische Kontrolle über das Land wieder funktioniert. Syriza wird nicht als letzte Chance gesehen, ohne soziale Unruhen aus der Krise mit einer Regierung zu kommen, die noch (!) den Rückhalt der Gesellschaft hat. Vielmehr soll sie scheitern - womit auch für die Herbstwahlen in Spanien gegen Podemos ein Exempel statuiert würde – und abgelöst werden. Freilich gibt es da illusionäre Erwartungen auf eine Rückkehr der Konservativen an die Macht. Wenn diese gewählte Regierung an die Wand gedrückt wird, ist eine kaum noch zu „kontrollierende“ Situation wahrscheinlicher, die eine Einladung zu einer erneuten Militärdiktatur werden könnte. Vielleicht gibt es einige, die dies um der Bewahrung der Austeritätspolitik willen nicht schlecht fänden. Sie würden das mit „Sachzwängen“ legitimieren. Aber die EU hätte dann wohl ein „Werte“-Problem.
Dabei gibt es andere Kräfte in Deutschland, z.B. die deutschen Gewerkschaften, die im Einvernehmen mit den griechischen unmissverständlich bekundet haben, dass die Austeritätspolitik gescheitert ist, dass Investitionen und nicht nur Sparen nötig sind, um nachhaltiges Wachstum zu befördern und schließlich auch langsam die Schulden zurückzuzahlen. Die SPD und Martin Schulz, der in der FES eine begeisterte Laudatio auf Mark Blyth, den scharfen Kritiker der Austeritätspolitik, gehalten hat, haben das auch immer wieder bekundet. Es käme jetzt darauf an, dass die deutsche Regierung einen Weg findet, auf dem sie ohne Gesichtsverlust eine faktische Abkehr von der bisherigen falschen Austeritätspolitik, die Griechenland wie den anderen Südländern geschadet hat, praktiziert. Dem Pragmatismus der Bundeskanzlerin ist das zuzutrauen. Sie könnte auf selbstkritische Überlegungen der Ökonomen des Weltwährungsfonds zurückgreifen.
Zehn Punkte
Für eine Einigung böte sich folgendes 10-Punkte-Programm an:
1. Ein Moratorium für die Rückzahlung von Schulden in öffentlicher Hand (ohne EZB) wird erklärt. Griechenland werden die Schulden nicht erlassen, aber deren Tilgung beginnt erst, wenn das Wachstum in Griechenland, ohne Schaden zu nehmen, Rückzahlungen ermöglicht. Dies wird in einem weiteren Abkommen präzisiert, in dem eine Wachstumsschwelle definiert wird, ab der die Rückzahlungen beginnen. Die Zinsen für Griechenland werden im Rahmen eines dritten Hilfspakets noch einmal gesenkt.
2. Es gibt eine präzisierte Strategie, um Steuern einzutreiben. Der von den Konservativen entlassene oberste Steuerfahnder wird wieder eingestellt und mit seinem eigenen Konzept betraut. Die Überwachung durch Zivilpersonen wird durch diejenige von bezahlten Steuerbeamten ersetzt. Der Vorschlag des früheren Chefs der Steuerbehörde wird umgesetzt.
3. Konkrete Schritte für den Kampf gegen die Korruption werden z.B. mit Hilfe des griechischen Chapters von Transparency International festgelegt.
4. In einem realistischen Zeitrahmen werden Verwaltungsreformen, insbesondere die Einrichtung von Katasterämtern definiert.
5. Die EU hilft Griechenland bei Investitionen, die die schnelle Überwindung von Arbeitslosigkeit unterstützen.
6. Sie tut Ähnliches auch für die anderen notleidenden EU-Staaten.
7. Die Immobiliensteuer wird verteilungsgerechter umgestaltet, so dass die Mittelschicht entlastet wird.
8. Der Mindestlohn wird leicht angehoben.
9. Die OECD begleitet die griechische Regierung bei der Durchführung der versprochenen Maßnahmen. Sie sorgt für Transparenz der griechischen Finanz- und Wirtschaftsentscheidungen. Sie bietet eine Plattform für weitere Präzisierungen.
10. Für Privatisierungen werden Bedingungen gemeinsam vereinbart, um öffentliche Güter, Arbeitsplätze und die aktuelle Marktsituation zu berücksichtigen.
Sag‘ mir, wie Du mit Griechenland umgehst, und ich sage Dir, was Du von Demokratie in Europa hältst.
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