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Partnersuche - Keiner will Merkel

Einen Schritt vor, zwei zurück: Gleich am Montagmorgen hat Angela Merkel auf der Suche nach einem Koalitionspartner zum Telefon gegriffen. Doch die SPD ziert sich. Und bei den Grünen ändert sich gerade alles 

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Robert Birnbaum ist Redakteur im Ressort Politik beim Tagesspiegel

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Manchmal werden auch die Mächtigen zu Gefangenen ihrer eigenen Spiele. Bei Angela Merkel war es am Montagfrüh so weit. Jeder weiß inzwischen, dass die Kanzlerin mit ihren Anzugjacken Farbsymbolik treibt. Merkel weiß, dass jeder das weiß. „Ich hab’ heute früh vor meinem Kleiderschrank gestanden und irgendwie gedacht: Rot geht nicht, knallgrün geht nicht. Blau war gestern. Was machst du?“ Das Ergebnis ist mittags im Konrad-Adenauer-Haus zu besichtigen: petrolgrün. „Etwas sehr Neutrales“, betont die CDU-Chefin.

Angela Merkel habe "einen ersten Kontakt" mit Sigmar Gabriel gehabt

Im Präsidium haben sie ihr Blumen überreicht, im Vorstand lachend gefeiert, im Foyer noch einmal minutenlang geklatscht.

Für die haushohe Siegerin sind am Tag Eins nach der Bundestagswahl diese triumphalen Gesten eher lästig. Sie braucht jetzt zum Regieren einen Partner, also Fingerspitzengefühl. Einen ersten Kontakt, sagt Merkel, habe es gegeben, mit Sigmar Gabriel als dem Chef der größten Oppositionspartei. Andere Gespräche ausdrücklich nicht ausgeschlossen, aber Merkel achtet wie bei den Kleidern auf die Ordnung: Der Größere zuerst.

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Der SPD-Mann bat um Aufschub bis nach dem SPD-Parteikonvent am Freitag. „Verständlicherweise“, sagt die Kanzlerin. Sie kann warten. Bis dahin wird einfach weiter regiert. Guido Westerwelle ist gerade nach New York geflogen zur UN-Sitzungswoche, ein Außenminister auf Abruf, doch bis dahin eisern weiter Deutschlands erster Diplomat.

Sigmar Gabriel braucht jetzt Fingerspitzengefühl für seine verwundete SPD

Bei Gabriel ist der Anruf der Kanzlerin übrigens nicht gleich angekommen. Gegen neun Uhr, berichtet er am Nachmittag nach der Sitzung des Parteivorstands im Willy-Brandt-Haus, habe Merkel versucht ihn zu erreichen. Erst zwei Stunden später hat es geklappt. Ob er sie absichtlich habe warten lassen, will einer wissen. Gabriel antwortet nicht mal.

Auch für ihn ist keine Zeit für Spielchen. Auch er braucht jetzt Fingerspitzengefühl, vor allem für seine verwundete Partei. Darum: „Es gibt keinen Automatismus in Richtung großer Koalition.“ Darum: Die Entwicklung sei „absolut offen“. Erst mal sei Merkel am Zug. Auf die Formel hat sich der Vorstand geeinigt. Die Debatte war ernst, es gab, versichern Teilnehmer, keine Schuldzuweisungen. Nicht um Taktik, sondern um die Inhalte soll es gehen, versichert Gabriel: „Die SPD steht jetzt nicht Schlange oder bewirbt sich, nachdem Frau Merkel ihren jetzigen Koalitionspartner ruiniert hat.“

Kurioserweise gilt nach der Entscheidung über den Bundestag nun genau das, was die älteste deutsche Partei mit mäßigem Erfolg im Wahlkampf auf großen Plakaten versprochen hat: „Das Wir entscheidet.“ Das Wir, das sind konkret die gut 200 Mitglieder des Parteikonvents. Am Freitag sollen sie entscheiden, ob ihre Parteiführung zu Merkel gehen und mal sondieren darf. Von Forderungskatalogen und Vorbedingungen redet allerdings niemand mehr. Der Weg ist auch so schon schwierig genug. An der Basis ist der Wahlabend 2009 noch sehr präsent, als die SPD nach vier Jahren im Maschinenraum unter Merkel in den Abgrund stürzte.

Die SPD will das ungeliebte Bündnis eingehen

Aber was wären die Alternativen? Neuwahlen? Merkel würde noch stärker werden, und die FDP käme womöglich zurück. Zulassen, dass die Union die Grünen an die Brust zieht, den Koalitionspartner der Zukunft? Dann lieber das ungeliebte Bündnis eingehen und darauf setzen, dass die neun Ministerpräsidenten der SPD auch eine Macht darstellen. „Jeder, der mit uns regieren will“, sagt Vorstandsmitglied Hubertus Heil, „muss wissen, die SPD mit ihrer stolzen Geschichte und ihrer Stärke in den Ländern hat inhaltliche Vorstellungen.“ Und außerdem: Ewig – nein, ewig kann der Höhenflug dieser Merkel ja nicht anhalten. Solche Triumphe, raunt der Linken-Wortführer Ralf Stegner, hätten einen Vorzug: „Von da an geht’s bergab.“

Drüben im Adenauer-Haus wirkt solch ein Gedanke ziemlich verwegen. Für die Tiefenanalyse des Wahltags haben sie bei der CDU aber gerade sowieso keine Zeit, und wie man Merkel kennt, wird es dabei bleiben. Dabei gäbe es auch dort Grund darüber nachzudenken, ob nicht diese 41,5 Prozent in Wahrheit der zweitschlimmste Triumph aller Zeiten sind, direkt nach einer knappen absoluten Mehrheit. Schließlich dementiert diese Wahl die gängige These von der strukturell linken Republik. Merkel selbst referiert sehr richtig, dass Union und FDP im Bundestag jetzt stärker wären als bisher.

Das legt eigentlich den Schluss nahe, dass die CDU-Kampagne gegen die FDP- Zweitstimmenkampagne ein Fehler gewesen sein könnte. Aber niemand mag darüber nachdenken, ob Merkel sich vielleicht selbst nicht genug zugetraut hat, sondern sich vom Desaster der Niedersachsen-CDU hat bange machen lassen.

Kaum einer weint der FDP hinterher

Andererseits: Kaum einer weint den Freidemokraten nach. Selbst der Wirtschaftspolitiker Michael Fuchs, politisch, geographisch und persönlich dem Rheinland-Pfälzer Rainer Brüderle nahe, stellt sich auf die Realitäten ein: Ein Wahlergebnis, „das kann man sich nicht aussuchen“. Die offizielle Trauer wahrt knapp die Form. Merkel dankt kurz: „Wir haben erfolgreich zusammengearbeitet.“

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Mit wem sie demnächst am liebsten erfolgreich zusammenarbeitet – die Chefin hat es nicht offen ausgesprochen. Der seit Sonntagabend ständig wiederholte Satz „Deutschland braucht eine stabile Regierung“ lässt allerdings gewisse Rückschlüsse zu. Dass die CDU-Chefin im Parteipräsidium noch einmal auf die Rolle des Bundesrates hingewiesen hat, deutet in die gleiche Richtung. Gegen die schwarz-grüne Partnerschaft auf Bundesebene spricht – sieht man mal von den Verletzungen des Wahlkampfs ab – eben vor allem ein strukturelles Argument. Bei den absehbaren Großprojekten der nächsten Jahre – Euro-Rettung Teil Zwei, Energiewende, Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen – müssen Union und SPD, Bundestag und Bundesrat ohnehin zusammenarbeiten.

Horst Seehofer findet eine große Koalition übrigens auch „naheliegend“. Sie liegt vor allem ihm nahe. Die SPD ist für seine CSU auf absehbare Zeit keine Gefahr mehr. Die Grünen hingegen sind gerade perspektivisch in halb Bayern auf dem Weg zur zweiten Volkspartei; sie in Berlin an den Kabinettstisch zu holen würde seine christsoziale Nächstenliebe ziemlich strapazieren.

Ist schwarz-grün noch ein Tabu?

Andere sehen das Thema entspannter. Die CDU in Baden-Württemberg hat mit mehr als zwölf Prozent so stark zugelegt wie niemand sonst. Landeschef Thomas Strobl strahlt schon am Wahlabend wie frisch lackiert. Im Präsidium plädiert der Parteivize dafür, auch mit den Grünen sehr ernsthaft zu reden. NRW-Chef Armin Laschet unterstützt ihn, ebenso Wolfgang Schäuble: Die CDU müsse „offen bleiben“ für Bündnisse. Schwarz-Grün ist im Südwesten schon lange kein Tabu mehr. Perspektivisch sind die Grünen für Strobls CDU keine Konkurrenz, sondern wünschenswerter Partner.

Merkel wird also, so hat es die CDU- Spitze einmütig beschlossen, mit beiden Oppositionsparteien reden, ernsthaft und nicht bloß zum Schein. Wobei der erste Kontakt zu den Grünen noch auf sich warten lassen dürfte: „Im Moment wissen wir ja nicht mal, wen wir da anrufen könnten“, sagt ein Christdemokrat.

Die Grünen sind ihrerseits auch ganz froh darüber, dass Merkel nicht vor ihrer Tür steht. Wenn die Bundeskanzlerin zu Gesprächen einlade, sagt der Vorsitzende Cem Özdemir artig, werde seine Partei sich selbstverständlich nicht verweigern. Man dürfe aber „sicher ein Fragezeichen dahinter machen“, ob solche Gespräche zu einem Erfolg führten.

Der Schwabe Özdemir ist eigentlich kein Gegner schwarz-grüner Bündnisse. Aber aus der jetzigen Position der Schwäche in Verhandlungen zu gehen, wäre schwierig, sagt eine einflussreiche Politikerin aus der Fraktion. Man würde da wenig durchsetzen können, was wiederum der Basis kaum zu vermitteln wäre. Und außerdem hat sich die Partei im Wahlkampf strikt auf die SPD fixiert – niemand hat an ein Bündnis mit der Union gedacht, geschweige es vorbereitet.

Generationenwechsel bei den Grünen

Die Frage, die Özdemirs Co-Chefin Claudia Roth stellt, ist denn auch rhetorisch gemeint: „Wie soll es bitteschön mit CDU und CSU in die richtige Richtung gehen?“ Die Grünen seien „keine Funktionspartei, die jetzt für Frau Merkel den Ausputzer spielt, weil ihr ein paar Stimmen fehlen“.

Das soll stark klingen, dabei ist es bloß trotzig. Die Grünen haben eine krachende Niederlage erlitten. Keine Rede mehr von einer neuen Volkspartei, Rot-Grün ist in weiter Ferne. Das Wahlergebnis wird bei Analyse der Zahlen noch übler. Mehr als sechs Millionen Bürger wollte Spitzenkandidat Jürgen Trittin gewinnen. 3,7 Millionen sind es geworden. Das sind zusammen ungefähr so viele, wie Merkel für die Union diesmal allein dazugewonnen hat.

Dass nach einer solchen Niederlage auch Köpfe rollen, ist klar. Genaueres weiß man nicht, aber Özdemir redet schon mal von Generationenwechsel: „Es ist immer gut, wenn man nach einem Wechsel einer Legislaturperiode jüngere Gesichter stärker einbindet – und das werden wir sicherlich machen.“ Dann verschwindet er zu den Beratungen der Parteispitze. Er verrät noch nichts, wozu er und seine Co-Vorsitzende Roth sich entschlossen haben. Doch wenig später sickert die Nachricht aus den Gremiensitzungen: Alle Mitglieder des Bundesvorstands und des Parteirats, den beiden höchsten Gremien der Grünen, werden auf dem Parteitag in einigen Wochen ihr Amt zu Verfügung stellen.

Grüne Führung stellt ihr Amt zur Verfügung

In Claudia Roths Augen glitzert es verdächtig, als sie diesen Schritt am späten Mittag vor der Presse erklärt. Die Bayerin, die wie keine andere die Seele der Partei repräsentiert, steht auf der Bühne in der Columbiahalle, neben ihr Özdemir und die beiden Spitzenkandidaten Katrin Göring-Eckardt und Jürgen Trittin. Am Abend war hier die grüne Wahlpartei, jetzt ist es der Ort des Scherbengerichts.

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Roth spricht von einer „Neuaufstellung für 2017“, von einem „Signal in die Partei und an die Öffentlichkeit“. Sie selbst habe schon entschieden, ob sie noch einmal antrete. Sie wolle sich aber erst der Partei und der neuen Fraktion erklären. Dabei ist klar, was sie dort sagen wird, so, wie sie hier um Fassung ringt. Nach neun Jahren an der Spitze gewöhnt sie sich offenkundig schon an den Gedanken, dass es vorbei ist. Özdemir meldet dafür umso deutlicher seine Ambitionen an: Er sehe seine Rolle „weiter an der Spitze der Partei“, sagt er selbstbewusst. Er hofft offenbar, dass er mit seinen 47 Jahren immer noch für den Generationswechsel steht. Er hofft wohl auch, dass bald in den Hintergrund gerät, dass er auch sein persönliches Ziel verfehlt hat: Aus dem ersten grünen Direktmandat in Stuttgart ist nichts geworden, so wenig wie in Freiburg übrigens.

Darüber redet Özdemir aber nicht. Dafür macht er schon mal Ernst mit der „schonungslosen“ Analyse, die die Grünen-Führungsriege am Wahlabend angekündigt hat. Jürgen Trittin steht nur wenige Meter neben ihm, die Arme vor dem Körper verschränkt. Manchmal verzieht er das Gesicht. Es ist auch eine Abrechnung mit seinem Wahlkampf, die Özdemir nun vornimmt: Beim Thema Steuern hätten die Grünen den Leuten das Gefühl vermittelt, dass sie belastet werden sollen. Sie seien als Verbotspartei wahrgenommen worden und hätten ihre grünen Kernkompetenzen vernachlässigt, Stichwort Energiewende. Und dann auch noch die Pädophilie-Debatte. Hier wolle man sich demnächst mit Zeitzeugen und Experten an einen Tisch setzen.

Unterschiedliche Erklärungen für das Wahldebakel der Grünen

Wenn diese Analyse stimmt – und es gibt kaum jemanden, der ihr widersprechen würde – müsste sie weitere Konsequenzen haben. Trittin und Göring-Eckardt könnten sich jetzt für den Fraktionsvorsitz bewerben. Beide weichen dem Thema aus. „Wir werden dieses gemeinsam diskutieren und gemeinsam entscheiden“, sagt Trittin. Auch hier entscheidet wahrscheinlich ein Wir: Der Länderrat am Sonnabend in den Uferhallen in Berlin, bei dem die Grünen-Prominenz aus Bund und Ländern vertreten sein wird. Oder das Treffen mit den Landesvorsitzenden am Freitag, bei dem die Lage der Partei nach dem Wahldebakel besprochen werden soll. Außerdem treffen sich an diesem Dienstag im Protokollsaal des Reichstags die neuen und die alten Abgeordneten. Für etliche von ihnen bedeutet der Wahlabend völlig unerwartet das Aus. Sie müssen jetzt ihre Büros räumen.

Der Sound, den Trittin bei seiner Wahlanalyse am Sonntagabend vorgegeben hat, stößt auf deutlichen Widerspruch. Trittin hatte „massiven Gegenwind“ ausgemacht, für den die „mächtigen Interessengruppen in diesem Land“ gesorgt hätten. Ich war’s nicht, die bösen Kapitalisten waren es? „Eine Kampagne funktioniert nur dann, wenn man selbst die Vorlage liefert“, entgegnet die Abgeordnete Brigitte Pothmer aus Niedersachsen, eine der Koordinatoren des Realoflügels. „Wir dürfen jetzt nicht so tun, als hätten wir unser Programm nur schlecht erklärt. Wir haben auch in der Sache Fehler gemacht.“

 

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