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Berlin - Dorf ohne Olympia

Der Regierende Bürgermeister Michael Müller findet es „müßig“, über die Niederlage bei der Olympia-Bewerbung zu reden. Wenn Wurstigkeit und Selbstüberschätzung olympische Disziplinen wären, dann hätte Berlin auf jeden Fall eine Goldmedaille verdient

Alexander Marguier

Autoreninfo

Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Am Beispiel von Chuck Norris kann man sehen, wie Legendenbildung funktioniert. Der schlagkräftige Martial-Arts-Darsteller ist altersbedingt zwar schon länger nicht mehr in Hochform. Aber als er vor ein paar Tagen seinen 75. Geburtstag feierte, machten wieder ungezählte „Chuck-Norris-Facts“ die Runde. Das sind ironische Miniaturen, mit denen der unerschütterliche Durchsetzungswille des ehemaligen Karate-Weltmeisters gespiegelt werden soll: „Chuck Norris isst keinen Honig, er kaut Bienen“ oder „Chuck Norris trägt keine Uhr, er entscheidet selbst, wie spät es ist“, zum Beispiel.

Wahrscheinlich ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis sich der Jokus der „Hauptstadt-Facts“ etabliert. Ganz nach dem Vorbild der Chuck-Norris-Witze, nur eben mit umgekehrten Vorzeichen. Vielleicht so nach der Art: „Berlin braucht keinen Flughafen. Es ist schon abgehoben.“ Oder: „Berlin bewirbt sich für die Olympischen Spiele. Ein Dorf ist es bereits.“ Lustig wäre auch folgender Satz, der sich ebenfalls auf Olympia bezieht: „Hamburg braucht für solche Projekte eine Vision. Berlin ist eine Vision.“ Doch halt, die letztgenannte Feststellung ist gar keine Sottise, sondern ganz ernst gemeint, nachzulesen in der B.Z. („Berlins größte Zeitung“, drunter geht’s auch da nicht) vom Mittwoch.

Berlin entpuppt sich als Hanswurst


Und damit ist das Elend eigentlich vollumfänglich benannt. Es manifestiert sich im weitverbreiteten Glauben, historische Größe und touristische Anziehungskraft seien schon das Versprechen auf eine goldene Zukunft. Tatsächlich verfügt Deutschlands Hauptstadt weder über eine Vision, noch ist es gar selbst eine. Im Gegenteil: Wenn Wurstigkeit und Selbstüberschätzung olympische Disziplinen wären, dann hätte Berlin auf jeden Fall eine Goldmedaille verdient.

Das Berliner Olympia-Debakel ist eben gerade keine Verschwörung finsterer Mächte, wie der zuständige Sportsenator glauben machen möchte (ein Mann übrigens, der sich ganz locker das Amt des Regierenden Bürgermeisters zutraut). Sondern eine Folge bräsiger Arroganz, auch gegenüber einem agilen Konkurrenten wie Hamburg. Der Senat war offenbar der Auffassung, ein Hauptstadtbonus allein werde schon ausreichen, um vom Deutschen Olympischen Sportbund ins Rennen um die Spiele geschickt zu werden. Entsprechend halb-, wenn nicht viertelherzig verlief die Kampagne unter dem ohnehin fragwürdigen Titel „Wir wollen die Spiele“: too little, too late.

Da galt es dann schon als bemerkenswert, wenn immerhin der Sportsenator persönlich in der Öffentlichkeit den Olympia-Sticker am Revers trug. Dem regierenden Bürgermeister war selbst das zu viel, von politischem Engagement für das Vorhaben ganz zu schweigen. Jetzt ist Berlin, sind seine Bürger einmal mehr blamiert. Der vermeintliche Chuck Norris unter den deutschen Städten entpuppt sich abermals als Hanswurst.

Michael Müller findet eine Analyse der Niederlage „müßig“


Natürlich ist die Frage berechtigt, ob es für eine Metropole unter den gegebenen Umständen überhaupt erstrebenswert ist, Austragungsort eines solchen sportlichen Megaevents zu sein. Der Berliner Senat hat dies offensichtlich mit ja beantwortet, sonst wäre eine Teilnahme am Auswahlverfahren unverantwortlich gewesen. Unverantwortlich ist es aber auch, die Herausforderung anzunehmen, sich ihr dann aber nicht ernsthaft zu stellen. Manchmal fragt man sich, ob den Herrschaften eigentlich klar ist, dass es sich um das Geld der Steuerzahler handelt, mit dem eine derart lustlose Olympiabewerbung finanziert wird.

Die Kohle jedenfalls ist jetzt verbrannt, Nachfragen sind unerwünscht. Es sei „müßig“, nun die Gründe für die Absage an Berlin zu analysieren, so der Regierende Bürgermeister Michael Müller am Tag nach dem Debakel. Anders gesagt: Das Stadtoberhaupt ist nicht einmal bereit, die vertanen Aufwendungen als Lehrgeld zu verbuchen. Wozu auch? Berlin hat’s ja, kann’s ja und weiß es ohnehin immer besser.

Also Schwamm drüber.

Dabei hat der missratene Olympiaanlauf Berlins nicht nur die in der Hauptstadt gepflegten Mentalitätsprobleme beleuchtet, sondern vor allem strukturelle politische Defizite. Die im Senat herrschende Angst vor der eigenen Courage war ja letztlich nichts anderem als dem Misstrauen gegenüber der eigenen Bevölkerung geschuldet. Die hätte nämlich am Ende noch darüber abstimmen müssen, wie sie es mit den Olympischen Spielen in ihrer Stadt hält. Ein negatives Votum könnte da natürlich den einen oder anderen Olympiabefürworter unter den Spitzenpolitikern als begossenen Pudel dastehen lassen; die Erinnerungen an das Debakel wegen der Bebauung des ehemaligen Flughafens in Tempelhof sind noch frisch. Also lautete die inoffizielle Devise: Ja zu Olympia, aber möglichst so, dass es keiner merkt. Das Ergebnis war entsprechend.

Olympia-Bewerbung steht für politisches Systemversagen


Die Berliner Olympia-Versuchsanordnung dürfte als Beispiel für politisches Systemversagen in die Geschichte eingehen. Dabei hätte es auch anders laufen können, laufen müssen: am Anfang ein Regierender Bürgermeister, der öffentlich und mit nachvollziehbaren Argumenten für die Spiele in seiner Stadt wirbt; danach eine Abstimmung darüber, ob die Bevölkerung mitzieht; falls ja, folgt eine engagierte Bewerbung, die auch Geld kosten darf. Tatsächlich lief es exakt andersherum, und anstatt politische Überzeugungsarbeit zu leisten, wurde das Feld einem privaten Meinungsforschungsinstitut mit einer Last-Minute-Telefonumfrage überlassen. Wenn das die Auswüchse direkter Demokratie sind, verheißt es jedenfalls nichts Gutes.

Ach ja: Wenn Chuck Norris Liegestütze macht, drückt er nicht sich nach oben, sondern die Erde nach unten. Und wenn Berlin die Olympischen Spiele nicht bekommt, dann natürlich nur, weil die Welt sonst vor Ehrfurcht erstarren würde.

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