- Räuber und Schreiber
Die Herabsetzung der Politik durch die Berliner Medien hat einen neuen Höhepunkt erreicht
[[{"fid":"60267","view_mode":"full","type":"media","attributes":{"height":190,"width":139,"style":"width: 139px; height: 190px; margin: 4px; float: left;","class":"media-element file-full"}}]]Dieser Artikel ist eine Kostprobe aus der November-Ausgabe des Cicero. Wenn Sie keine Ausgabe des Magazins für politische Kultur mehr verpassen wollen, können Sie hier das Abonnement bestellen.
Wen haben die Deutschen da bloß gewählt? Einen Gauner namens Gabriel mit 25 Prozent der Stimmen, eine Marodeurin namens Merkel mit 42 Prozent. Der Spiegel hat das Delinquenten-Duo gleich nach der Wahl auf dem Titelblatt zur Fahndung ausgeschrieben: den Gabriel mit Foulard vor dem Mund, wie beim Banküberfall im Wilden Westen, die Merkel mit schwarzer Larve vor den Augen, wie die Panzerknacker bei Donald Duck.
Aber was heißt hier: Der Spiegel hat? Focus hat ebenfalls: Das Münchner Wochenmagazin zeigt Gabriel und Merkel mit Zorro-Masken, der Rote trägt einen Sack mit Beute über der Schulter, die Schwarze hat den Sack vorm Bauch, Banknoten quellen daraus hervor.
Das Geld der Bürger in den Händen der wichtigsten Politiker dieser Republik – und dargestellt werden sie als Räuber. Ja, Räuber, denn darauf läuft die Suggestion hinaus: Die rauben das Geld für sich, für die classe politique, nicht etwa für Schulen, Straßen oder Renten. Deshalb sind sie dingfest zu machen, bevor sie mit ihrer Beute verschwinden.
Das Thema, um das es geht, sind Steuererhöhungen: Gabriels SPD forderte sie, Merkels CDU ließ durchblicken, sie sei dagegen. In den Gesprächen über die Große Koalition ist das Thema unumgänglich, es gilt, die Möglichkeit eines Kompromisses auszuloten. Wie es eben so ist in einer Demokratie. Wie es sein sollte.
Doch in den Reichstagsmedien ist das anders. Der Spiegel schleudert der Kanzlerin in der Steuersache entgegen: „Versprochen, gebrochen.“ Und was schleudert Bild der Kanzlerin entgegen? Genau: „Versprochen, gebrochen.“
So weit ist es gekommen mit den Medien der Berliner Republik: Spiegel ist Focus ist Bild ist Spiegel. Tobte nicht gerade gestern noch die Debatte, ob Nikolaus Blome, politischer Tonangeber bei Bild, als stellvertretender Chefredakteur und Berliner Büroleiter zum Spiegel passe? Blome passt überall hin. Jacke wie Hose.
Für die medialen Stimmungsmacher der Hauptstadt zählt einzig und allein: die möglichst spektakuläre, möglichst effektvolle Herabsetzung der Politik. Und so wird der Leser belehrt: Nichts, was Politiker tun, tun sie ehrlich. Nichts, was sie beabsichtigen, hat einen ehrenwerten Grund.
Auch dazu ein Beispiel aus dem Hamburger Nachrichtenmagazin, das in der Disziplin der Politikverachtung die Spitzenschreiber stellt: „Parteichef Gabriel und der Fraktionsvorsitzende Steinmeier müssen um ihre Ämter fürchten. Die einstigen Rivalen haben sich in der Not verbündet.“
Eh voilà! Etwas anderes als Ämterschacher kann Gabriel und Steinmeier gar nicht beseelen. Dass die zwei Sozialdemokraten womöglich aus sachlichen Gründen zusammenarbeiten könnten, beispielsweise im Interesse der Partei oder gar zum Wohle des Landes – völlig undenkbar: Politiker manipulieren nun mal, mauscheln, raffen, ob mit Überfallmaske oder ohne.
Das Magazin der Süddeutschen Zeitung verführte Peer Steinbrück zu einem Interview, das als Antwort auf sieben Fragen nur Mimik und Gestik zuließ. Eine originelle journalistische Idee, die auf den Humor des Interviewten abzielt. Der SPD-Kanzlerkandidat spielte mit und beantwortete die Frage nach bösen Spitznamen wie „Pannen-Peer“ mit gestrecktem Mittelfinger – im Kontext dieser Interviewform eine angemessen witzige Aussage. Das SZ-Magazin fabrizierte daraus sein Titelbild. Und Steinbrück zeigte nun den Lesern, Bürgern und Wählern den Stinkefinger.
Wie die Süddeutsche so die Frankfurter Allgemeine. Deren Sonntagszeitung fragte Steinbrück, ob die Kanzlerin zu wenig verdiene. Der Kandidat gab redlich Antwort: Eine Bundeskanzlerin oder ein Bundeskanzler verdiene gemessen an der Leistung „zu wenig“. Auf der Frontseite schlug die FAS ihrem Interview-Gast die Antwort um die Ohren: „Steinbrück und das liebe Geld.“ Und der ganze deutsche Medienchor sang den Refrain: „Peer will mehr.“
Es gilt nicht länger das geschriebene Wort der Politiker und auch nicht das gesprochene. Nein, es gilt grundsätzlich dessen schlimmstmögliche Interpretation.
Peer Steinbrück erlebte es auch nach einem humorvoll geführten Gespräch auf der Bühne des „Berliner Ensembles“, wo er erklärte, keinen Pinot Grigio unter fünf Euro die Flasche zu trinken. Die freudlosen Berliner Alphajournalisten fabrizierten daraus flugs den Luxussozi.
Rainer Brüderle, Spitzenkandidat der FDP, musste die Inquisition über sich ergehen lassen: Der Stern brachte ihn mit einer attraktiven Journalistin zusammen, der Brüderle in einer Bar deplatzierte Altherrenkomplimente machte. Die Hamburger Illustrierte setzte einen Scheiterhaufen in Brand, den alsogleich frühe und späte Feministinnen umtanzten. Die Kampagne lief unter dem Slogan „Aufschrei“, als ginge es nicht um einen Fauxpas, sondern um Totschlag.
Brüderle war verbrannt. Und als seine Liberalen schließlich aus dem Bundestag gewählt waren, höhnte die Süddeutsche Zeitung hinterher: „FDP schleicht von dannen.“ Klar, Verlierer gehen nicht in Würde, sie wird ihnen medial aberkannt.
Ein Meisterstück der Herabsetzung leistete sich Dirk Kurbjuweit im Spiegel: Seine Charakterstudie Peer Steinbrücks wurde zur Charakterstudie in journalistischer Anmaßung: Kurbjuweit berief sich selbst zum Gutachter des Wähler-Gerichts, der SPD-Kanzlerkandidat erschien darin als trauriger „Clown“.
So geht es zu, wenn in Berlin über die Politik geschrieben wird – gerichtet wird. Das Wort eines Politikers kann nicht nur gegen ihn verwendet werden; es wird gegen ihn verwendet.
Weshalb aber hat Angela Merkel die denunziatorische Methode der Medien bisher so gut überstanden? Vielleicht, weil sie seit je beherzigt, was ihr früherer Chef Lothar de Maizière, erster demokratisch gewählter Ministerpräsident der DDR, in einem Gespräch offenbarte: „Wir haben in der DDR zwei Sprachen gelernt. Eine für zu Hause und eine für die Stasi.“ Die Sprache für die Stasi: nichts sagen, wenn man redet.
Wer in der Berliner Republik Erfolg haben möchte, lernt am besten ebenfalls zwei Sprachen: eine für zu Hause – und eine für die Medien.
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