Bundesfinanzminister Christian Lindner / picture alliance

Haushaltskrise - Ampel-Koalition will für 2023 Schuldenbremse aussetzen

Nach dem Karlsruher Haushaltsurteil drohte ein Verfassungsbruch im Etat für das laufende Jahr. Das will die Ampel-Koalition jetzt heilen – indem sie eine außergewöhnliche Notsituation erklärt.

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Die Ampel-Koalition will wegen des Karlsruher Haushaltsurteils für dieses Jahr die Ausnahmeregelung der Schuldenbremse nutzen. Er werde dem Kabinett in der kommenden Woche in Absprache mit Kanzler Olaf Scholz (SPD) und Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) einen Nachtragshaushalt vorlegen, kündigte Finanzminister Christian Lindner (FDP) am Donnerstag in Berlin an. Eine Ministeriumssprecherin fügte hinzu, die Bundesregierung werde dem Bundestag vorschlagen, eine außergewöhnliche Notlage zu erklären. Auf diesem Weg sollen Kredite nachträglich rechtlich abgesichert werden, die in diesem Jahr bereits genutzt wurden.

Ohne die Absicherung hätte nach dem Urteil der Karlsruher Richter im Haushalt 2023 ein Verfassungsbruch gedroht. Denn die Richter entschieden, dass der Bund sich Notlagenkredite nicht für spätere Jahre auf Vorrat zurücklegen darf. Genau das hat der Bund nach Auffassung von Experten im Wirtschaftsstabilisierungsfonds für die Energiepreisbremsen aber gemacht.

Aus diesem wurden in diesem Jahr bis Ende Oktober auch bereits 37 Milliarden Euro ausgegeben, bis Jahresende dürfte weiteres Geld hinzukommen. Außerdem sollen Hilfen aus einem Fonds für Flutopfer abgesichert werden, der 2021 unter ähnlichen Bedingungen entstanden war. Insgesamt sollen Kredite in Höhe von rund 45 Milliarden Euro auf eine verfassungsrechtlich gesicherte Grundlage gestellt werden. „Es werden keine neuen Schulden aufgenommen, sondern lediglich die bereits abgeflossenen Mittel zur Krisenbewältigung auf eine sichere Rechtsgrundlage gestellt“, betonte Lindners Sprecherin.

Der Minister erklärte: „Ich betrachte es als meine Aufgabe, jetzt reinen Tisch zu machen.“ Erst dann könne man über den Haushalt des kommenden Jahres und über die nächsten Jahre sprechen.

Notlage könnte mit Energiekrise begründet werden

Um die Ausnahme der Schuldenbremse zu nutzen, muss der Bundestag eine Notlage beschließen. Das ist laut Artikel 115 des Grundgesetzes vorgesehen „im Falle von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen“. Zur Begründung einer solchen Notlage könnte der Bund nach Auffassung von Sachverständigen argumentieren, dass die Folgen der Energiekrise Anfang 2023 noch spürbar waren. Experten hatten in einer Anhörung im Bundestag deutlich gemacht, dass dies aus ihrer Sicht einen erneuten Notlagenbeschluss rechtfertige.

 

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Der Bundesetat für das laufende Jahr soll durch den Nachtragshaushalt noch vor Jahresende rechtzeitig auf verfassungsrechtlich sichere Füße gestellt werden. Wann der Bundeshaushalt für das kommende Jahr beschlossen werden kann, ist dagegen noch offen. Der Entwurf muss nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts gründlich umgekrempelt werden.

Beschluss-Datum für Etat 2024 weiter offen

Die Ampel-Fraktionen von SPD, Grünen und FDP haben den für die kommende Woche geplanten Haushaltsbeschluss im Bundestag deswegen abgesagt. Einen Abschluss vor Jahresende haben sie aber noch nicht ganz aufgegeben. Es gebe die Möglichkeit von Fristverkürzungen und Sondersitzungen, heißt es in der Koalition. Scholz sagte am Mittwochabend, er rechne mit einem zügigen und sehr zeitnahen Abschluss.

Er betonte auch, die Ampel wolle an ihren Plänen in der Sozial-, Klima- und Wirtschaftspolitik festhalten. Offen ist trotzdem weiter, was mit den Projekten konkret passiert, die aus dem Klima- und Transformationsfonds finanziert werden sollten. Diesem Sondertopf für Klimaschutz und die Entwicklung einer CO2-neutralen Wirtschaft fehlen nach dem Karlsruher Urteil 60 Milliarden Euro, die schon fest verplant waren. Das Gericht hatte die Umwidmung dieser eigentlich zur Corona-Bekämpfung bewilligten Kredite für nichtig erklärt.

Die rechtlich verbindlich zugesagten Ausgaben seien im kommenden Jahr trotzdem zu stemmen, heißt es in der Koalition. Der Fonds hat unter anderem auch Einnahmen aus dem CO2-Preis. Doch das restliche Geld wird nicht für alle Vorhaben ausreichen. Wo gekürzt, priorisiert oder ganz gestrichen wird, ist zwischen SPD, Grünen und FDP stark umstritten.

CDU-Politiker für Reform der Schuldenbremse

Ökonomen und auch Politiker von SPD und Grünen hatten zur Lösung des Problems eine Reform der Schuldenbremse angeregt. Am Donnerstag plädierte nun überraschend auch ein CDU-Ministerpräsident dafür. „Die Schuldenbremse ist im Sinne solider Finanzen eine gute Idee. Ihre derzeitige Ausgestaltung halte ich allerdings für gefährlich“, erklärte Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner auf X (vormals Twitter) ebenso wie in einem Interview des Magazins „Stern“. „Denn, wie ich schon länger sage, ist zu befürchten, dass die Schuldenbremse mehr und mehr zur Zukunftsbremse wird.“ Für Investitionen sollten Kredite seiner Ansicht nach zulässig sein, sagte Wegner.

CDU-Parteichef Friedrich Merz hatte die Schuldenbremse in der ARD-Talkshow „Maischberger“ zuvor verteidigt. „Ich sehe im Augenblick nicht, dass wir an die Schuldenbremse heran müssen“, sagte er.

dpa

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Gunther Freiherr von Künsberg | Do., 23. November 2023 - 17:58

liegt in der Tat vor. Allerdings handelt es sich nicht um eine solche wie sie vom GG vorgesehen ist, sondern wie sie aufgrund des ideologisch bedingten rechtswidrigen Haushalts entstanden ist. Bemerkenswert ist, dass diese Rechtsverletzung vorsätzlich stattgefunden hat, was die Situation verschlimmert. Wenn jetzt die Ampel eine neue außergewöhnliche Notsituation konstruiert droht ein weiterer Verstoß gegen grundgesetzlich vorgegebene Haushaltsregeln.
Man muss sich das Verhältnis von Ursache und Wirkung vor Augen führen. D ist mit noch nicht einmal 2 % am weltweiten CO2 Ausstoß beteiligt. Eine 100-%-ige Klimaneutralität hätte somit keinerlei Auswirkung auf das weltweite Klima. Trotzdem riskiert die Ampel einen Rechtsbruch, der zu allen Überfluss auch noch nachfolgende Generationen schwer belastet.
Diese Verantwortungslosigkeit ist nicht mehr zu toppen.

RichardBerlin | Do., 23. November 2023 - 18:06

Vor einiger Zeit hörte ich den klugen Satz:
Wenn Politiker Geld ausgeben können ist es so, wie wenn man einem Hund sagt: Hier sind zwei Knochen, den zweiten darfst du erst am nächsten Tag essen.

Bernd Windisch | Do., 23. November 2023 - 18:53

Sollte sich die Bundesregierung tatsächlich eine Notlage zusammenfabulieren und am Ende damit durchkommen wäre auch der letzte Rest an Reputation dahin.

Aber auch der letzte Wähler müsste nun erkennen, dass die Wummse und Doppelwummse ganz ordinäre Schulden sind.

Es war einmal ein reiches Land, dem ging es eine Zeitlang anscheinend viel zu gut. Es fing an sich, um Kopf und Kragen zu investieren.

Kein Wunder, dass sich ausgerechnet die Berliner CDU sich als natürlicher Feind der Schuldenbremse geriert. Pleite und kein bisschen sexy

Ingofrank | Do., 23. November 2023 - 20:09

Lindner in Spiel bringt…. In Abstimmung mit Grünen & Sozen ….

wird das Totenglöckchen der FDP, die nach jeder verlorenen Landtagswahl immer lauter wird zur Gloriosa ! (größte mittelalterliche Kirchenglocke der Welt mit knapp 11,5 to die im Erfurter Dom zu sehen ist)
Dieser Finanzminister & seine Partei, wird nach Ende der Legislatur, wann immer das sein wird, „seine“ one Man Show in der außerparlamentarischen Opposition aufführen können! Da muss es aber für die FDP nach dem Ende sehr, wirklich sehr gut laufen.
Mit freundlichen Gruß aus der Erfurter Republik

Gerhard Lenz | Do., 23. November 2023 - 20:31

Hat den Finanzminister etwa die Realität eingeholt? Kein Verschanzen mehr hinter der engen Auslegung selbstverschuldeter, verfassungsrechtlicher Zwänge?

Man muss doch dem Dilemma ins Auge sehen: Die ganze Panne wäre vermeidbar gewesen, wenn man sich nicht selbst in ein Korsett eingeschnürt hätte, das in normalen Zeiten vielleicht wunderbar passt, in Zeiten wie dieser - Klimakrise einerseits und Putin-Krieg mit Energiekrise und Inflation andererseits - völlig ungeeignet ist.

Die wahnsinnig disziplinierte Idee, sich das Schuldenmachen zu verbieten, wurde in "normalen, ruhigen Zeiten" in Gesetzesform gegossen, als man noch dazu über die Klimakrise nur in Expertenzirkeln debattierte.

Gibt es aussergewöhnliche Ausgaben, müssen aussegewöhnliche Einnahmen her. Da Steuererhöhungen für die FDP noch schlimmer sind als z.b. die großflächige Beulenpest, und Sparmöglichkeiten gering sind, bleibt nur die Aufnahme von Krediten.
Das ist bei der schwäb. Hausfrau im banalen Alltag nicht anders.

Dieter Paul Ernst Bleek | Do., 23. November 2023 - 20:52

Erst Notlage herbeiführen (KKW abschalten,Gas Boykott )dann Schuldenbremse aussetzen. Gute Idee, herzlichen Glückwunsch liebe Ampel.

Albert Schultheis | Do., 23. November 2023 - 22:47

Für Lindner und die Schrott-FDP ist das jetzt der Lackmus-Test: Lindner hat jetzt die letzte Chance, sich bei seinen (wenigen) Wählern zu rehabilitieren - er könnte jetzt seine prahlerische Funktion als politisches Korrektiv der Vernunft in der Ampel unter Beweis stellen und diese eidbrüchige, verfassungsbrüchige Koalition hochgehen lassen und beenden. Sollte er aber der aus dem Hut gezauberten "außergewöhnliche Notsituation" jetzt zustimmen, dann sind er und seine FDP tot. Verbrannt. Also Lindner, spring du Feigling!

Norbert Heyer | Fr., 24. November 2023 - 08:55

Da braucht man garnicht lange zu rechnen: Die Einwanderungspolitik wird mittelfristig immer mehr Geld fordern, die Bundeswehr sollte wieder sich wehren können, das Bürgergeld ist höher als 50 Jahre Arbeit im unteren Lohnbereich. Weiter Entwicklungshilfe an Länder, die zum Mond (Indien) und Mars (China) fliegen. Nur einige Punkte, wo Sparpotenzial ist. Aber man holt es sich bei den Reichen (minimal) und dem Mittelstand (riesige Summen) und besteuert den Atem (CO2-Steuer), höhere Frachtkosten(verteuert alles) und im Gastgewerbe(19% UMST). Auch das wird nicht reichen, es wird bei der Ampel niemals reichen, sie können einfach nicht rechnen und planen. Sie erhöhen bewusst die Energiepreise, um dann mit Zuschüssen die hohen Kosten zu mildern. Sie zahlen Unsummen für amerikanisches Gas und für russisches Gas, dass als indisches Gas deklariert wird. Wer so eine wahnhaft-ideologische Politik betreibt, dem kann man nicht helfen, die müssen weg von den Hebeln der Macht, bevor alles
zerbricht.

Ernst-Günther Konrad | Fr., 24. November 2023 - 08:55

Natürlich knickt Lindner ein. Für den Moment will er die Sache beruhigen und die Schuldenbremse für 2023 aussetzen. Und die werden das durchziehen, wenn die FDP-Basis-Umfrage zum Ausstieg aus der Ampel nicht noch für den nächsten Knaller sorgt. Obwohl. Würden die einen Ausstieg umsetzen? Und was macht die UNION, zunächst mit ausgerechnet der Berliner OB? Er will das für 2024 mittragen. Ich nehme an, dass Wegner sich im Gegenzug Entschuldung bzw. noch mehr Geld für seinen chaotischen Senat einfordern wird. Und ich denke mal, selbst die UNION wird mitmachen, nur um zu verhindern, dass wenn sich die Ampel selbst das Licht ausschaltet, die AFD bei Neuwahlen in einer Regierung nicht mehr zu verhindern ist. Und was Merz in einer Talkshow sagt ist doch nur von kurzer Dauer. Er sieht dies im Moment nicht. So ein Moment hält nicht mal bis an das Ende eines Tages. Nein, die machen weiter wie bisher und holen irgendwie die UNION ins Boot. Dann muss eben die AFD gegen den neuen Haushalt klagen.

Jürgen Rachow | Fr., 24. November 2023 - 13:29

...die Notverordnungspolitik des ehemaligen Reichskanzlers Brüning in den Sinn.

Der Anfang vom Ende der damaligen Weimarer Republik.