- Selbstbezogene Kapitulation vor der bösen Welt
Kolumne Stadt, Land, Flucht: Neueste Studien trachten danach, das Image der Generation Y zu retten. Die sei keineswegs faul und selbstbezogen, sondern revolutioniere die Gesellschaft auf vielen Ebenen, heißt es da. Aber ob das stimmt?
Ach. Sinnentleertes Trübsal. Ist es die scheidende Sommerwärme? Am frühen Morgen liegt der Tau schon nasskalt auf den Wiesen, der Atem der Pferde wird langsam sichtbar, wenn sie ihre Nasen aus dem taunassen Gras erheben. Abends, wenn die Hühner wie gewohnt vor das Küchenfenster staksen, um sich ihre Insekten zu fangen, wird es schneller kalt, immer früher huschen sie in den rettenden Stall und ruckeln sich Po an Po auf ihrer Stange zurecht.
Die Nachrichten sind nicht weniger trist. Wie immer in der Sommerpause sind Auslandsthemen präsent in der Tagesschau. Keine sedierend-demokratische Bundestagsdebatte verscheucht die Grausamkeiten aus der allabendlichen 20-Uhr-Hölle: Tote Kinder in Gaza, hungernde Jesiden im Irak, Rassismus in Amerika, Ohnmacht in der Ostukraine, Aufbruchstimmung nur in Japan: Da ziehen die ersten Bewohner wieder in den Gürtel um die zerkrachten Atommeiler von Fukushima – und bauen dort Reis an.
Was bleibt, ist Unglaube und Beklemmung und der Wunsch, gar nicht so viel wissen zu wollen von der Welt da draußen. Sich konzentrieren auf das Jetzt vor der Haustür: Wann wird die letzte Wiese gemäht? Hält das Wetter, um die Heuernte einzufahren? Wann kommt der Herbst mit Wind und Regen? Die Fragen, die mich zur Zeit am meisten interessieren, sind nicht weltbewegend, sicher nicht kolumnentauglich.
Lockere Themen, die sich dafür anböten, kommen so belanglos daher: Die Ice-Bucket-Challenge? Da kann man sich drüber aufregen. Man kann es aber auch sehr gut sein lassen. Andere Dinge, zu denen es meiner Meinung bedarf? Cem Özdemir, Grünen-Chef, der neben einer Hanfpflanze posiert? Das geringelte T-Shirt mit Sheriffstern einer Modemarke, das einem Judenstern ähnelt? Eine neue Vorrichtung mit der man im Flugzeug den Vordermann daran hindert, seine Rückenlehne zu verschieben? Ach was. Warum?
Familie und Freunde sind das Wichtigste
Jahrgangstechnisch bin ich seit ein paar Jahren raus aus dieser Generation Y (- Y steht für „Why“/Warum). Lese ich aber die Analysen, die Soziologen und andere kluge Menschen in den vergangen Monaten kübelweise über diese Generation verbreiteten, fühle ich mich gut getroffen. Aufgewachsen mit dem digitalen und bilderreichen Erleben zahlreicher Krisen (9/11, Klima, Banken, Terror, Atomkraft, Lebensmittel, etc. pp.), seien die heute 15-30-Jährigen abgestumpft, schauten vor allem auf sich selbst, auf ihre Körper und Seelen.
Für sie gäbe es nichts Wichtigeres als das eigene Wohl und die Verbindung zu Eltern und Freunden. Nach dem Kulturtheoretiker Klaus Theweleit, dem Soziologen Klaus Dörr und Kerstin Bund, Autorin der Generationenuntersuchung „Glück schlägt Geld“ aus diesem Frühjahr, haben jetzt Klaus Hurrelmann und Erik Albrecht mit „Die heimlichen Revolutionäre“ ein Buch darüber vorgelegt, wie die Generation Y unsere Welt verändert.
Maßgeblicher gemeinsamer Nenner sei demnach die Verbindung von Eigeninteresse und gesellschaftlichem Nutzen. So gesehen ist doch die Ice-Bucket-Challenge ein Prototyp dieser Herangehensweise: Sich selbst vermarkten während man Gutes tut. Verwöhnt nennt man diese Generation, weil sie so viele Optionen hat. Sicherheitsverliebt, weil sie nach dem einzigen trachtet, was – ihrer Erfahrung nach – je gehalten hat: Die Liebe und Zuneigung zu anderen Menschen. Wenn etwas in ihren Augen relativ stabil ist, dann sind es Freundschaften, Netzwerke, Emotionen. Dinge, die wir nicht selber im Griff haben.
Denn um ein Missverständnis zu vermeiden: Dazu gehört natürlich nicht die Ehe. Auch sie ist ein Konstrukt, ähnlich wie der jederzeit kündbare Arbeitsvertrag, brüchige Nordatlantikbündnisse, ein wackeliger Waffenstillstand zwischen Gaza und Israel, die Vereinbarung unter „befreundeten Staaten“, sich nicht zu belauschen oder die lachhafte Versicherung von transatlantischen Unternehmen, die Rechte ihrer Kunden zu achten. Bürokratie, Parteien, Vereine - all das ist null und nichtig in den Augen der Generation Y.
Was zählt, sind sie selbst
Und diese Erfahrungen kühlen das Gemüt im Angesicht der Katastrophen. Während die Alten panisch die Hand vor den Mund schlagen, sagt diese Generation: Chillt mal. Sie ist ständig dabei, zu beschwichtigen: Die eigenen Eltern – und sich selbst. Der Arbeitgeber geht Pleite? Sehen wir eine Chance darin. Der Job stresst? Dann kündige ich. Die Rente ist nicht gesichert? Zeig mir einen, dessen Rente noch sicher ist.
Worüber sich aufregen. Es hilft ja doch nichts. Was zählt, sind sie selbst. Versicherungen geben keine Sicherheit. Einzig Authentizität schafft Vertrauen. Und die Generation Y ist gut darin, Falschheit zu erkennen. Sie ist misstrauisch, stellt infrage, erschüttert bestehende Systeme. So revolutioniere sie auf ihrer Suche nach dem Sinn des Lebens – so en passant – Arbeit, Familie, Technik, Freizeit und Politik, schreiben Hurrelmann und Albrecht in ihrem Buch.
Einig sind die Generationsanalytiker darüber, dass hier etwas Positives im Gange ist. Dass es in die richtige Richtung geht. Aber ob das stimmt? Ob es nicht einfach nur ums möglichst Traumata-arme Überleben geht? Was, wenn die ganzen Crowdfundings, Ice-Bucket-Challenges und Selbstverwirklichungen in städtischen Guerillapflanzaktionen rein gar nichts bringen? Nicht für die Armen und Geschundenen dieser Welt, nicht für unseren Nächsten. Höchstens für unsere eigenen Seelen? Und ist diese selbstbezogene Kapitulation vor der Schlechtigkeit der Welt dann nicht doch gefährlich und verantwortungslos?
Na, ich geh jetzt erst mal raus und füttere die Gänse.
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