
- Ein verkommenes Luderstück
Der einstige Chef der WestLB – Ludwig Poullain – übt in einem Exklusivbeitrag für CICERO ONLINE harsche Kritik am Krisenmanagement der Kanzlerin in Deutschland und Europa: Erst echauffierte sich die Politik über Banken und Banker, um dann kurzerhand selbst zu Bankern zu werden
Der Knall, mit dem im Jahre 2008 die wundersame Geldvermehrung zerbarst, schreckte die Politik, die noch wenige Jahre zuvor die deutschen Märkte für den Vertrieb fragwürdiger Finanzprodukte geöffnet hatte, aus ihrem Trott. Der Schock der Finanzkrise traf sie so tief, dass selbst diese Bundeskanzlerin ein persönliches Wagnis einging. Sie garantierte etwas, wozu sie weder befugt noch legitimiert war. Wie panisch muss wohl ihre Furcht vor unbesonnenen Reaktionen ihres Volkes gewesen sein, dass sie den in diesen Moment politisch richtigen Akt vollzog, sich vor laufenden Fernsehkameras für die Sicherheit der Sparguthaben zu verbürgen.
Sehr bald nach dem Finanzeklat verkündete die Bundeskanzlerin, diesmal im Gleichklang mit ihren Kollegen der mächtigen westlichen Staaten befindlich, ungefährdet, die Botschaft, man würde gemeinschaftlich alle jene Banker zur Rechenschaft ziehen und bestrafen, die das Desaster angerichtet hatten. In diesem Falle maßten sich die Regierenden eines Amtes an, das nicht das ihre ist, das der dritten Gewalt in einem demokratischen Staat. Zwar schritten die Regierenden sehr bald zur Versammlung, doch über vage Verlautbarungen und letzthin wirkungslose Ankündigungen kamen sie nicht hinaus.
Hiernach geschah Merkwürdiges. Obschon die Politiker jeglichen Geblüts und Rangstufen die Verursacher des Schlamassels mit allen ihnen geläufigen Verbalinjurien belegten, bewahrten sie deren Institute mit milliardenschweren Zuwendungen vor dem Ruin, und ermöglichten damit gleichzeitig den zu Recht Beschimpften, den Bankern, in ihrem frivolen Tun ungestört fortzufahren.
Dieser Akt gebar eine weitere Merkwürdigkeit: Die Bundesrepublik Deutschland wurde zur Bank, und somit Kanzlerin und Finanzminister zu Bankern. Und weil sie die Wirkung ihres Milliardenspiels bereits in der Finanzkrise durch die Rettung verzockter Banken erfolgreich erprobt zu haben glaubten, wandten sie dieses Modell ungeniert auch auf die in hohen Verschuldungen verstrickten Staaten an. Den ersten Anlass zum Einstieg in das neue Milliardenspiel bot ihnen die Zahlungsunfähigkeit (im geschäftlichen Leben auch „Insolvenz“ genannt) des an der Peripherie Europas gelegenen Kleinstaates Griechenland. Diesen mit dem von ihm selbst angerichteten Debakel selbst fertig werden zu lassen, bedeutete in ihrem Verständnis, den Euro dem Zerfall preiszugeben. Als in der Öffentlichkeit die beabsichtigte „Rettung“ Griechenlands auf Kritik stieß, zündete die Kanzlerin mit dem verwegen klingenden Treibsatz: „Scheitert der Euro, dann scheitert auch Europa“ die nächste Stufe. Seitdem tanzt Deutschland auf dem Vulkan.
Was sich hinter diesen Milliardenhilfen verbirgt, wann und unter welchen Voraussetzungen die Steuerzahler der Nation in die nächste Stufe geschleust werden oder wo sie das Ende der Tragfähigkeit der Nation und das Finale der Zumutbarkeiten ihrer Bürger sieht, hat die Kanzlerin bislang nicht einmal angedeutet.
Noch schwelen die Zweifel verhalten; doch, und da bin ich mir sicher, mit dem wachsenden Unbehagen wird das Vertrauen in das Tun unserer Oberen bald gänzlich dahingeschmolzen sein. Noch strahlt das Erscheinungsbild der Kanzlerin hiervon unbeschattet. Schaut man es sich etwas genauer an, so ist unverkennbar, dass auf diesem Bild, die aus ihren politischen Handlungen herrührenden Pigmentkörner nur als kleine Sprenkel wahrzunehmen sind. Die eigentliche Leuchtkraft ihres Bildes rührt aus dem Gemisch, das sich aus ihrer scheinbaren Souveränität, aus ihren nach außen hin nur leise vernehmbaren Tönen, aus der Selbstsicherheit, die sie in all ihren öffentlichen Auftritten ausstrahlt, sowie der Gelassenheit, mit der sie die giftigen Attacken ihrer Kontrahenten an sich abtropfen lässt, bildet. Dieses Erscheinungsbild wird zudem noch von der Einfachheit ihres Auftretens und der Bescheidenheit ihres Wesens, den trauten Szenen auf dem Bayreuther Hügel und der Heimeligkeit ihrer kleinen Hütte in der Uckermark in ein sanftes Licht getaucht. Dies Bildnis erscheint dem Volk bezaubernd schön.
Doch diese liebenswerte Darstellung ihres Selbst hat keinen Haltbarkeitswert. Wenn sich die Furcht vor dem nicht Greif- und Bestimmbaren ausbreitet, sich die nagende Ungewissheit über alles, was da an nicht Verstehbaren geschieht, vertieft, und dazu die Hilfeschreie der Schuldenländer immer unverschämter erklingen werden, dann wird der dünne Firnis des Bildes von der guten Frau tiefe Risse bekommen. Sollte dann auch noch nur ein Teil der Garantien, die sie uns, den Steuerzahlern, für die Notleidenden zu übernehmen genötigt hat, eingelöst werden müssen, werden ihre leuchtenden Farben über Nacht hinter einem dunklen Grau verschwunden sein und urplötzlich könnte die Wohltäterin uralt aussehen.
Was ich der Kanzlerin zudem zuschreibe, ist ihre Duldung der Verletzung der im Maastrichter Vertrag festgeschriebenen Verbotszonen. Erst die Billigung der Missachtung seiner wohl wichtigsten Klausel, der vom Non-Bail-out, konnte den sinnlosen Verschwendungen von Geld und Gut Tür und Tor öffnen. Dagegen ist ihr die schludrige Ausgestaltung des Vertragswerkes für die neue Notenbank, der EZB, nicht zuzurechnen. Das ist das Werk der Herren Kohl und Waigel. Dass im Rat der Notenbank nach Kopfzahl abstimmt wird, bezeichne ich als Anleitung zum Diebstahl unter Brüdern. Die beiden Staatsmänner hätten doch an ihren zwanzig Fingern abzählen können, dass aus den Ländern, die in den letzten vierzig Jahren eine ungehemmte inflationäre Politik betrieben hatten, nach der Vertragsunterzeichnung in Maastricht keine Stabilitätspfeiler werden konnten. Nun wiegt die Stimme der Deutschen Bundesbank nicht einmal die vereinten Stimmen Maltas, Zyperns und anderer Zwergstaaten auf. Armer, allein gelassener Bundesbankpräsident.
Mit der mit allen heiligen Eiden geschmückten Garantie, die europäische Notenbank würde der altbewährten deutschen, im Bewusstsein des Volkes zu seinem Schatzkästlein gewachsenen Bundesbank, wenn es denn um die Stabilität der Währung gehen wird, an Konsequenz um nichts nachstehen, wurden uns Bürgern von den deutschen Initiatoren des Euro als ein verlockender Köder hingehalten. Nun, da wir zubeißen, müssen wir uns an einem verkommenen Luderstück erbrechen.
Ludwig Poullain (92) hat als ehemaliger Chef der WestLB und Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbands das deutsche Bankwesen geprägt. Er war während seiner Zeit bei der WestLB selbst in einen Skandal um einen Beratervertrag verstrickt. Nach seinem Abschied aus der Welt der Banker hat er sich zu einem ihrer schärfsten Kritiker entwickelt. Berühmt geworden ist seine „Ungehaltene Rede“ über den Sittenverfall im deutschen Bankwesen, geschrieben 2004 für die Verabschiedung des NordLB Chefs Manfred Bodin. Der Vortrag wurde aufgrund seines kritischen Inhalts kurzfristig abgesagt, erschien dann aber wenig später in voller Länge in der FAZ.
Lesen Sie
in der Septemberausgabe des Magazins Cicero auch den Gastbeitrag
von Ludwig Poullain „Weiterhin ungehalten“, darin knüpft sich
dieser neben der Kanzlerin auch die eigene Zunft vor und plädiert
für den Austritts Deutschlands aus dem Euro.
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