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() Robert Spaemann
„Die Hölle muss sein“

Ist der Gedanke, es gäbe eine Hölle, eigentlich christlich? Cicero besuchte den Philosophen und Theologen Robert Spaemann in Stuttgart. Und traf einen mittlerweile 82 Jahre alten Denker, dem die Vorstellung von der Hölle nicht fremd ist.

Wo der selige Himmel, das wissen wir nicht/Und nicht wo der gräuliche Höllenschlund, (…) Doch wo die westfälischen Edelen müssen/Sich sauber brennen ihr rostig Gewissen,/Das wissen wir wohl, das ward uns kund.“ Als Annette von Droste-Hülshoff mit diesen Versen ihre Ballade über das „Fegefeuer des westfälischen Adels“ begann, da wusste jedes Kind in Deutschland, was die Hölle ist, und die meisten ihrer Eltern hatten es zumindest nicht vergessen. Und noch mehr als hundert Jahre später hieß es im Glaubensbekenntnis über Jesus Christus: „Hinabgestiegen in die Hölle“. Das steht dort heute nicht mehr. Die Theologen haben mit der Hölle aufgeräumt. Weil „Höllenangst“, lernt man bei ihnen, den Blick von der Macht Christi auf die Macht des Teufels lenkt, sei es pastoral unverantwortlich, sie zu mobilisieren. „Ich habe“, sagt freilich der katholische Philosoph Robert Spaemann, „in meinem ganzen Leben nie einen Geistlichen, etwa einen Beichtvater angetroffen, der mir Angst vor der Hölle gemacht hat.“ Dabei sind es durchaus verschlungene Wege, die für das Leben des heute nahe Stuttgart lebenden Emeritus bedeutsam waren. Der Vater Heinrich Spaemann, Protestant, Sozialist, konvertierte zum Katholizismus, studierte nach dem Tod seiner Frau Theologie und wurde von Clemens August Graf von Galen in Münster zum Priester geweiht. Der Sohn, 1927 in Berlin geboren, hing in seiner Jugend ebenfalls Marx und Lenin an, erhielt aber später seine akademische Prägung durch einen anderen Münsteraner, den bedeutenden Joachim Ritter, in dessen „Collegium Philosophicum“ er an der Seite von Leuten wie Hermann Lübbe und Odo Marquard in die Praxis der Verflochtenheit von theologischem, politischem und philosophischem Denken eingeübt wurde. „Der Gedanke, dass es eine Hölle gibt“, sagt er, „hat mir nie Angst gemacht.“ Für das, was es mit solcher Angst auf sich haben könnte, gibt er ein treffendes Beispiel: Das Mädchen, das im Winter auf dem gefrorenen See Schlittschuh laufen will, bekommt von der Mutter die Warnung mit auf den Weg, nicht auf die Mitte des Sees zu laufen. Dort sei das Eis möglicherweise zu dünn und man könne einbrechen. Das Mädchen lacht und antwortet: Du willst mit Angst machen. Aber, sagt Spaemann, der Hinweis auf eine mögliche Gefahr ist nicht Angstmachen. Und so sei das „Absehen von der Hölle bei christlichem Glauben unverantwortlich“. Kinder, fügt er hinzu, kommen überhaupt niemals in die Hölle, da sie von der Entwicklung ihrer Vernunft her noch nicht so weit sind, endgültige Entscheidungen zu treffen, die Höllenstrafen nach sich ziehen. Was ist Hölle? „O, Mutter, was ist Seligkeit, O, Mutter, was ist Hölle – Bei ihm, bei ihm ist Seligkeit. Und ohne Wilhelm Hölle“, tönt es in Bürgers „Leonore“. Das von Joachim Ritter neu begründete „Historische Wörterbuch der Philosophie“ definiert die Hölle als „die Endgültigkeit der Gottesferne“ und erläutert: Hölle sei „insofern als Jenseitsgrenze des Menschenschicksals gedacht und wird als Sitz der Mächte des Bösen und als Verneinung des Lebens dargestellt.“ Spaemann antwortet auf die Frage, wie man einem Kind die Hölle erklären könne: „Stell dir vor, es ist nichts mehr da, was dich freuen könnte: Nicht Vater und Mutter, keine Freunde, die Sonne, die Blumen, das Spielzeug, du könntest dich nicht einmal auf einen neuen Tag freuen: Das ist die Hölle.“ Ob man Kindern damit Angst macht? Spaemann wiederholt: „Die Frohe Botschaft ist in manchem eine Drohbotschaft, nimmt man das ernst, was in den Evangelien steht.“ Es sei „unverantwortlich, wenn der Seelsorger die Menschen nicht auf die Gefahr aufmerksam macht“. Das Evangelium erscheine nicht immer als christlich nach dem Bild, das sich viele heute vom Christlichen zusammenfabeln. Da solle einem dann das Christentum – und er zitiert die Philosophin ­Elizabeth Anscombe – als eine „nette Religion“ begegnen. Aber das ist es nicht. Spaemann erwähnt die Geschichte von den klugen und den törichten Jungfrauen. Die klugen gehen mit dem Öl für ihre Lampen sorgsam um, die törichten verschwenden es. Als sie nun die klugen bitten, ihnen etwas zu borgen, lehnen diese ab. Das kommt uns heute unchristlich vor. Aber geteilt würde der Vorrat für das Licht nicht reichen. Als der Bräutigam kommt, werden die törichten Jungfrauen verstoßen. „Ich würde“, bemerkt der katholische Philosoph dazu, „gern einmal ein Büchlein schreiben über die Verchristlichung der Gedanken Jesu.“ Die Hölle, könnte man meinen, lebt am wirkungsvollsten als Metapher fort. Jean-Paul Sartre hat eines seiner erfolgreichsten Stücke dort spielen lassen. „Die Hölle“, lautet seine Quintessenz, „sind die anderen.“ Der Lyriker Durs Grünbein formulierte in einem Interview über einen bedeutenden Kollegen: „Benn schmort in der Hölle.“ Die Schrecken der Hölle kommen bis heute aus spätmittelalterlichen Darstellungen, aus den Bildern von Hieronymus Bosch, aus Dantes „Göttlicher Komödie“, in denen das „Inferno“ noch die „tiefste Hölle“ kennt, ihren 8. und 9. Kreis, der Verrätern und Betrügern vorbehalten ist. Die Theologen haben sich stets schwerer damit getan. Sie taten sich schwer damit, Höllenfeuer zu deuten. Sie kamen erst spät dazu, die Höllenstrafen schon gleich nach dem Tode und nicht erst nach dem Jüngsten Gericht beginnen zu lassen – 1336 nach Christus. Erst fünfhundert Jahre nach Christi Geburt war nach langer Diskussion die ewige Dauer der Höllenstrafe kanonisiert. Der Heilige Augustinus war einer der härtesten Höllen-Prediger. „Die Verdammten“, schrieb er, „die nach dem Gericht ins ewige Feuer gekommen sind, sind endgültig verloren, und die Fürbitte der Heiligen kann ihnen nicht mehr helfen.“ Der Heilige Thomas von Aquin wusste dann wenigstens von einer Einschränkung: der Zweiteilung der Sünden entspreche eine Zweiteilung der Strafen. Für tödliche Sünden die ewige Strafe in der Hölle, für lässliche Sünden die zeitliche Strafe im Fegefeuer, dem sich auch Dante widmete. Luther, der Augustinermönch wollte nichts vom Fegefeuer wissen. Auch, weil die Leute des Papstes mit dem Angebot von Ablässen von der Fegefeuerstrafe schwunghaft Handel trieben. Luther wandte sich auch gegen die Schreckensbilder von der Hölle. Da hielt das katholische Barockzeitalter dagegen, aber die europäische Aufklärung wollte endgültig damit aufräumen. Doch dagegen hielt der englische Kardinal Newman daran fest, dass es hier um einen entscheidenden Punkt des Christentums gehe, der unlösbar mit der Existenz Gottes zusammenhänge. Die Schwankungen in der Kirche und bei den Theologen sind so unvermeidlich, wie die Schwierigkeit nicht zu beheben ist, Gottes Gerechtigkeit mit Gottes Barmherzigkeit in Einklang zu bringen. Spaemann weist auf die Einsicht der Scholastik hin, dass in Gott alles, auch die Eigenschaften, eins sei, wohingegen die menschliche Vernunft jeweiliges nur getrennt von anderem wahrnehmen und beschreiben könne. Da könne der gerechte Gott schwerlich zugleich der barmherzige Gott sein. Tatsächlich verlangen die Menschen beides. Der Mensch, der in seiner Zeit die großen Verbrechen kennenlernt, den Völkermord und das grausame Quälen kleiner Kinder bis zum Tod, verlangt göttliche Strafe. Die Karriere der Höllenvorstellung ist von dem Wunsch nach Vergeltung nicht zu trennen. Wie kann Gott überhaupt zulassen, dass Dinge geschehen, die Höllenstrafen nach sich ziehen? Wie kann Gott zulassen, dass der Mensch sich für die Hölle entscheidet? Spaemann bezieht sich zur Verdeutlichung seiner Überzeugung auf die Kabbala: „Wenn Gott allmächtig ist, dann hat er auch die Fähigkeit, sich zurückzunehmen.“ Mit der Erschaffung der Welt habe Gott auch die menschliche Freiheit gewollt. „Die Hölle ist Ausdruck der frei gewählten göttlichen Ohnmacht gegenüber dem Willen des Menschen. Weil Gott sich hinsichtlich seiner Schöpfung zurückgenommen hat, bricht er den Willen des Menschen nicht. Gerade deshalb ist die Hölle als eine Konsequenz, die dem Menschen vor Augen steht, unbedingt ernst zu nehmen.“ Eben darauf aber sind viele Menschen heute nicht mehr eingestellt. „Es ist eine verbreitete Ansicht“, sagt Spaemann, dass Religion etwas ist, was wir uns ausdenken, und vieles darin wird dann beurteilt nach der Frage, ist dieses ein guter Gedanke.“ Also: „Hölle soll schon sein, aber wir möchten bestimmen, wer da hineinkommt.“ Das klingt genauso flapsig, wie es in den Köpfen vieler Heutiger angelegt ist. Spaemann zitiert Nietzsches Wort, dass der Mensch die Freiheit habe, etwas zu versprechen, was er erst in irgendeiner Zukunft einlösen werde. Die Ernsthaftigkeit solchen Versprechens gebe es derzeit nur noch selten. Zur neu verstandenen Freiheit gehöre eben, dass man ein Versprechen auch wieder zurücknehmen könne. Solche bequeme Beweglichkeit sei zu beachten bei der Frage, was für die Menschen heute jenseits laienhafter und metaphorischer Bilder den Begriff der Hölle unakzeptabel mache: „Der heutige Mensch glaubt nicht mehr an die Freiheit, sich eine endgültige Gestalt zu geben.“ Die Gestalt, nach der er am Jüngsten Tag gerichtet wird. „Da“, folgert Spaemann, „ist dann die Hölle ein Fremdkörper. Der Mensch soll sich in einer endlichen Lebenszeit eine Form geben können, die endgültig ist?“ Dass Gott dem Menschen die Freiheit dazu gegeben hat, das glauben nicht mehr viele Menschen. Das und die Bemühungen auch bedeutender Theologen, die Hölle als Ort endgültiger, ewiger Strafe aus der Vorstellungswelt des Christen wegzueskamotieren, gehöre zu der Verfallstendenz, die dem gegenwärtigen Zeitgeist eigen ist. „Aber“, sagt Spaemann, „ich glaube nicht an den endgültigen Verfall.“ Foto: Picture Alliance

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