Neubau eines Einfamilienhauses in Bayern / dpa

Wohnungspolitik - Macht das Bauen einfacher!

In Deutschland wird dringend Wohnraum benötigt. Dazu gehört zum einen das Baurecht mit seinen schwerfälligen Standards und Normen entschlackt, zum anderen muss nachhaltiger gebaut, der Bestand saniert und die Produktivität der Baubranche erhöht werden.

Autoreninfo

Lamia Messari-Becker ist Bauingenieurin sowie Professorin für Gebäudetechnologie und Bauphysik an der Universität Siegen. Sie war von 2016-2020. Mitglied im Sachverständigenrat für Umweltfragen und von 2017-2022 im Expertenkreis Zukunft Bau des Bundes. Sie schlug u.a. einen Ressourcenausweis für Gebäude sowie Quartierslösungen vor (Koalitionsvertrag). Zuletzt rief sie als hessische Bau- und Wirtschaftsstaatssekretärin die hessische Baukommission „Innovation im Bau“ ins Leben und begleitet diese bei der Erarbeitung von Reformvorschlägen für den Wohnungsbau.

So erreichen Sie Lamia Messari-Becker:

Wohnen ist die soziale Aufgabe unserer Zeit – mit explosivem Potential für unsere Gesellschaft. In den kommenden Jahren wird sich die Wohnraumknappheit weiter verschärfen. Die Maxime muss daher lauten: Jeder muss im wohlhabenden Deutschland Platz zum Wohnen finden und auch bezahlen können. Das ist Grundlage sozialer Teilhabe.

Ein wichtiger Hebel für mehr Wohnraum ist, Bauen zu vereinfachen, um Kosten und Aufwände an Rohstoffen, Fläche und Verwaltung zu reduzieren. 50 Jahre Baurecht mit all den nachgelagerten Normungen und Prozessen rufen regelrecht nach Reformen und Entschlackung eines Bauwesens, das sich teils selbst im Wege steht. Ob es um Stadtentwicklung, Sanierungsvorgaben, Bestandsumbau, generationengerechtes Wohnen, klimagerechtes, energieeffizientes und kreislauffähiges Bauen geht – überall gehören gut gemeinte Vorgaben dazu, die aber Sinnvolles behindern.

Alle, die schon mal gebaut oder saniert haben, kennen viele Haftungsfragen, die sich bei der kleinsten Abweichung von sogenannten Bausystemen ergeben. Auch der Mangel an Planungs- und Baukapazitäten, Stichwort Fachkräftemangel, lässt uns kaum eine andere Wahl, als Standards gründlich zu hinterfragen.

Standards haben zwar durchaus ihre Berechtigung, etwa eine definierte Qualität für alle zu etablieren und nicht nur für die, die sich das leisten können. Standards machen Leistungen vergleichbar und stärken grundsätzlich den Verbraucherschutz. Standards wollen immer übertroffen werden und sollten Innovation fördern. Eigentlich. Dennoch: Bauen ist inzwischen mit knapp 3800 Baunormen schlicht nicht in der Lage, den nötigen gesellschaftlichen Wandel zu begleiten, geschweige denn aktiv zu fördern. Für zukunftsfähiges Bauen gehört unser Normungswesen gründlich entrümpelt. Rund 80 Prozent der Bauprojekte wären mit nur 20 Prozent der Normungen realisierbar.

Einfaches Bauen heißt auch ressourceneffizientes Bauen

An zwei Beispielen sei diese Entwicklung des „immer mehr Aufwand“ kurz erläutert:

Beim Lärmschutz herrschen Standards mit hohen Ansprüchen an Komfort. Diese sind gesetzlich nicht bindend, bilden aber „anerkannte Regeln der Technik“ ab, die im Streitfall als Beurteilungsgrundlage dienen. Die Ziele werden so ausgelegt, dass man in einer Wohnung inmitten einer dichten Stadt nichts mehr hören muss. So wurde der erhöhte Schallschutz de facto ein ungeschriebenes Gesetz, was aber keines ist. Zwar ist die heutige Arbeitswelt stressvoll, und wir alle möchten in den eigenen vier Wänden vor Lärm geschützt zu werden. Aber wieviel muss der Bau abfangen? Und zu welchen Kosten? Diskussionen um Geräusche aus Balkonen zur darunterliegenden Wohnungen sind vielsagend. Inzwischen entschieden Gerichte, dass Kinderlärm aus Schulen kein Lärm im baurechtlichen Sinne ist.

Noch ein Beispiel aus dem Bereich Energieeffizienz, das weder ein „Für“ noch ein „Gegen“ Dämmmaßahmen oder Lüftungstechnik ist, sondern nur erklärt, wie ein Automatismus an Aufwänden entsteht: Neubauten wurden im Betrieb zunehmend energieeffizienter, verbrauchten also weniger Energie für Heizung und Warmwasser, die Wände immer dicker gedämmt, die Fenster immer wärmeisolierter usw., um die Wärmeverluste der Fassade zu reduzieren. Die Fassade wurde dichter, um Wärmeverluste durch ungewollte Undichtigkeiten zu minimieren. Nun ist das für die Hygiene notwendige Lüften nur noch aktiv möglich. Um Lüftungsverluste zu reduzieren, gab es schon wieder die nächste „Abhilfe“: Lüftungsanlagen, die nun das Lüften für die Nutzer übernehmen, idealerweise mit Wärmerückgewinnung usw. usf. So verursacht jede Maßnahme unweigerlich weitere. Ressourcenverbrauch, Umwelteffekte, Kosten und Wartungsaufwand steigen weiter. Und all das nur, um die Heizung zu optimieren. Dagegen bleibt die Herstellung der Bauprodukte, die auch Energie verbraucht und CO2 ausstößt, außen vor. Insofern spricht auch die CO2-Bilanz für einfaches Bauen.

Bestimmte Kostengruppen haben sich in den letzten Jahren zu Kostenrisiken entwickelt. Einsparungen werden dann am Rohbau, an Baustoffen und Baukonstruktionen vorgenommen. Die Ergebnisse sind eintönig und haben – ästhetisch betrachtet – eine sehr kurze Halbwertszeit.

Einfaches Bauen kann auch helfen, endlich von additiven und irreversibel miteinander verbundenen Bauteilen und Schichten hin zu rückbaubaren, einfach trennbaren Bauteilen zu finden, also ein kreislauffähiges Bauen zu fördern. Wird der Lebenszyklus eines Gebäudes, also von der Wiege bis zur Bahre, betrachtet und alle Aufwände erfasst und optimiert, überrascht es nicht, dass ein solcher Ansatz Ressourcen in jeder Hinsicht schont, Stichwort Ressourcenausweis. Einfaches Bauen hieße also auch ressourceneffizientes Bauen.

Dem Bestandsumbau gehört die Zukunft

Initiativen für serielles und einfaches solides Bauen, inklusive Gebäudetyp E, sollten daher den Beginn einer Reform-Ära im Bauwesen markieren, die zwar sinnvoll vereinfacht, dabei aber eine solide Qualität sichert. Denn nicht die Ziele wie Energieeffizienz oder Brandschutz sind das eigentliche Problem, sondern die Art, wie man sie erreichen will, und der damit verbundene Aufwand. 

Dem Bestandsumbau gehört die Zukunft. Hier „einfach“ zu agieren, heißt, im Dschungel baurechtlicher Unzulänglichkeiten zu überleben. Es sollte beispielsweise genehmigungsrechtlich möglich sein, Büro- oder Hotelbauten in Wohnungsbau umzunutzen. Außer Sicherheit ist alles verhandelbar. Bauen mit dem Bestand dürfte zudem räumlich, architektonisch und ingenieurtechnisch eine der spannendsten Aufgaben der jüngeren Baugeschichte werden. Es fehlen allein die Rahmenbedingungen, nicht nur für das Bauen, sondern in ganz dringendem Maße auch für das Umbauen. Ein Umbaurecht muss her.

Leerstand ist Leergut. Legt man eine ganzheitliche Betrachtung als Maßstab zugrunde, schlägt die Stunde des Bestands. Dieser steht nicht ausschließlich für Umwelteffekte durch alte Technik und unzureichende Dämmung. In ihm steckt auch sogenannte graue Energie. Abriss und Neubau nach neuesten Standards verbrauchen auch Ressourcen. Dass dieser zusätzliche Verbrauch beim Neubau durch spätere Einsparungen im Betrieb gerechtfertigt sein kann, ist kein Automatismus. Den Leerstand abzureißen und neuzubauen, ist oft ökologischer Irrsinn. Als sicher gilt, dass es auch Ressourcen und Deponieraum braucht, den es für diese Mengen kaum gibt. Leerstand sollten wir als Leergut begreifen und es fit für die Zukunft machen, für neue, vielfältige, kleinteilige und gemeinschaftliche Nutzungen.

Wir brauchen eine Kultur des Sanierens

Wir brauchen eine Kultur des Sanierens mit Freude und mit Plan. Anstatt pauschalen EU-Sanierungspflichten blind zu folgen, wäre es sozial nachhaltiger, diese so auszugestalten, dass Sanieren Freude macht. Dazu gehören u.a. genehmigungsfreie Aufstockungen im Bestand. Mehrere Ziele wären übrigens erreicht: Wohnraum geschaffen; Flächenversiegelung vermieden; Dachboden, der oft für 30 Prozent der Wärmeverluste der Fassade steht, ist nun ein Zwischenboden; das neue Dach ist gut gedämmt, der Energiebedarf je Quadratmeter tendenziell gesenkt. Noch ein Beispiel: Wohnungsteilbarkeit im Bestand ermöglichen. Jeder Quadratmeter, den man nicht heizt, hilft beim Klimaschutz. Sanieren mit Freude setzt auf Ermöglichen und kluges Kombinieren der Maßnahmen.

Individuelle Sanierungspläne ermöglichen Menschen, in ihrem Tempo und nach ihren Möglichkeiten sinnvolle energetische Maßnahmen durchzuführen, ohne überfordert zu werden. Der Dreiklang: Energie sparen, etwa durch Dämmtechnik, effiziente Technik einsetzen, und den Restenergiebedarf erneuerbar decken. Diese drei Schritte sind idealerweise aufeinander abgestimmt. So ist sichergestellt, dass eingebaute Anlagen nicht überdimensioniert und so ineffizient werden und hohe Kosten verursachen. Und die Fördererpolitik kann so die Zuschüsse besser steuern und hätte so mehr Mittel für den sozialen Ausgleich. Weil Sanieren „nach Lehrbuch“ oft nicht möglich ist, sollten Sanierungspläne die individuelle Situation immer beachten.

Die Steigerung der Produktivität der Baubranche gelingt nur, wenn die Digitalisierung und der Innovationskraft der Baubranche eine deutliche Priorität eingeräumt wird, in der Forschungs- wie auch in der Wirtschaftspolitik. Digitale Bauakten, die sicher vieles erleichtern, sind nur ein Beginn. 

Und 16 Länderbauordnungen sind 15 zu viel. Es bleibt daher wichtig, die derzeit praktizierte Orientierung an der Musterbauordnung und die Harmonisierung weiter zu stärken. Ein bereits genehmigtes Bauprojekt in einem Bundesland sollte mit Anpassungen im Nachbarbundesland genehmigt werden. Anderenfalls behindern wir Wissenstransfer in der Planung und Ausführung inklusive Einsparungen an Zeit, an Ressourcen, an Umweltschäden, an Kosten und Kapazitäten. 

Bezahlbares Wohnen ist für jede Landes- und Bundesregierung eine zentrale Aufgabe. Vereinfachung des Baurechts ist dabei einer der wichtigsten Hebel. Failure is not an option.

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Hans Jürgen Wienroth | Di., 12. November 2024 - 16:30

In der VW-Stadt entstehen zwei "Woodscraper", 12 Geschossige Holzhochhäuser, bei denen nur das Treppenhaus aus Beton ist. Der Rest sind vorgefertigte Bauteile aus Holz, insgesamt 106 Wohnungen. Ganz fortschrittlich.

Allerdings nichts für mich. Ich lese gelegentlich von der Feuergefahr durch Sylvester Raketen in historischen Fachwerkstädten. Wie mag die "Brandgefahr dann erst in diesen Häusern sein?

Uli | Di., 12. November 2024 - 17:28

Für was? Unsere wurde doch vor nicht allzu langer Zeit so etwas prophezeit: "Im Jahr 2050 nur noch 75 Millionen Deutsche". Also brauchen wir gar keine zusätzlichen Wohnungen, oder?!

Bernhard Jasper | Di., 12. November 2024 - 17:42

Bauen ist auch stets politisch. Planung wird auch verhindert mit Verboten, Geboten und Vorschriften. Die Ursprünge sind klar, man wollte verhindern, dass unsere Städte aussehen wie Houston oder Dallas. Wir erhalten unsere traditionellen europäischen Städte künstlich, das ist eine neue Situation die historisch keine Parallelen hat.

Wenn man heute das Tätigkeitsfeld als Stadtplanerin neu zuschneiden müsste, inhaltlich, nicht bürokratisch, wo würde man über die konventionellen Sachkategorien hinausgehen? Die Problemlagen in den Neubaugebieten? Wo sind noch mobilisierbare Gebietsreserven für den Wohnungsbau? Werden wir neue Flächen ausweisen müssen ?

Ein haushälterischer Umgang mit Flächen könnte sozial gefährlich werden.

Heidemarie Heim | Mi., 13. November 2024 - 11:32

Wenn es im wahrsten Sinne des Wortes eng bzw. der Raum knapp und so teuer wird wie z.B. in unseren Städten, gilt es nicht nur aufzustocken nach oben oder Baulücken, Leerstand von Bürogebäuden unkonventionell und ideenreich zu nutzen oder wie ich meine zu erinnern in den Niederlanden ein einmalig genehmigtes u. festgeschriebenes "Wohn-Modell" überall ohne langwieriges Genehmigungsverfahren erstellen zu können, sondern man muss von Seiten der Politik die infrastrukturellen Gegebenheiten so verändern, dass es sich besser verteilt. Das sich z.B. auf dem Land wohnen, leben u. in weiterer Entfernung arbeiten vereinbaren lassen durch Digitalausbau und Verkehrsstrukturen wie sie in anderen Ländern, weil essentiell schon völlig selbstverständlich sind. Man stelle sich Tokyo nur ohne das auf die Min./Sek. zuverlässig funktionierende Schnellzugsystem der Japan Rail vor, wo sich u.a. auch jeder Mitarbeiter voll Stolz mit dem Erfolg des Unternehmens identifiziert, was uns befremdlich erscheint. MfG