Szene aus „Der vermessene Mensch“ / Studio Canal

Spielfilm „Der vermessene Mensch“ - Postkoloniale Geschichtsstunde

Das Historiendrama „Der vermessene Mensch“ von Lars Kraume schickt sich an, den Herero-Krieg in Deutsch-Südwestafrika zu erklären. Doch so viel Wert der Film auf schöne Bilder legt, so lässig geht er mit historischen Tatsachen um.

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Simon Akstinat ist Autor, Fotograf und Produzent und veröffentlicht Bücher mit geschichtlichem Schwerpunkt.

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Das immer größer werdende Thema Kolonialismus bekommt zunehmend Raum in Museen, Podiumsdiskussionen und auch im Fernsehen. Heute Abend wird das ZDF zur besten Sendezeit seinen Zuschauern ein Stück Fake History präsentieren, das bis heute kaum kritisch beleuchtet wird.

Der Spielfilm „Der vermessene Mensch“ aus dem Jahr 2023 (der noch bis zum 2. Januar 2025 in der Arte-Mediathek zu sehen ist) zeigt vor allem die Gewissensqualen des idealistischen Ethnologen Alexander Hoffmann, der sich Anfang des 20. Jahrhunderts in die intelligente Herero-Frau Kezia verliebt und in Deutsch-Südwestafrika, dem heutigen Namibia, Zeuge des Krieges zwischen Herero und deutscher Schutztruppe wird.

Das Kolonialdrama ist durchaus ästhetisch anzusehen, die Kostüme sind erstklassig, und außer dem etwas peinlichen Overacting des Hauptdarstellers Leonard Scheicher – während des Filmes ist er als Einziger so gut wie ständig entsetzt und schwankt als eine Art emotionaler Indiana Jones zwischen Ehrgeiz, Verliebtheit und Selbstmordgedanken – wirken alle Schauspieler glaubhaft und authentisch. Doch damit enden die Pluspunkte dieses Filmes auch schon. Denn so viel Wert „Der vermessene Mensch“ auf schöne Bilder legt, so lässig geht er mit historischen Tatsachen um.

So raunt Alexander Hoffmanns akademischer Übervater, Professor von Waldstätten, durch den Hörsaal der Berliner Friedrich-Wilhelm-Universität: „In Deutsch-Südwest droht Krieg! Die Herero und Nama haben sich gegen die Schutztruppe erhoben!“ Diese falschen „News“ wurden so ganz sicher nicht übermittelt. Denn die Nama, die traditionellen Erzfeinde der Herero, haben sich nicht nur nicht zeitgleich mit den Herero erhoben, sondern kämpften in der erst später im Film angedeuteten Schlacht am Waterberg sogar noch auf Seiten der Deutschen gegen die Herero. 

Eine Ungenauigkeit kommt selten allein

Der Film beweist außerdem den Mut, sich selbst zu widersprechen: Da lässt Lars Kraume die stolze Kezia „Ihr (Deutschen) nehmt unser Land weg!“ verkünden, obwohl er Minuten zuvor die Zuschauer richtigerweise darauf hinwies, dass die Herero entgegen einem populären Irrtum mitnichten die Ureinwohner dieses Landes sind. Die Herero drangen ihrerseits als fremde Invasoren ins heutige Namibia ein, um den eigentlichen Indigenen, den San, gewaltsam deren Land zu rauben. Bis heute wird so die Geschichte der San, die in die unfruchtbarsten Gegenden der Region abgedrängt wurden, unsichtbar gemacht.

Zwar wird während einer Szene in der Wüste die berüchtigte – wenig später vom Kaiser annullierte – Proklamation zur Erschießung jedes Herero innerhalb der Grenzen Deutsch-Südwestafrikas durch Lothar von Trotha höchstpersönlich verlesen. Für eine Erwähnung des Aufrufs „Tötet alle Deutschen!" des Herero-Anführer Samuel Maharero, der von Trothas Proklamation etwa zehn Monate vorausging, war im Film hingegen keine Zeit. Auch der Startschuss des Krieges, das Massaker an den deutschen Siedlern im Januar 1904, ist den Machern nur ein Nebensatz, keine Szene, wert.

Ungewöhnlich in diesem Film ist außerdem, dass selbst eine Landschaft von einer „Schauspielerin“ dargestellt wurde: Die Omaheke-Savanne, in der zahlreiche Herero bei ihrer Flucht verdurstet sind, sah offenbar nicht glaubhaft genug nach Todeswüste aus, sodass die Wüsten-Szenen kurzerhand in der dramatischer aussehenden Sandwüste Namib abgedreht wurden.

Auch hört der Film leider so falsch auf, wie er angefangen hat: Plötzlich ist im Abspann von einem angeblichen deutschen Genozid an San und Damara die Rede, obwohl diese beiden Völker so gut wie gar nicht an den Auseinandersetzungen in den Jahren 1904 bis 1908 beteiligt waren.

Beide Gruppen hatten nämlich gute Gründe, den Herero nicht zur Seite zu stehen: Die San waren wegen des bereits erwähnten Landraubs nicht gut auf die Herero zu sprechen und halfen den Deutschen sogar als Aufklärer. Die Damara hingegen waren erst 1894 von den Deutschen aus der Sklaverei befreit worden – ihre Sklavenhalter waren die Herero.

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Helmut Bachmann | Mo., 7. Oktober 2024 - 13:45

Wer „ÖR“ genießt, wird eben von morgens bis abends propagandistisch „betreut“. Wo soll der Selbsthass auch herkommen, der unsere Selbstaufgabe erträglicher macht?

@Ja, gerade bei einem solchen Thema ist gründliche Recherche unabdingbar. Im ÖRR ist dafür ausreichend hochbezahltes Personal beschäftigt. Aber auch das ZDF ist einäugig, nicht nur bei den Beiträgen eines Herrn Böhmermann.

Reinhold Schramm | Mo., 7. Oktober 2024 - 14:27

Nach Kriegsausbruch 1939 verbrachte mein jugendlicher Vater in einem britischen Internierungslager in Südafrika nahe Johannesburg Zeit.
Der NS-Älteste legte zwei Zigaretten auf einen Tisch in der Baracke, bevor die afrikanische Reinigungskraft kam, um die Sauberkeit wiederherzustellen.
Danach kehrten die internierten Deutschen in die Baracke zurück und der Älteste stellte fest: Die Zigaretten wurden vom Tisch weggenommen. Er meldete den vorgeblichen Diebstahl bei der zuständigen Lagerleitung.
Die afrikanischen Hilfskräfte nahmen die des Diebstahls beschuldigte afrikanische Reinigungskraft fest. Mit Nilpferdpeitschen wurde der beschuldigte Arbeiter von den afrikanischen Hilfskräften blutig ausgepeitscht. Danach wurde der blutig zerschlagene Körper über den Boden davongezogen und aus dem Anblick geschafft.
Mein Vater hat den blutig zerschlagenen Arbeiter nicht wiedergesehen.
Er wurde von den örtlichen afrikanischen Hilfswilligen der britischen Besatzungsmacht zu Tode gepeitscht.

Maria Arenz | Mo., 7. Oktober 2024 - 14:35

das sind doch alles Petitessen, mit denen Sie hier an diesem wunderbaren Beispiel deutschen Bildungs-und Haltungsfernsehens herummäkeln. Die San waren selbst schuld, daß sie mit ihrem primitiven Lebensstil des Jagen und Sammlens der höher entwickelten Herrenrasse vom edlen Stamm der Herero im Weg waren und die Damara können garnicht von den Herero versklavt worden sein. Weil wir von Kindle's Critical Race Theorie doch wissen, daß nur Weiße Rassisten sein und andere versklaven können. Die Herero hatten einfach keine Lust selbst zu arbeiten und haben es deshalb von den Damara erledigen lassen. Das inenent man unter braunen Menschen nicht Sklavere sondern clever. Spaß beiseite- wie lange muß ich für so einen ignoranzbasierten Bestmenschen-Mist noch jeden Monat 18,56 bezahlen?

Das Eine ist das (an sich) verschmerzbare Geld, das viel Schlimmere
ist diese widerliche ideologische Penetranz, mit der immer wieder
auf die gleichen Stellen eingedroschen wird, egal bei welchem Thema.

Ohne jegliche Bereitschaft, sich an Fakten zu halten, und in der
absoluten Gewissheit, "ihr könnt mich doch alle mal...", da keine
Konsequenzen zu befürchten sind im Mainstream beim fröhlichen
Mitschwimmen und der nächste Fördertopf steht wieder offen da.

MfG

Markus Michaelis | Mo., 7. Oktober 2024 - 17:25

Ohne jetzt Experte für Namibia sein zu wollen (auch wenn ich schon mehrfach dort war, auch am Geschichtspfad am Waterberg): für mich ist das nur ein Beispiel von für mich zu vielen, wie unsere Gesellschaft mit Fakten, Werten, Geschichts- und Menschenbildern umgeht. Das wäre nicht ganz so schlimm (letztlich ist alles etwas konstruiert und muss es sein), wenn wir nicht explizit den Anspruch hätten, damit heute universelle Werte und Wahrheiten für die Menschheit zu vertreten.

Aus meiner Sicht haben wir uns eher in zuviele Sackgassen verrannt und stehen zuvielen Fakten etwas hilflos gegenüber.

Ronald Lehmann | Mo., 7. Oktober 2024 - 18:17

aber eben nicht für die Gottgefälligkeit

sondern für die weltliche Macht
damit du funktioniert
aber nicht nach Gottes Regeln
sondern den weltlichen Regeln der Macht

habe als junger Mensch in der DDR einen Afrikaner kennen gelernt
der in Südwest-Afrika geboren
& später nach Mosambik kam

& er erzählte
das es dort bis sogar kurz nach Ende des 1.WK einen Deutschen gab, der nach dem unsäglichen Krieg Schulen erbaut hat

& er sagte auch
wenn nicht die Engländer gekommen wären
& die Deutschen ihr Projekt 20 Jahre hätten länger die Bildung ins Land gebracht

Südafrika wäre da wesentlich besser aufgestellt

Ich möchte mit meinen K. nicht relativieren
aber den Finger in die Wunde legen

Ihr Linksfaschistischen Medien
Ihr könnt ja gerne mal das Hörbuch von
Hera Lind > "Zeit zum verzeihen"
verfilmen

wo eine wahre Geschichte über die Art & Weise der Stasi berichtet wird
die den meisten Menschen das Blut gefrieren lässt
& wo man glaubt, es geschah im Mittelalter

Tomas Poth | Mo., 7. Oktober 2024 - 18:36

Geschichtsklitterung findet jederzeit und überall statt, je nachdem wer andere damit übertölpeln kann, um sich einen Vorteil daraus zu verschaffen.

Deutschland ist dafür bevorzugter Adressat, weil uns dies seit Mitte der 50 in die Wiege gelegt wurde und eine bequeme, gefällige Politik uns damit erpreßt, um nach außen dicke zu tun.

Kai Hügle | Di., 8. Oktober 2024 - 06:42

Ich habe das schon mal an anderer Stelle zu bedenken gegeben: Wer etwas über Geschichte lernen will, sollte nicht ins Kino oder das Fernsehzimmer gehen, sondern in die Bibliothek oder die Schule. Das Thema kolonialer Völkermord ist meiner Meinung nach viel zu wichtig, um es einem Nicht-Historiker zu überlassen, der ein paar "Ungenauigkeiten" in einem Fernsehfilm aufdeckt. Der Cicero könnte seine Leser ja mal über diesen Teil der deutschen Geschichte informieren, der zu meiner Zeit als Schüler nicht unterrichtet wurde. Aber aus den Leserkommentaren hier entnehme ich kein gesteigertes Interesse an dem Thema; eher das Bedürfnis zu relativieren. Was ich aber wenig überraschend finde. Man kennt ja seine Pappenheimer...