Industrieanlagen in Chinas Nordosten
Industrieanlagen in Chinas Nordosten / dpa

Chinas „Rostgürtel“ - Ab in die Provinz

Der Nordosten Chinas ist im wirtschaftlichen Niedergang begriffen. Jetzt sollen staatliche Maßnahmen für einen Umschwung sorgen – und nicht zuletzt das Risiko sozialer Unruhen mindern. Aber das Vorhaben steht auf tönernen Füßen.

Autoreninfo

Victoria Laura Herczegh, die fließend Mandarin, Spanisch, Französisch und Englisch spricht, ist Analystin bei Geopolitical Futures und Doktorandin für Internationale Beziehungen und Politikwissenschaft der Corvinus-Universität in Budapest.

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In den ersten Septemberwochen wurden Dutzende hochrangiger chinesischer Beamter aus hochrangigen Positionen im ganzen Land ausgewählt, um neue Positionen im „Rostgürtel“ des Nordostens anzutreten. Ihre Aufgabe ist einfach, wenn auch nicht leicht: Sie sollen das, was sie in Peking, Shanghai und Jiangsu gelernt haben, nutzen, um eine einst mächtige Region wiederzubeleben, sie näher an die technische Autonomie heranzuführen und so die Kluft zwischen ihr und den wohlhabenderen Küstenregionen zu verringern. Politisch gesehen soll die neue Initiative die Einheit des Landes fördern und das Risiko sozialer Unruhen mindern.

Ähnlich wie die „Wiederbelebung des ländlichen Raums“

Wenn Ihnen das bekannt vorkommt, dann sollte es das auch. Das Ziel ist praktisch dasselbe wie das des Vorzeigeplans von Präsident Xi Jinping zur Wiederbelebung des ländlichen Raums, mit dem die ärmeren, landwirtschaftlich geprägten Gebiete Zentralchinas aufgewertet werden sollten. Dieses Projekt existiert allerdings nur noch in gelegentlichen Regierungserklärungen. Offenbar hat Peking beschlossen, dass der Nordosten mehr wirtschaftliches Potenzial freisetzen kann. Das Problem dabei: Der Rostgürtel mag zwar den unmittelbaren Zielen der Regierung in Bezug auf Hightech und militärische Entwicklung dienen, seine Wiederbelebung aber dürfte das Wohlstandsgefälle weiter vergrößern und könnte damit genau das Problem verschärfen, das das Experiment eigentlich lösen sollte.

Es ist kein Geheimnis, dass die Regierung ihren peripheren Regionen weniger Aufmerksamkeit schenkt als ihren prominenteren. In der Ära der Wirtschaftsplanung von Mao Zedong war die industrielle Kapazität der Region ein wichtiger Motor für das chinesische Wirtschaftswachstum. Doch seit Deng Xiaopings Marktreformen ist die Wirtschaftsleistung des Nordostens hinter den Erwartungen zurückgeblieben, und sein Anteil am nationalen Bruttoinlandsprodukt ist von 13,3 Prozent im Jahr 1978 auf 4,8 Prozent im Jahr 2023 gesunken.

Mehrere Faktoren trugen zum Niedergang der Region bei. Es kam zu einer strukturellen Verlagerung von Schwerindustrien wie dem Maschinenbau hin zu Leichtindustrien wie der Textilindustrie. Nachdem China Mitglied der Welthandelsorganisation geworden war und sich stärker am internationalen Handel beteiligte, begann es, arbeitsintensiven Industrien den Vorzug vor kapitalintensiven zu geben und förderte damit die Wirtschaftsleistung von Orten wie Peking, Shanghai und Guangdong. Der Nordosten konnte es sich einfach nicht leisten, den Übergang zu vollziehen, vor allem, wenn dies den Verzicht auf seine traditionellen Produktionskapazitäten bedeutete.

Wirtschaftlichen Einbrüche in China

Doch angesichts der jüngsten wirtschaftlichen Einbrüche in China kann es sich Peking offenbar nicht mehr leisten, den Rostgürtel zu ignorieren. Abgesehen von Xis Plänen ist das Bestreben, die Wirtschaft in den Provinzen anzukurbeln, Teil einer Regierungsstrategie aus dem Jahr 2023. In diesem Jahr unternahm Premierminister Li Qiang mehrere Inspektionsreisen in die nordöstlichen Provinzen Liaoning, Jilin und Heilongjiang, wo er Unternehmen der Flugzeug-, Automobil- und Landwirtschaftsindustrie besuchte und eine verbesserte intelligente Produktion, mehr Innovation und vor allem eine größere Rolle für staatliche Unternehmen forderte. (Die Einsetzung neuer Beamter ist nur der erste Schritt in diesem Prozess.) Es geht nicht darum, dass sich die Prioritäten des Staates grundlegend geändert haben – Stahlwerke der alten Schule mögen wichtig sein, aber sie entsprechen nicht den aktuellen Bedürfnissen Chinas –, sondern darum, dass der Staat traditionelle Industriezentren in modernisierte Hightech-Zentren umwandeln will, die Chinas wirtschaftlichen Aufschwung ankurbeln können. Die Regierung ist der Ansicht, dass die Ressourcen und die soliden traditionellen industriellen Grundlagen der Region ideal geeignet sind, um technologische Innovationen und die Produktion anzukurbeln, und dass die Nähe zu Russland die Chancen für die erfolgreiche Entwicklung eines modernen, hochmodernen Militärs nur erhöhen wird.

Es scheint also, als hätte Peking allen Grund, sich endlich auf den Nordosten zu konzentrieren. Das ist eine gute Nachricht für den Nordosten, aber man darf nicht vergessen, dass die Regierung, ob sie es will oder nicht, dazu neigt, solche Initiativen im Handumdrehen wieder aufzugeben. Selbst Xis Plan zur Wiederbelebung des ländlichen Raums, das wichtigste Projekt seines Fünfjahresplans, war nicht gefeit gegen Pekings politische Launen. Er war immer eine Fassade für die Umverteilung von Reichtum, wobei die Zentralregierung gegen die reichsten Unternehmen und Einzelpersonen vorging, die – oft nicht ganz legal – Reichtum angehäuft hatten, und das Kapital in die bedürftige Zentralregion verlegte. Das behördliche Durchgreifen führte in der Tat dazu, dass Mittel für die Modernisierung der Landwirtschaft in Zentralchina bereitgestellt wurden. Als die Regierung jedoch die Bedeutung der Wissenschaft und Technologie für die aufstrebenden Wirtschaftstrends erkannte – ganz zu schweigen von ihrer Bedeutung für den Aufbau autarker Lieferketten –, beendete sie ihre behördlichen Maßnahmen und begann, Geld in die wohlhabenden und größtenteils an der Küste gelegenen Technologiezentren zu investieren.

Kaum Jobs für Hochschulabsolventen

In ähnlicher Weise – und technisch gesehen handelt es sich um eine Initiative unter dem Dach der ländlichen Wiederbelebung – ist die Abwanderung junger Menschen aus den großen Küstenstädten in ländliche Städte der zweiten und dritten Reihe weit weniger dringlich, als sie es einst war. Die Tatsache, dass Tausende von Hochschulabsolventen in den Großstädten Schwierigkeiten hatten, einen ihren Qualifikationen entsprechenden Arbeitsplatz zu finden, ließ es wie eine Selbstverständlichkeit erscheinen, sie mit Hilfe verschiedener Subventionen in sichere, gut bezahlte Positionen im ländlichen China zu bringen. Doch die Initiative führte, wenn überhaupt, nur zu wenigen Ergebnissen. Die meisten jungen Hochschulabsolventen zögerten, die Städte zu verlassen, und zogen es stattdessen vor, weiterhin nach einer Beschäftigung in der Großstadt zu suchen und die finanzielle Unterstützung ihrer Familien anzunehmen. Einige nahmen sogar schlechter bezahlte Arbeiterjobs an, um in der Stadt zu bleiben.

Da die Wiederbelebung des ländlichen Raums in Zentralchina gescheitert ist oder zumindest nicht die gewünschten Ergebnisse gebracht hat, hofft Peking auf ein besseres Ergebnis im Nordosten. Das dortige Programm weist einige Ähnlichkeiten mit dem Revitalisierungsplan auf und bietet beispielsweise finanzielle Anreize für Hochschulabsolventen, die sich dort niederlassen wollen. Es ist zwar unklar, ob das Programm erfolgreich sein wird, aber seine Befürworter hoffen, dass es aufgrund der vorhandenen Ressourcen und Kapazitäten leichter sein wird, als es in Zentralchina der Fall war. Doch selbst wenn das Programm erfolgreich ist und die Wirtschaftstätigkeit kurzfristig ankurbelt, wird es dem angeschlagenen Zentrum wahrscheinlich nicht viel nützen.

Das ländliche Zentralchina scheint die gleiche Behandlung zu erfahren wie der Nordosten, als das Land von der Marktwirtschaft zur Planwirtschaft überging, wobei seine Entwicklung zugunsten kurzfristiger wirtschaftlicher Gewinne zurückgestellt wurde. In Zeiten wirtschaftlicher Prosperität könnte es von Vorteil sein, sich mehr auf bestimmte Regionen zu konzentrieren als auf andere. Doch China steht heute vor einem Abschwung, was bedeutet, dass die Vernachlässigung einer Schlüsselregion des Landes katastrophale Auswirkungen haben könnte. Im Laufe der chinesischen Geschichte sind Unruhen am ehesten in armen ländlichen Gemeinden aufgetreten, wo das Gefühl der Unzufriedenheit und Ausgrenzung vorherrscht. Das Scheitern des Plans der Regierung zur Wiederbelebung des ländlichen Raums könnte diese Tendenzen noch verstärken und einen Nährboden für Unruhen schaffen.

Stabilität wichtiger als Wachstum

Wirtschaftswachstum ist für China wichtig, aber die innere Stabilität ist noch wichtiger. Die chinesische Führung muss daher ihr Augenmerk wieder auf die schwächste Region des Landes richten, denn wenn sie sie zugunsten unmittelbarerer Interessen opfert, könnte dies zu Instabilität führen. Ähnlich wie bei ihrer Strategie im Nordosten könnte die Regierung durch eine Umgestaltung der Kernideen des Plans zur Wiederbelebung des ländlichen Raums und den Einsatz erfahrener Beamter aus wohlhabenden Regionen einige Erfolge erzielen und zumindest einige ihrer Versprechen gegenüber dem ländlichen China einhalten.

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Albert Schultheis | Mi., 25. September 2024 - 13:50

Warum versuchen Sie es nicht mal mit einer ökonomischen Analyse des Problemfalls Deutschland, werte Frau Herczegh? Hier, vor unserer Haustür gibt es doch sehr viel erhellendere Erkenntnisse zu gewinnen als im fernen China. Vor allen Dingen dürfte der Absturz um Größenordnungen bedeutender sein als der in China. Darüber hinaus leidet China unter der desaströsen 1-Kind-Politik, die das Land in eine singuläre demografische Katastrophe katapultiert hat. Viel interessanter ist die demografische Katastrophe in Deutschland aufgrund der links-woken neuen "Familienpolitik" unter der pausbackigen Grünen Phantastin! Die ganze Chimären-Politik von Gender, Trans* und biologieunabhängiger Geschlechtswahl haben auf die natürliche Reproduktion einen viel desaströseren Einfluss als die gesamte chinesische 1-Kind-Politik! Aber erklären Sie das mal einer Ricarda oder einem Kevin!

Ronald Lehmann | Mi., 25. September 2024 - 14:56

Wie ein jeder weiß, halte ich von Chinas Totalitären Politik nicht viel

Weil Macht-Konzentration & Größen-Wahn

immer mehr die Rückseite einer Medaille zum tragen bringt

die negativen Begleiterscheinungen
denn alles hat Yin & Yang

Aber wenn ich alleine an die Eröffnugs der Ultimativsten
Brücke der Welt

DIE PANJIANG-BRÜCKE

mit all ihren kolossalen Weltbest-Maßen, den geographischen Besonderheiten, der Bauzeit von 3 Monaten 👍🤣🤣🤣&&&

gesehen habe

& im VS zu CHN ist DE
nicht einmal eine Bananen-Republik mehr

denn wir wären bereits an der Bau-Planung gescheitert

geschweige bei der Bauausführung in DE
die mindestens im VS
300 Jahre gedauert hätte

Henri Lassalle | Mi., 25. September 2024 - 15:56

sind die Achillesferse der Parteiführung. Bislang galt das Versprechen: Angepasstes, normkonformes Verhalten der Massen gegen Teilhabe am erwirtschafteten Wohlstand des Landes. Kommende Unruhen sind deshalb wahrscheinlich, trotz quasi totaler Überwachung und sozialer Kontrolle der Bürger.
Bisher gab es kein ökonomisches Beben, weil die Partei alle Fäden in der Hand hat. Aber sieht man sich die Halden unverkaufter Elektronik, die "Geisterstädte" (leerstehende Immobilien).......an, dann kommen Bedenken. China produziert viel, in jeder Hinsicht, auch Akademiker, aber man muss hinter die Kulissen blicken.