Benjamin von Stuckrad-Barre bei der Lesung aus seinem neuen Buch „Noch wach?“ im Berliner Ensemble / dpa

„Noch wach?“ von Benjamin von Stuckrad-Barre - Das Wort „Roman“ als Schutzbehauptung

Der vor allem im Medienbetrieb mit Spannung erwartete neue Roman von Benjamin von Stuckrad-Barre ist vor allem das Porträt zweier Machtmenschen, die lange den Springer-Verlag prägten. Doch ihre Namen werden in „Noch wach?“ konsequent verschwiegen.

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Vielleicht ist es ganz passend, die Rezension eines sogenannten Schlüsselromans mit dem Zitieren von SMS zu beginnen. Auf der Seite 293 werden mehrere SMS zitiert, die der Chefredakteur einer Tageszeitung an mehrere Frauen geschrieben hat. Vorgelesen werden sie in einem Videochat, und die Frauen müssen zum Teil selbst lachen, wie schablonenhaft sie geschrieben sind. Sie klingen so: „Du bist so schlau und schön“, „Heute um 22 Uhr in meinem Büro?“, „Melancholisches, schlafloses, sehnsüchtiges Andichdenken“. Und etwas ungelenk: „Ich will dich mit jeder deiner Fasern spüren.“

Auf dem Titel des neuen Romans von Benjamin von Stuckrad-Barre steht ebenfalls eine dieser SMS: „Noch wach?“ Das Buch ist seit diesem Mittwoch im Handel, hat 380 Seiten, und eine digitale Version wurde erst um 10 Uhr morgens am Erscheinungstag an Journalisten verschickt. Normalerweise erhält man Tage oder Wochen vor Erscheinen eines Buchs die Druckfahnen, um sich auf die Besprechung vorbereiten zu können. Möglicherweise sollten so einstweilige Verfügungen oder Auslieferungsverbote verhindert werden. Manche munkeln, dass es diese trotzdem geben könnte und das Buch bald wieder vom Markt verschwinden müsse. Denn es liest sich nicht, als hätte der Autor hier eine fiktive Geschichte aufgeschrieben, sondern vielmehr so, als hätte er das Wort Roman als Schutzbehauptung auf das Cover drucken lassen.

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Christa Wallau | Do., 20. April 2023 - 14:48

daß hier jemand mit Steinen wirft, der selbst im Glashaus sitzt.
Die ganze verlogene Debatte um Döpfner, Reichelt u. "Me-too" widert mich nur noch an.
Da wird doch glatt so getan, als seien die Menschen e i g e n t l i c h alle gut u. nur in bestimmten Kreisen (Strukturen) bilde sich menschenverachtendes, übergriffiges Verhalten aus, z. B. in Redaktionsstuben u. Kirchenräumen.
Was jetzt aufgedeckt wird, hat es zu allen Zeiten gegeben u. wird es - in abgewandelten Formen - immer geben.
Menschen sind nun mal so, wie sie sind - und sie werden so b l e i b e n. Zu jedem entsetzlichen Verbrechen u. jeder Gemeinheit sind sie fähig u. eben auch zu höchsten Formen der Liebe, bis hin zum Opfer des eigenen Lebens für einen anderen.
Wer das Menschenbild der Bibel für hinterwäldlerisch hält, sollte sein eigenes mal etwas kritischer überprüfen u. sich weniger voyeuristisch an "Enthüllungsgeschichten"
delektieren, als im eigenen Umfeld für die Vermeidung von Übergriffen jegl. Art zu sorgen.

scheint der Autor in seinem Buch zu betreiben, dann aber doch so laut und eindeutig, dass sich jeder sein Teil denken und darüber spekulieren kann, wer da wohl gemeint ist. Mit Schmutz werfen und sich dann pfeifend umdrehen, man habe ja nichts gesagt, gemacht und schon gar keine böse Absicht verfolgt,
Wie eigentlich immer, stimme ich Ihnen wieder einmal zu. Auch mir geht die Me-too Empörung gehörig auf den Sender. Vor allem ist inzwischen halb Hollywood vergewaltigt worden und jeder erzählt Geschichten, nur um in der Zeitung zu stehen.
Und diejenigen, die tatsächlich bittere Erfahrungen machten, die könnten ob der inflationären Berichterstattung durchs Rost fallen, weil niemand ihnen mehr glaubt.
Und ja, was wir jetzt medial aufbereitet, aber auch teils überzogen und übertrieben an Schweinereien berichtet werden, gab es leider schon immer. Sicher gut, dass diese Verbrecher zur Rechenschaft gezogen werden, aber nicht schon vorher an den Pranger, bevor die Schuld bewiesen ist.

... dass Sie aus genau DIESEM Anlass an das biblische Menschenbild gemahnen, finde ich rührend, und das meine ich mitnichten süffisant. Sie müssen ein gutes Herz haben.
Aber zum von Herrn Kittel besprochenen (Mach-)"Werk" und seinen Begleitumständen: welch ein Schmierentheater, vorndran dieser Herr Barre, den ich gestern Abend in der Kulturzeit habe herumgockeln sehen wie noch nie einen Autor vor seiner Lesung - sollte wohl analog zu den orchestrierten Applauseinübungen vor vielen Livesendungen das Publikum warm machen für das als Roman getarnte, schwül-voyeuristische Gedöns über die Protagonisten. Mein Titelvorschlag wäre "NOCH WAS?", und dann schnell weiter zu deutlich Unterhaltsamerem.
Manchmal habe ich wirklich den Eindruck, es wird auf allen erdenklichen Ebenen darum geeifert, wer sich noch blöder geriert, um Aufmerksamkeit zu erhaschen.
Bin gespannt, ob, und wenn wann Denis Scheck bei einer nächsten "Druckfrisch"-Sendung diesen Schmöker in die Literaturtonne kloppt!

Albert Schultheis | Do., 20. April 2023 - 15:07

"das Wort Roman als Schutzbehauptung" oder die Etikettierung als "Satire" als Freibrief dafür, andere in die Pfanne zu hauen, zu rufmorden oder ganz konkret zu handgreiflicher Gewalt gegen oppositionelle Politiker aufzurufen! Das ist die neue Spielart der RotGrünGelben Khmer im Krieg um die Dominanz der halb-intellektuellen Lufthoheit. Damit man der Gegenseite Gleichheit der Vernichtungswaffen vorwerfen kann, wird dann ein Furz hochgejatzt zum massenvernichtenden Giftgasangriff. So durchschaubar wie perfide. Die genauso anrüchigen "christlichen" Kirchen kannten einmal das Gebot "Du sollst nicht falsch' Zeugnis ablegen!" und den Spruch (leicht adaptiert): "Du siehst den Splitter im Auge deines Nächsten, aber das Brett vor dem eigenen Hirn siehst du nicht!"

Klaus Funke | Fr., 21. April 2023 - 09:21

Stuckrad-Barre ist ein mittelmäßiger Autor, der den Mainstream braucht, um wahrgenommen zu werden. Sich jetzt den aktuellen "Skandalen" zu widmen und diese genüsslich auszuweiden, ist ein durchsichtiges Konzept. Seit dem Mittelalter gibt es einen Spruch, der das Niveau und Anliegen solchen Handelns beschreibt - "auf eines anderen Mannes Arsch durchs Feuer reiten" - ich bin sehr im Zweifel, dass dies dem Autor gelingen wird, ein literarisches und sprachliches Niveau zu erreichen, das dafür notwendig ist. Es fehlt ihm so einiges. Was ich bisher von ihm las, tümpelt so irgendwie dahin, ist im Grunde Beliebigkeitsliteratur. Da muss mehr kommen - leider haben wir keinen Thomas Mann oder Lion Feuchtwanger mehr, sondern nur noch Autoren wie Uwe Tellkamp oder Fitzek und Schätzing. Jawohl, Roman als Schutzbehauptung, man muss sogar sagen: Literatur als Schutzbehauptung.