Protest gegen Europride in Belgrad
Putin-Bild während eines Protests am vergangenen Sonntag gegen die für den 17. September geplanten LGBT-Parade Europride / picture alliance

Instabiler Balkan - In der politischen Zwickmühle

Die meisten Balkan-Staaten sind abhängig von russischer Energie und gleichzeitig in Sachen Wirtschaft auf die EU angewiesen. Das hat eine teils bizarre Pendelpolitik zur Folge, die auf Dauer nicht durchzuhalten ist. Insbesondere Serbien, das im Ukrainekrieg bisher eher auf Seiten des Kreml stand, geht zunehmend auf Distanz: Der russische Vorschlag einer Militärbasis auf serbischem Boden wurde brüsk zurückgewiesen.

Autoreninfo

Antonia Colibasanu ist Analystin bei Geopolitical Futures und Dozentin an der rumänischen National Defence University mit Sitz in Bukarest.

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Auf dem Balkan, der gebirgigen Region im Südosten Europas, die sich von der Adria bis zum Schwarzen Meer erstreckt, hat sich ein neuer Schauplatz im globalen Wirtschaftskrieg aufgetan. Obwohl die Region in hohem Maße von russischer Energie abhängt und somit anfällig für politischen Einfluss durch Russland ist, ist sie für ihr politisches und wirtschaftliches Wohlergehen weitgehend auf die Europäische Union angewiesen.

Die meisten Balkanstaaten sind bereits Mitglieder der EU und der Nato, und diejenigen, die es noch nicht sind, bemühen sich, es zu werden. Sie waren schon vor dem Krieg in der Ukraine, der die für die Region typischen ethnischen und politischen Spannungen nur noch verschärft hat, in einer chronischen wirtschaftlichen Schieflage, aber die durch den Krieg ausgelöste Energiekrise hat in diesen Ländern die Sorge um ihre Zukunft noch verstärkt – eine Sorge, die sie dazu veranlasst hat, ihre politische und wirtschaftliche Ausrichtung zu überdenken, auch wenn ihre Zukunft von Kräften bestimmt wird, die weitgehend außerhalb ihrer Kontrolle liegen.

Im Mittelpunkt des Problems steht der Energiesektor. Da die meisten Balkanstaaten (mit Ausnahme Rumäniens und Griechenlands) für den Großteil ihrer Energieversorgung von Russland abhängig sind, ist die Art und Weise, wie sie ihre Beziehungen zu Moskau gestalten, ein Hinweis auf ihre Strategien im Kontext des globalen Wirtschaftskriegs.

Amerikanisches Flüssiggas für Bulgarien

In Bulgarien etwa erklärte Energieminister Rosen Hristov, dass die Regierung zwangsläufig die Verhandlungen mit Russland über die Gaslieferungen wieder aufnehmen werde, die Moskau Ende April einseitig eingestellt hatte, als Bulgarien sich weigerte, Russland in Rubel zu bezahlen. Die Zahlung in Rubel hätte damals gegen die westlichen Sanktionen verstoßen, so dass Sofia sich entschied, mit Rumänien an einer Verbindungsleitung zu arbeiten, über die rumänisches Gas nach Bulgarien geliefert wird, und mit Griechenland an einer Verbindungsleitung, über die amerikanisches Flüssiggas (LNG) geliefert wird, ganz gleich, was Russland sagt.

Die bulgarische Regierung hat jedoch berechnet, dass umgeleitetes LNG aus Griechenland etwa 50 Prozent teurer ist als Gas aus Russland. Das mag stimmen oder auch nicht – die Unwägbarkeiten eines instabilen Energiemarktes und die Existenz von Sanktionen machen es schwierig, dies zu überprüfen –, aber selbst wenn es so wäre, signalisiert Bulgarien eindeutig, dass es bereit wäre, gegen Sanktionen zu verstoßen, um seine wirtschaftlichen Interessen zu schützen, zumal Russland in der Vergangenheit die Preise für politische Vorteile gesenkt hat. Abgesehen von den Preisen hätte die bulgarische Entscheidung wahrscheinlich einen – wenn auch geringen – Einfluss auf den politischen Zusammenhalt der EU, der von entscheidender Bedeutung ist, wenn Brüssel seine Gesamtabhängigkeit von russischer Energie verringern will.
 

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Als Russland im April die Lieferungen an Bulgarien einstellte, befürchteten Serbien und Ungarn, dass ihre eigenen Lieferungen, für die man sich ein Pipelinenetz mit Bulgarien teilt, davon betroffen sein könnten. Um sich abzusichern, bemüht sich Belgrad um eine Diversifizierung seiner Gaslieferoptionen. Am 22. August wurde nach einem Telefonat zwischen dem aserbaidschanischen Präsidenten Ilham Aliyev und dem serbischen Präsidenten Aleksandar Vucic bestätigt, dass Serbien gemäß einer im Juni unterzeichneten Absichtserklärung Energie aus Aserbaidschan zu „günstigen Bedingungen“ erhalten wird. Damit dies geschehen kann, muss eine Verbindungsleitung zwischen Serbien und Bulgarien gebaut werden. Das Projekt ist bereits im Gange, wird aber erst im nächsten Jahr fertiggestellt sein.

Serbiens Energiekrise

In der Zwischenzeit hat Belgrad auch versucht, sich LNG von Terminals in Griechenland und Kroatien zu sichern, das größtenteils aus den USA kommt, und zwar zu ähnlichen Preisen wie das, was Bulgarien und andere europäische Länder kaufen. Darüber hinaus kündigte Serbien Ende Juli an, eine Arbeitsgruppe zur Energiekrise und zu gemeinsamen strategischen Projekten mit Nordmazedonien und Albanien zu bilden, und bemüht sich, den Bau der Verbindungsleitung mit Rumänien zu beschleunigen. Der Aufbau von Verbindungsleitungen braucht Zeit, aber sie sind langfristige Lösungen für strategische Probleme, die Belgrad dem Westen im Allgemeinen und der EU im Besonderen näher bringen werden.

Die Aussicht auf eine größere Energiediversifizierung Serbiens hat die Regierung zu der Erklärung veranlasst, dass sie die Einfuhr von russischem Rohöl am 1. November einstellen und sich damit effektiv dem westlichen Sanktionsregime anschließen wird. Interessanterweise erfolgte diese Erklärung, nachdem der russische Botschafter in Serbien Anfang des Monats geäußert hatte, Moskau sei an der Eröffnung eines Militärstützpunktes in Serbien interessiert. Dies löste in Serbien natürlich große Unruhe aus, und der Präsident ging sogar so weit zu sagen, dass Serbien „keine Militärstützpunkte von irgendjemandem“ brauche.

Spannungen zwischen Moskau und Belgrad

Da aus Moskau keine Antwort kam, scheinen die Spannungen zwischen Moskau und Belgrad sogar noch zuzunehmen. Am 23. August erklärte der stellvertretende serbische Ministerpräsident, dass Serbien zwar beschlossen habe, sich im Februar nicht an den Sanktionen zu beteiligen, sich aber „eindeutig gegen den Krieg in der Ukraine entschieden“ habe, und forderte den russischen Außenminister auf, seine Position zu respektieren und Serbien nicht länger als Unterstützer des Konflikts zu bezeichnen. Die Äußerungen wurden von den serbischen Medien aus gutem Grund weit verbreitet: Es ist das erste Mal, dass die serbische Regierung die Position Russlands in der Ukraine offen kritisiert hat.

Die multivektorale Außenpolitik Serbiens ergibt sich aus der geopolitischen Notwendigkeit, ein Gleichgewicht zwischen den Großmächten herzustellen. So hat Belgrad gute Beziehungen zu Russland und der EU unterhalten und sich mit China auseinandergesetzt, während es zu den USA, die von der Öffentlichkeit immer noch als Aggressor im Rahmen der Nato-Intervention in den 1990er Jahren angesehen werden, einen sicheren Abstand hielt. Angesichts der schwindenden Macht und der wirtschaftlichen Probleme, mit denen Russland, China und in geringerem Maße auch die EU zu kämpfen haben, musste sich Serbien jedoch wohl oder übel für die USA erwärmen.

Der Krieg in der Ukraine scheint Serbiens Strategie bestätigt zu haben. Aus diesem Grund setzt Belgrad derzeit auf den Westen, während die Beziehungen zu Russland immer schlechter werden. Belgrad kann Russland nicht dabei unterstützen, die Unabhängigkeit von Donezk und Luhansk zu fordern – zu viele Ähnlichkeiten gibt es zwischen dem Schicksal dieses Gebiets und dem des Kosovo. Gleichzeitig ist die serbische Wirtschaft weitgehend von der EU abhängig, was Belgrad dazu veranlasst, seinen Beziehungen zum Westen Vorrang einzuräumen.

Gefahr für die europäische Stabilität

Vielleicht noch wichtiger – und der beste Grund für Belgrads Reaktion auf Russlands Vorschlag für eine Militärbasis – ist die Tatsache, dass Serbien sich darüber im Klaren ist, dass Russland den Balkan nutzen könnte, um den Westen zu flankieren. Der Balkan würde für den Kreml eine weitere wichtige Angriffslinie darstellen, die eine Aufteilung der Verteidigungskräfte erzwingen und neue Angriffsmöglichkeiten schaffen würde. Aber auch für die europäische Stabilität wäre dies auf lange Sicht eine Gefahr. Und das ist etwas, was Moskau und Washington ebenso gut verstehen wie Belgrad. Die USA und die EU haben sich in der Region diplomatisch engagiert, indem sie Gespräche zwischen Kosovaren und Serben mit dem Ziel einer Einigung über Fragen wie die Ausstellung von Personalausweisen und Kfz-Kennzeichen im Norden des Kosovo erleichtert haben; ebenso wurde darüber gesprochen, wie sie die lokale Wirtschaft unterstützen können. Bei alledem wurde auf mögliche neue Instabilitäten geachtet.

Die Zukunft der Region wird jedoch von der Art und Weise abhängen, wie der globale Wirtschaftskrieg die Balkanstaaten unter Druck setzt und wie sich der kinetische Krieg in der Ukraine entwickelt. Die Entscheidung einer Großmacht, eine neue Flanke zu eröffnen oder die Öffnung einer neuen Flanke auf dem Balkan zu verhindern, hat einen dramatischen Einfluss auf die regionale Stabilität. Aus diesem Grund müssen scheinbar passive Äußerungen wie die des russischen Botschafters ernst genommen werden. Da Europa in eine weitere und komplexere Phase des Krieges eintritt, haben solche Erklärungen das Potential, strategische Neuausrichtungen voranzutreiben.

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Martin Falter | Di., 30. August 2022 - 10:23

manche Leute - und hier gibt es einige davon - warum der Kriegstreiber gestoppt werden muss.
Selbst die Serben haben das verstanden.

lieber gegen den Kriegstreiber und das eigene Volk, das wird was werden. Der eine schüttelt sich nur und lacht milde und das eigene Volk wird bald aufstehen, schauen Sie nur mal gespannt nach draussen im Herbst, hoffentlich fliegt Ihnen dann nicht zu viel um die Ohren! Nicht das es wie in Bulgarien wird, was ja unsere Regierung gern unter den Teppich kehren will

Gabriele Bondzio | Di., 30. August 2022 - 11:22

bemühen sich, es zu werden."

Sicher Frau Colibasanu, wer kann schon der Geldsegnung wiederstehen?

Wie ich gerade lesen konnte, verhandelt Bulgarien mit Gasprom.
https://orf.at/stories/3283074/
Und auch Russlands Konjunktur ist stabil, entgegen allen anderen Behauptungen.
https://www.businessinsider.de/politik/wall-street-sagte-russlands-wirt…

Die Länder des Balkan positionieren sich sicher mit Absicht nicht entgültig zwischen West und Ost. Sie werden sich nach dem Geldfluß bzw. "Sieger" entscheiden.

Aber es ist auch sehr gut zu beobachten, dass der Ethnonationalismus und die mehrheitlich orthodoxe Gesellschaften (welche im Balkan vorherscht). Und eng mit dem Staat verbunden ist, gerade im Balkan sehr stark aufersteht.
Das wird immer Sprengkraft entfalten.

Auch die Erinnerung an das NATO-Bombardement im Kosovokrieg 1999, ist/war eine entscheidende Zäsur und tiefsitzende Kränkung gegen den "Westen".

Es ist Unsinn zu behaupten, der Kosovo-Krieg sei eine Zäsur gewesen. Er hat anti-westliche Ressentiments verstärkt, die aber schon immer bestanden und bei vielen weiter bestehen. Die Zäsur fand ja schon früher statt, vor allem im Bosnien-Krieg einschließlich der ethnischen "Säuberungen".
Damals wie heute trägt man Bilder von Tschetnik-Führer und (phasenweise) Nazi-Kollaborateur Draža Mihailović spazieren (siehe Foto über diesem Artikel), den Genozid von Srebrenica leugnet man nach wie vor, und ein serbischer Bischof würde am liebsten eine Waffe benutzen, wenn es um die gay pride parade geht.

https://www.derstandard.de/story/2000138388137/serbischer-bischof-will-…

Vučić, unter Milošević "Informationsminister", hat ein autoritäres System errichtet und laviert seit langem zwischen der EU und Russland. Gut möglich, dass sich Putin auch hier verzockt hat. Aber ob Serbien in diesem Zustand ein EU-Kandidat ist..?

Gabriele Bondzio | Mi., 31. August 2022 - 17:35

Antwort auf von Kai Hügle

Es gibt so einige Journalisten und Artikel, die das Wort Zäsur verwenden, werter Herr Hügle.

z.B. am 21. März 2019 bei der SZ/Titel: Recht oder Moral

"Am 24. März vor 20 Jahren griff die Nato mit Kampfjets und Marschflugkörpern Serbien an. Damit begann ein Krieg, der zur Zäsur in der Weltpolitik wurde. Der Kosovo-Krieg veränderte den Balkan, forderte das Völkerrecht heraus, verschlechterte die Beziehungen zwischen dem Westen und der slawisch geprägten Sphäre und erhöhte die Spannungen zwischen der Nato und Russland sowie China."

https://www.sueddeutsche.de/politik/kosovo-krieg-recht-oder-moral-1.437…

Hans Süßenguth-Großmann | Di., 30. August 2022 - 13:26

wie mit Russland umzugehen ist, die in Europa vorherrscht .Von seitens Polen und der Balten wäre es am Besten Russland verschwände vom Globus, was nicht realistisch ist. Für den Balkan und Ungarn ist das Hemd näher als der Rock, man nimmt Energie zum halben Preis gerne. Deutschlands Regierung nimmt den doppelten Preis in Kauf, was aber eine beträchtliche Zahl der Regierten nicht so toll findet.
Wir riskieren einen Atomkrieg dafür, das wir einen Rezession haben werden, wir uns vom Weltmarkt verabschieden können, uns kauft keiner mehr was ab , die Ukraine in der EU ist und dauernd alimentiert wird und letztendlich nur die Hälfte der Flüchtlinge zurückkehren werden. Waffenstillstand jetzt, Volksabstimmungen im Donbass und auf der Krim und eine neutrale Zone die Belarus und die Ukraine einschließt.

Tomas Poth | Di., 30. August 2022 - 15:53

Geopolitik, USA v.s. Russland und andere. Ich verlinke hier einen Beitrag aus der BZ.
Für O. Lafontaine sind die USA der Buhmann, was er auch schlüssig darstellt, und was ich nachvollziehen kann, wenn ich das Agieren der USA seit dem Vietnamkrieg berücksichtige.
https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/oskar-lafontaine-d…
Die USA kämpfen um ihre Dominanz, egal was mit anderen Völkern passiert, sh. auch Ukraine.
Die USA und Vasallen verteidigen die Ukraine bis zum letzten Ukrainer.