Bundeswahlleiter Georg Thiel
Dringt auf Wahlwiederholung in Berlin: Bundeswahlleiter und Präsident des Statistischen Bundesamtes Georg Thiel / dpa

Wahlergebnis von 2021 auf der Kippe - Berlin: Letzter Ausweg Wahlwiederholung 

Der Wahlprüfungsausschuss des Bundestages und das Berliner Landesverfassungsgericht beschäftigen sich jetzt vertieft mit der Bewertung der unglaublichen Wahlpannen am 26. September 2021 in der Hauptstadt. Vieles deutet auf eine zumindest teilweise Wiederholung der Wahlen für Bundestag und Landesparlament hin – mit möglicherweise dramatischen Folgen für die Bundespolitik.

Autoreninfo

Rainer Balcerowiak ist Journalist und Autor und wohnt in Berlin. Im Februar 2017 erschien von ihm „Die Heuchelei von der Reform: Wie die Politik Meinungen macht, desinformiert und falsche Hoffnungen weckt (edition berolina). Er betreibt den Blog „Genuss ist Notwehr“.

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Die Überprüfungen der Wahlen zum Deutschen Bundestag, dem Berliner Abgeordnetenhaus und den Berliner Bezirksverordnetenversammlungen am 26. September gehen in die entscheidende Phase. Der Wahlprüfungsausschuss des Bundestages hat am Dienstag mit der mündlichen Verhandlung über den Einspruch von Bundeswahlleiter Georg Thiel gegen die Gültigkeit der Bundestagswahl am 26. September 2021 und zum Berliner Wahlgeschehen insgesamt begonnen. Der Bundeswahlleiter hatte am 19. November Einspruch gegen die Gültigkeit der Bundestagswahl in sechs Berliner Wahlkreisen eingelegt. 

„Systemisches Versagen“ 

Thiel hatte seinen Einspruch damit begründet, dass es am Wahlsonntag in einigen Berliner Wahlkreisen aufgrund von fehlenden oder falschen Stimmzetteln zu einer zeitweisen Schließung von Wahlräumen sowie aus anderen organisatorischen Gründen zu Schlangen vor Wahlräumen gekommen sei. Viele Wähler hätten nicht von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen können. Die Vorkommnisse haben aus Sicht Thiels wahlrechtliche Vorschriften verletzt und stellten deshalb Wahlfehler dar, die unter anderem den Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl nach Artikel 38 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes beeinträchtigt hätten. Zudem könnten die aufgetretenen Wahlfehler mandatsrelevant gewesen sein. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass sich ohne diese Vorkommnisse eine andere Sitzverteilung des Bundestages ergeben hätte. Thiel bekräftigte am Dienstag bei der Verhandlung seine Forderung nach einer Wiederholung der Wahl in den genannten Wahlkreisen. Es gehe nicht um einzelne Fehler, sondern um „systemisches Versagen“. Bei der Verhandlung wurden auch weitere, schlüssig dokumentierte grobe Verstöße erörtert. Etwa händisch kopierte Wahlzettel, Stimmabgaben bis 21 Uhr (also drei Stunden nach Schließung der Wahllokale) Pannen bei der Auszählung und Übermittlung der Ergebnisse u.v.a.m.     

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Dorothee Sehrt-Irrek | Mi., 25. Mai 2022 - 14:24

Die Akzeptanz für Wahlen wäre jetzt schon dahin?
An was denkt man denn alternativ, Glaskugel, das Orakel zu Delphi, Kraken-Entscheidung, wie vor Fussballspielen?
Ich finde das gesamte Procedere hochspannend und geradezu motivierend für Wahlen in parlamentarischen Demokratien.
Genausogut könnten in Nachwahlen nun ganz viele die Linken wählen, weil sie ja nunmehr wissen, wie knapp man scheitern kann.
Sogesehen haben Wahlwiederholungen ein Geschmäckle, aber es sind für mich akzeptable Korrekturen.

Thomas Hechinger | Mi., 25. Mai 2022 - 15:29

Antwort auf von Dorothee Sehrt-Irrek

Sehr geehrte Frau Sehrt-Irrek, an was denken Sie eigentlich, wenn Sie von Wahlen hören? Zettelchen ausfüllen, in die Luft schmeißen, und die, die auf den Tisch fallen, einsammeln und irgendwie auswerten, die andern zusammenkehren und in den Abfall mit ihnen? Stellen Sie sich so Wahlen vor? Dann würde ich Ihrem Vorschlag folgen und das Orakel von Delphi befragen. Dessen Weissagung hätte sicher eine größere Relevanz als das Ergebnis solcher Wahlen.
Ich stelle mir Wahlen ganz anders vor. Sie sollen den Volkswillen zu einem gegebenen Zeitpunkt abbilden. Und wenn dieser die LINKE zu 15,3 % haben will, dann möchte ich nicht, daß da 15,7 % oder 15,0 % stehen. Und wenn 10,1 % der Wähler die AfD ankreuzen, dann sollen am Ende nicht 10,2 % oder 9,8 % herauskommen. So einfach ist das. Mehr will ich doch gar nicht.
Die Unernsthaftigkeit und Unbekümmertheit, die in Ihrem Kommentar zum Ausdruck kommen, berührt mich seltsam.

Herr Hechinger?
Es wird ein Geschmäckle geben bei Neuwahlen, weil der Wähler jetzt mehr weiss, als zuvor.
Sogesehen würde ich mir eher eine Art hochgerechnete Korrektur wünschen als Neuwahlen.
Wenn man recht präzise Voraussagen treffen kann bei Befragung von 1000 Stimmen auf zig Millionen, dann müßte es doch einen Weg geben, den Wahltermin sozusagen zu belassen?
Meine Stimme der Verzweiflung - denn es wurde zuvor gewarnt - als Unbekümmertheit zu deuten, das ehrt Sie, Herr Hechinger, weil Sie die Situation so schwer gewichten, dass Sie keinerlei Abweichung dulden, auch nicht die ins "Irrwitzige" etc.
Ich akzeptiere Ihre Kritik dahingehend und hoffe auf Ideen, wie man Wahlen künftig sicherer machen kann.
Jetzt ist wohl mal passiert, wovor gewarnt wurde, aber die Neuwahlen könnten durch eine viel höhere Wahlbeteiligung das Ergebnis so gravierend verändern, dass Fehler der 1. Wahl dann doch in keinem Verhältnis zu den dann auftretenden Verzerrungen stehen könnten.
Schwere Entscheidung

Walter Bühler | Mi., 25. Mai 2022 - 14:25

... als sich um die Verwaltung oder um ihre Organisation zu kümmern.

Da soll das Wahlalter auf 15 oder 16 Jahre herabgesetzt werden, da muss die Sprache der Verwaltung vereinfacht oder primitiviert werden, Straßenumbenennungen müssen auf Druck mächtiger Aktivisten und Netzwerke gegen die Anwohner durchgesetzt werden. Dauernd man muss all die Aktivisten der wichtigen Netzwerke mit neuen, gutdotierten Posten versorgen (auch wenn sie keinerlei fachliche Qualifikationen vorweisen können). Partnerschaften und Patenschaften mit all den fortschrittlichen Gesinnungsgenossen dieser Erde müssen organisiert werden, und noch viel mehr...

Für die kleinkarierte bürgerliche Verwaltung von Stadt, Schule und sonstigem ist da echt keine Zeit mehr. Die Verwaltung trudelt ungestört von der Politik so vor sich hin. Sie hat sich an den Vorzug gewöhnt, dass ihr Ruf schon lange ruiniert ist.

Ob das Wählerverzeichnis stimmt? Wer weiß das schon?

Wahlen werden an der Inkompetenz nichts ändern.

@Herr Bühler, nach meiner Kenntnis will die Berliner Verwaltung keinesfalls ungestört vor sich hin trudeln. Im Gegenteil: nur durch viele Fachleute, die sich aus unerfindlichen Gründen immer noch nicht demotivieren lassen, läuft der Laden überhaupt noch. Für eine Stadt, die einmal Vorbild für eine effektive, weil verantwortungsbewusst handelnde Verwaltung war, ist das RRG-Chaos schlicht und ergreifend beschämend.

Walter Bühler | Do., 26. Mai 2022 - 18:38

Antwort auf von Karl-Heinz Weiß

... viele Mitarbeiter des ÖD ihr bestes, und Gott sei Dank machen wir Bürger auch gute Erfahrungen. Ich weiß auch, dass viele ehrliche Mitarbeiter unter den Berliner Zuständen genau so leiden wie die anderen Bürger.

Sie gehören aber nicht zum Typ der "Beauftragten", also zu den staatlich alimentierten Interessenvertretern bestimmter Netzwerke (Frauenbeauftragte, Datenschutzbeauftragte, Gleichstellungsbeauftragte, Antisemitismusbeauftrage, Antirassismusbeauftragte, Naturschutzbeauftrage, ...). Die Berliner Politik beschäftigt sich fast ausschließlich mit diesen "Beauftragten" und mit den irrsinnigen Kompetenzstreitigkeiten zwischen Senat und Bezirken. Diese Scheinaktivitäten dienen als Ausrede, die wirklichen Aufgaben der Stadt- und Landesverwaltung nicht erledigen zu können. Der Dienstherr ist unfähig oder unwillig, die grundlegenden Missstände abzustellen, weil die Parteifunktionäre in den Bezirksversammlungen und im Abgeordnetenhaus von dieser Situation profitieren.

Thomas Hechinger | Mi., 25. Mai 2022 - 14:41

Es ist nur noch zum Heulen.

Im besten Deutschland, das es jemals gab, funktioniert nichts mehr. Züge kommen zu spät oder fallen ganz aus. Brücken drohen einzustürzen und werden gesperrt. In Berlin wartet man monatelang auf die Zulassung eines Autos. Fremde Menschen kommen in unser Land, und keiner weiß, wer sie sind und was sie vorhaben. Im Rahmen einer Pandemie läßt man Freiheitsrechte mal so entfallen. Statistisches Material, um zu beurteilen, ob und gegebenenfalls welche Maßnahmen hilfreich und welche schädlich waren, wird nicht erhoben, eine Evaluierung findet nicht statt. Eine Kandidatin hübscht in grotesker Weise ihren Lebenslauf auf - und wird Außenministerin. Eine andere erschleicht sich einen Doktortitel - und wird Regierende Bürgermeisterin von Berlin. Das ist die Stadt, die nicht einmal mehr in der Lage ist, demokratische Wahlen zu organisieren. Das läuft sogar in Burkina Faso besser. Und schon tut es mir leid, dieses Land in einem Atemzug mit Deutschland genannt zu haben.

Christoph Kuhlmann | Mi., 25. Mai 2022 - 15:08

nichts am Hut. Das passt perfekt auf das antilinke Vorurteil für die Ordnung, Sauberkeit und Pflichtbewusstsein nur Sekundärtugenden sind und wer pünktlich zur Arbeit kommt schon des faschistischen Weltbildes verdächtig ist. Es sei denn er ist Kommunist, den Leistungskadern in der Szene. Das alles ist Wasser auf die Mühlen der AfD, was nicht heißen soll das die nicht auch zu engstirnig sind.

Ingo Frank | Mi., 25. Mai 2022 - 15:55

kriegen nichts hin. Keinen Flughafen und noch nicht einmal ne‘ stink normale Wahl.
Unfähigkeit in höchster Potenz. Und, das betraf den Ostteil vor 1989 auch schon. Alles was es so an „Luxusgütern“ (Bananen und Trink-fix = KABA Tiefkühlschränke, Heilbutt +++)gab, wurde in der Republik zusammengekratzt und nach B gekarrt. Die wurden doch mit dem A…..
nach oben beerdigt, damit der Zucker der ihnen da reingeblasen wurde, nicht rausrieselt. Und wenn ich den Erzählungen meines aus NRW stammenden Chefs Glauben schenken kann, sah es in WB genau so aus. Nur als Randnotiz: Thüringen wurde von den Ammis besetzt und gegen Westberlin verschachert.
Mit freundlichen Gruß aus der Erfurter Republik

Achim Koester | Mi., 25. Mai 2022 - 17:52

spätestens dann, wenn Neuwahlen unvermeidlich scheinen, wird das Bundesverfassungsgericht die Rechtmäßigkeit der Berliner Wahl bestätigen, weil nicht sein kann, was nicht sein darf. "Rückgängig gemacht" darf nur eine Wahl werden, die in die andere Richtung schiefging.

Genau so wird es kommen.
Demokratie, bedeutet, alle Macht geht vom Volke aus.
Aber wo ist sie hingegangen?
Es hört sich aber gut an und macht sich auf Papier gut.

Ernst-Günther Konrad | Do., 26. Mai 2022 - 09:01

Die Abgeordnete des Bundestages - des alten oder des neuen? - sollen die Wahl prüfen und entscheiden. Wären sie vom neuen BT, dann sind die selbst möglicherweise gar nicht korrekt gewählt oder irre mich da? Da entscheiden also Abgeordnete aller Parteien darüber, ob sie selbst oder ihre Partei, möglicherweise das eigene Mandat rechtsgültig erlangt wurde und sie berechtigt im BT sitzen. Und anschließend geht es wahrscheinlich vor Harbarths Gericht nach Karlsruhe und da kommt dann was heraus? Ich bin da skeptisch, ob bis zum Ende der Legislaturperiode, sollte die Ampel die Halbzeit überhaupt bestehen, etwas im Sinne der Bürger (Wähler) herauskommt. Das wird solange hinausgezögert und verwässert werden, bis eine endgültige Entscheidung keinen Sinn mehr machen wird. Viele von uns haben doch bereits am Wahltag, ob der ersten Vorkommnisse für sich erkannt, dass das keine korrekte Wahl war. Das inzwischen festgestellte Versagen ähnelt einem Berliner Krebsgeschwür, das gestreut hat.

Ferdinand Schulze | Do., 26. Mai 2022 - 09:07

Wenn ich unsere Wahlkämpfer noch im Ohr habe, war es doch so, dass es "um jede Stimme" geht. In Berlin ist das offenbar nicht so, und einige hier finden das wohl auch nicht so schlimm, wenn bei Wahlen Schwund auftaucht. Es findet auch niemand kritikwürdig, dass unsere Parlamente selbst darüber beschließen, ob sie nun rechtmäßig gewählt sind oder nicht. Es gibt Bananenrepubliken, da sind Wahlgerichte für solche Entscheidungen zuständig. Wozu soll man denn überhaupt noch wählen gehen? Es wurde kein Schaden für die Demokratie angerichtet? Wie bitte??