Polizisten und Sicherheitskräfte sind nach Bombenexplosionen auf dem kolumbianischen Flughafen Camilo Daza am 14. Dezember im Einsatz / picture alliance

Konflikt zwischen Russland und den USA - Ausweitung der Kampfzone

Der Ukraine-Konflikt zwischen Russland und den Vereinigten Staaten droht, sich auf Lateinamerika auszuweiten. Und zwar in Form eines Stellvertreterkrieges zwischen Venezuela und Kolumbien. Einiges erinnert an die Kuba-Krise. Doch es geht eher um die Unterstützung von Guerilla-Gruppen.

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Allison Fedirka arbeitet als Analystin für die Denkfabrik Geopolitical Futures. Sie hat mehrere Jahre in Südamerika gelebt. 

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Wenn Elefanten kämpfen, hat vor allem das Gras darunter zu leiden. Nur in wenigen Regionen tritt dieses Phänomen deutlicher zutage als in Lateinamerika, das schon einmal in Streitigkeiten zwischen Großmächten in Nordamerika und Eurasien hineingezogen wurde. Was nun abermals passieren könnte.

Der Schwerpunkt der jüngsten Auseinandersetzung zwischen den USA und Russland liegt in der Ukraine, also in Russlands eigenem Vorgarten – aber Moskau sieht eine Gelegenheit, das Spielfeld durch die Unterstützung destabilisierender Kräfte in Lateinamerika zu erweitern. Russische Diplomaten haben in den vergangenen Wochen die Möglichkeit der Stationierung von Waffen in der Region ins Gespräch gebracht, doch die größere Gefahr besteht darin, dass die Gewalt entlang der kolumbianisch-venezolanischen Grenze eskaliert und Moskau und Washington mit hineingezogen werden.

Russland und Venezuela sind seit Jahren in ihrer Verachtung für die Vereinigten Staaten vereint. In jüngster Zeit hat sich jedoch, insbesondere von russischer Seite, ein deutlicher Wandel von einer losen Freundschaft hin zu einem engeren Bündnis mit kriegerischen Untertönen vollzogen. Es begann, als der stellvertretende russische Außenminister Sergej Rjabkow vorschlug, militärische Infrastrukturen in Venezuela und Kuba zu stationieren. Zwei Wochen später warf der russische Botschafter in Venezuela erneut die Frage der russisch-venezolanischen Zusammenarbeit im militärischen Bereich auf. Die venezolanische Verfassung verbiete die Einrichtung ausländischer Stützpunkte, so der Botschafter, schließe aber eine Zusammenarbeit in den Häfen nicht aus. Er verglich die politische Krise der venezolanischen Regierung im Jahr 2019 mit der Art von „Farben-Revolutionen“, wie sie in Russlands Nachbarländern zu beobachten waren. Derweil beschwerte sich der venezolanische Verteidigungsminister – ohne Beweise zu erbringen – darüber, dass die Nato in Lateinamerika an Boden gewinne und Kolumbien (das nur Beobachter in der Allianz ist und daher keinen Einfluss auf Diskussionen oder Operationen hat) als Spielball benutze.

Putin telefoniert mit Maduro

Der Kreml hat außerdem die Aufmerksamkeit auf hochrangige Gespräche zwischen den beiden Ländern gelenkt, darunter ein Telefonat zwischen dem russischen Präsidenten Wladimir Putin und seinem venezolanischen Amtskollegen Nicolas Maduro in der vergangenen Woche.

Dieser Wandel ist in den USA und Kolumbien nicht unbemerkt geblieben. Obwohl beide Länder nicht für eine gemeinsame Reaktion auf Russlands Vorgehen plädierten, haben sie deutlich gemacht, dass sie den Einfluss des Kremls auf die Angelegenheiten Venezuelas ablehnen. Kolumbien, das seine Grenze zu Venezuela wegen der angeblichen Unterstützung der kolumbianischen Guerilla im Grenzgebiet durch Caracas geschlossen hat, erklärte, es lasse sich von Russland nicht zur Wiedereröffnung der Grenze erpressen.

Die Vereinigten Staaten ihrerseits erklärten, sie würden entschlossen reagieren, wenn Russland, wie von Rjabkow vorgeschlagen, militärische Ausrüstung in das Gebiet verlege. Außerdem warnten sie im Dezember vor einer ausländischen Einmischung in die kolumbianischen Präsidentschaftswahlen 2022 – eine beliebte russische Taktik. Doch ansonsten fiel die Reaktion Washingtons verhalten aus. Unmittelbar nach Rjabkows Äußerungen ließ die US-Luftwaffe ein Aufklärungsflugzeug über die Karibik fliegen, aber Washington machte dies nicht groß publik. Ebenso hat Washington es vorgezogen, die russischen Aktivitäten und Absprachen mit der venezolanischen Regierung und den Guerillagruppen nicht zu sehr in den Vordergrund zu rücken und stattdessen inoffizielle Personen den Großteil des Gesprächs führen zu lassen.

Das alles erinnert sehr an den Kalten Krieg. Insbesondere Rjabkows Äußerungen riefen Erinnerungen an die Kubakrise wach. Die Vorstellung, dass Russland bedeutende militärische Mittel nach Venezuela verlegen könnte, ist jedoch wenig plausibel und sollte eher als Erinnerung an die Verwundbarkeit der USA denn als konkrete Bedrohung betrachtet werden. Ein solcher Einsatz würde erhebliche finanzielle Mittel und logistische Kapazitäten erfordern, die bereits in Russlands Nachbarländern gebunden sind. Darüber hinaus hält die allgemeine Unbeständigkeit Venezuelas die Russen (oder jeden anderen) davon ab, dort größere wertvolle Anlagen zu stationieren.

Aber Moskau muss gar keine großen militärischen Mittel einsetzen, um Washington auf Gefahren aufmerksam zu machen, die näher am eigenen Land liegen als die Ukraine. Während des Kalten Krieges war die Kuba-Krise die Ausnahme. Die meisten Maßnahmen der Sowjetunion in Lateinamerika betrafen die Unterstützung linksradikaler politischer und Guerillabewegungen – die Sandinisten in Nicaragua, die Tupamaros in Uruguay und die ursprünglichen Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (FARC) –, die die Interessen der USA in der Region bedrohten. Diese Strategie war äußerst effektiv und führte sogar dazu, dass die USA bei mehreren Gelegenheiten Putsche in der Region unterstützten, um pro-amerikanische Regierungen an die Macht zu bringen.

Ein Druckmittel für den Kreml

Es ist wahrscheinlicher, dass Russland diese Strategie der Unterstützung von Guerillas und Kriminellen in Lateinamerika wiederholen wird, als dass größere militärische Mittel zum Einsatz kommen. Beides würde die Aufmerksamkeit und die Ressourcen der USA ablenken und Russland ein Druckmittel in den Verhandlungen verschaffen. Denn Ersteres wäre mit weitaus geringeren Kosten und Risiken verbunden.

Vor diesem Hintergrund erhalten die jüngsten Zusammenstöße zwischen kolumbianischen Guerillagruppen und dem venezolanischen Militär in der Nähe der venezolanischen Grenze eine neue Bedeutung. Schmuggel und Kriminalität sind im kolumbianisch-venezolanischen Grenzgebiet eine wichtige Stütze. Gelegentliche Kämpfe um Territorien sind bekannt. Doch seit Anfang 2022 ist in den benachbarten Staaten Apure (Venezuela) und Arauca (Kolumbien) ein deutlicher Anstieg der Gewalt zu verzeichnen.

Allein im Januar kam es im kolumbianischen Departement Arauca zu bewaffneten Zusammenstößen in den Gemeinden Saravena, Tame, Fortul, Arauquita und Arauca (sowie in der Gemeinde Cubara im benachbarten Departement Boyaca). Bei den Kämpfen sind mindestens 34 Menschen ums Leben gekommen, und fast 1000 weitere wurden vertrieben. Der bemerkenswerteste Vorfall war die Detonation einer Autobombe am 20. Januar in Saravena, für die der kolumbianische Verteidigungsminister eine FARC-Dissidentengruppe verantwortlich machte. Der Bombenanschlag sei in Venezuela geplant und von dort finanziert worden, sagte er.
 
Neben der Herausforderung, die die Guerilla selbst darstellt, steht die kolumbianische Regierung vor der zusätzlichen Schwierigkeit, sie von der venezolanischen Regierung zu unterscheiden. Mehrere der Gruppen haben direkte Verbindungen zu Maduros Regierung; viele von ihnen profitieren vom illegalen Handel entlang der porösen Grenze und suchen Zuflucht vor der Strafverfolgung in Venezuela. Die Nationale Befreiungsarmee (ELN) ist seit Jahrzehnten in Venezuela ansässig und wurde durch die Zerschlagung der FARC nach deren Friedensabkommen von 2016 gestärkt.

Kontrolle über Drogenrouten

Mit schätzungsweise 2500 Mitgliedern hat die ELN eine Hochburg in Apure und wird von der Regierung Maduro unterstützt, die die Aktivitäten der ELN nicht nur ignoriert, sondern die Gruppe sogar direkt mit Militäroperationen unterstützt. Ehemalige FARC-Mitglieder, die das Abkommen von 2016 abgelehnt haben, sind ebenfalls noch aktiv und zählen etwa 5200 Mitglieder, die sich auf drei Hauptgruppen aufteilen: Gentil Duartes „10. Front“, die „28. Front“ und die „Zweite Marquetalia“ von Ivan Marquez. Nach Angaben des kolumbianischen Verteidigungsministers haben sich die ELN und die Zweite Marquetalia in einem Krieg gegen Duartes Zehnte Front und die 28. Front verbündet, um die Kontrolle über das Gebiet und die Drogenrouten zu erlangen.

Warum ist dies von Bedeutung? Erstens, weil die Gefahr besteht, dass sich die Scharmützel zu einem Stellvertreterkrieg zwischen Großmächten ausweiten könnten. Im März 2021 war Berichten zufolge ein russischer Soldat an einer venezolanischen Militäroperation gegen eine regimekritische FARC-Gruppe in Apure, Venezuela, beteiligt. Es gibt auch unbestätigte Berichte, dass russische private Militärfirmen venezolanische Truppen ausgebildet haben. Auf der anderen Seite behauptet die ELN, dass die 10. und die 28. Front mit kolumbianischen und US-amerikanischen Behörden (einschließlich der U.S. Drug Enforcement Administration) zusammenarbeiten. Im November stuften die USA sowohl die Zweite Marquetalia als auch die Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens – zu denen die 10. und 28. Front gehören – als terroristische Gruppen ein.

Ein zweites Problem sind die Art und die Ziele der Gewalt. Im vergangenen Juni griff eine FARC-Dissidentengruppe den Hubschrauber des kolumbianischen Präsidenten Ivan Duque auf dem Flughafen Camilo Daza in Cucuta mit Handfeuerwaffen an. Anfang desselben Monats zündete die Gruppe eine Autobombe in einem Militärstützpunkt in Cucuta und verletzte dabei 36 Menschen, darunter einige US-Berater. In beiden Fällen erklärte die kolumbianische Regierung, dass die Finanzierung und die Pläne für die Anschläge aus Venezuela stammten. Doch selbst nach dem Autobombenanschlag von Cucuta unternahmen die USA keine größeren offenen Maßnahmen; ihre einzige öffentliche Reaktion bestand darin, das FBI zur Unterstützung der Ermittlungen zu entsenden.

Eine neue Frontlinie

Monate später, im September, nahm Kolumbien zwei venezolanische Soldaten auf seinem Staatsgebiet fest. Bogota schlug auch Alarm wegen der Verletzung des venezolanischen Luftraums – ein ziemlich häufiges Vorkommnis. Dennoch haben sowohl Venezuela als auch Kolumbien ihre Emotionen im Zaum gehalten. Der Grund dafür ist, dass keines der beiden Länder im Moment an einem größeren Konflikt mit dem anderen interessiert ist. Die bisher bemerkenswerteste Aktion war die Entscheidung Kolumbiens im Oktober, 14.000 Sicherheitskräfte an die Grenze zu schicken, vor allem in das Departement Norte Santander. Kürzlich wurde eine kleinere Sicherheitsverstärkung nach Arauca entsandt.

Auch Venezuela hat mehr Militär in das Departement Apure entsandt, um seine Verbündeten unter den kolumbianischen Guerillas zu unterstützen und seine Gegner zu schwächen. Bogota und Caracas haben Zeiten extremer innerstaatlicher Gewalt und Instabilität hinter sich, in denen sich das Nachbarland als Anlaufstelle für Menschen auf der Suche nach Sicherheit (und wirtschaftlichen Möglichkeiten) erwiesen hat. Ein Krieg würde bedeuten, dass diese für beide Seiten vorteilhafte Vereinbarung zerbricht.

Außerdem besteht bei einem direkten Konflikt die Gefahr, dass sich die USA und Russland einmischen. Und obwohl Bogota und Caracas ihre Beziehungen zu Washington bzw. Moskau schätzen, will keiner von ihnen in einen Konflikt geraten, in dem sie ihren mächtigeren Sponsoren ausgeliefert wären. Statt zu einem Problem zwischen Kolumbien und Venezuela zu werden, könnte so nämlich zu eine neue Frontlinie zwischen den USA und Russland entstehen. Dieses instabile Arrangement funktioniert vorerst, aber das Risiko eines Stellvertreterkonflikts wächst, je länger die von Venezuela unterstützten Guerillagruppen in Kolumbien aktiv und die amerikanisch-russischen Beziehungen angespannt bleiben.

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Romuald Veselic | Do., 27. Januar 2022 - 18:17

Kriminalitätsrate in Amerika (sogar vor MEX) und Hauptstadt Caracas, ist die gefährlichste auf ganzer Welt. Abgesehen davon, sind ca. 4 Mio Venezolaner aus ihrem Land hauptsächlich nach Kolumbien & Brasilien "migriert"... Warum denn?

Und Maduro ist etwa so demokratisch, wie die Mullahs (mit denen er die besten Beziehungen pflegt, mi Flugverbindung zw Caracas u. Teheran) oder der Kim III.

Für den Fall, dass man D moralische Werte hier erneut anwenden würde, wie in der Ukraine - Krise.

Bernd Muhlack | Do., 27. Januar 2022 - 20:09

Im Dez starteten die US-Boys ihre Invasion von Panama - Noriega musste definitiv "weg".
Er flüchtete in die Nuntiatur des Vatikan; also war er zunächst einmal sicher.

Quoi faire?
Die Us-Boys hatten eine geniale Idee!
Sie bauten riesige Lautsprecher rund um die Nuntiatur auf u rund um die Uhr lief Hardrock, volle Kanne.
Noriega gab auf, ergab sich.
Sicherlich hatte der Nuntius etwas nachgeholfen.
Rund um die AC/DC et Co ist nicht jedermanns Sache.

Die USA/CIA waren seit dem Zweiten Weltkrieg immer sehr aktiv in Mittel- u Südamerika;
man denke etwa an Chile u Pinochet.

In Argentinien fand 1978 die Fußball-WM statt; trotz der Militärjunta.

Südamerika u Afrika, die Spielplätze für die Global Player.
USA, Russland, inzwischen auch China.

WIR sind nicht dabei - WIR müssen ja die Welt retten!

Venezuela?
Ein failed state, trotz immensen Ölvorkommens.
Kolumbien, das Land der "Trafficanten"/Drogen.
Man erinnere Pablo Escobar.
War Che Guevara nicht auch Kolumbianer?

Alles wiederholt sich.

Romuald Veselic | Fr., 28. Januar 2022 - 10:10

Antwort auf von Bernd Muhlack

Ernesto "Che" Guevarra war Argentinier, Kinderarzt u. Vater von 6 Kindern. Irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass die "Ikone" an sich, ein sehr miserabler Dad war.

PS Und der liebe Che, ließ auch Deserteure im bolivianischen Abenteuer erschießen. Soviel zum revolutionärem Humanismus. ?

Hans Süßenguth-Großmann | Fr., 28. Januar 2022 - 10:15

Antwort auf von Bernd Muhlack

Er war Argentinier.

Hans Meiser | Fr., 28. Januar 2022 - 11:25

"Russland und Venezuela sind seit Jahren in ihrer Verachtung für die Vereinigten Staaten vereint."
Wie kommt die Autorin denn zu dieser abwegigen Einschätzung?
Nur weil die beiden Länder eine gewisse Verbundenheit haben, muss Russland nun auch die Vereinigten Staaten verachten?
Liebe Frau Fedirka: bei Staaten funktioniert das nicht wie bei kleinen Mädchen - dass Sie jemanden nicht mögen dürfen, nur weil Ihre beste Freundin es auch nicht tut ...