Leonard Cohen bei einer Preisverleihung 2011
Leonard Cohen: „Mein Ruf als Herzensbrecher war ein Witz, der mich bitter lachen ließ“ / picture alliance

Zum Tod von Leonard Cohen - Der Gott der Liebe geht

Leonard Cohen holte die Liebe, ihre Euphorie und ihren Schmerz, immer wieder aus dem Innersten an die Oberfläche. Zum Glück haben wir ihn gehabt

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Die Komponistin und Sängerin Suzanne Vega erzählte kürzlich dem Chefredakteur des Magazins The New Yorker, David Remnick, wie sie einmal Leonard Cohen in seinem Hotel besuchte. Sie trafen sich am Pool. Cohen fragte sie, ob sie sich sein neues Lied anhören wolle. „Als ich ihm zuhörte, bemerkte ich, wie sich eine Frau nach der anderen, alle im Bikini, auf die Stühle um ihn herum setzten. Als er fertig war, fragte ich ihn, ‚Leonard, hast du all die Frauen wahr genommen?‘ Er antwortete ohne mit der Wimper zu zucken, ‚es funktioniert jedes Mal‘.“ Leonard Cohen war ein homme a femme, das ist jedem klar, der einmal ein Konzert von ihm besucht und in die Augen der versammelten Damenwelt geschaut hat. Natürlich hatte das mit seinem guten Aussehen, seiner grabestiefen Stimme zu tun. Und damit, wie er über sexuelles Erleben und über Frauenkörper schrieb und sang.

Mit ihm kehrte man ins Innere zurück

Aber was ihn über den Status eines Herzensbrechers hinweghob, und ihm schließlich doch die Herzen von Frauen und Männern gleichermaßen zufliegen ließ, war, dass sein Werk gleichermaßen von der Abwesenheit von Liebe und dem Leiden darunter geprägt war. Während Bob Dylan, der andere große Rockpoet, einen mitnahm zu den Endpunkten eines sich immer vergrößernden Universums, kehrte man sich mit Leonard Cohen ins Innere zurück. Und wie es dort aussah, konnte kaum einer besser beschreiben als er.

Denn auch bei ihm war die Liebe, das Leben, zersetzt mit der körperlichen Mangelhaftigkeit, den sexuellen Entbehrungen, der Einsamkeit und der Unsicherheit, die wir alle kennen. Noch 2006 schrieb er in seinem Gedichtband Buch der Sehnsucht: „Mein Ruf als Herzensbrecher war ein Witz/ der mich bitter lachen ließ/durch die zehntausend Nächte hindurch/die ich allein verbrachte.“ Die Erfahrung der Zurückweisung beschränkte sich nicht auf das Körperliche. Erst im Alter von gut 30 Jahren begann die Karriere des Sängers Leonard Cohen, hauptsächlich aus Geldmangel, weil ihm der Durchbruch als Schriftsteller nie gelungen war. Dennoch ist sie wohl ausschlaggebend für seine Kenntnis und Erkenntnis der Intimität. Denn erst der Mangel führt zur Wertschätzung und Wertschätzung zu Wert. Das macht Sex zu mehr als einer körperlichen Funktion.

Sex als Schlüssel der Emotionen

So hat auch Cohen immer wieder religiöse und spirituelle Themen mit den Ekstasen des Fleisches verwoben. Sex war für ihn nicht ein angenehmer Zeitvertreib, sondern ein spirituelles Abenteuer, der Schlüssel für Emotionen, die das Leben bestimmen. Wie bei Lawrence Breavman, der Hauptfigur des Cohen-Romans Das Lieblingsspiel. Als dessen Versuche, beim anderen Geschlecht zu landen, endlich erfolgreich sind, dreht er fast durch vor Freude. „Er jubelte, als er nach Hause ging, das neueste Mitglied im Klub der Erwachsenen. Warum hingen nicht alle Schläfer ihre Köpfe aus dem Fenster, um ihm zu applaudieren?“ Es ist nicht nur der sexuelle Akt, den Breavman feiert. Es ist die Herrlichkeit des Lebens.

Bei den meisten von uns Normalsterblichen lässt diese Intensität nach dem ersten sexuellen Erleben immer weiter nach, wie bei allen anderen Dingen auch. Fast jeder erinnert sich an das erste Mal, an das erste Treffen mit einem neuen Menschen, aber wer kann schon eine Wiederholung von der anderen unterscheiden? Sogar Sex wird mit der Zeit oft langweilig, kaum noch bemerkenswert.

Kaum auszuhaltende Intensität

Bei Leonard Cohen schien das nie der Fall zu sein. Offenbar konnte er diese Wertschätzung immer bewahren. So sehr, dass er es kaum aushalten konnte. Sein Leben lang kämpfte er mit Depressionen, flüchtete in Drogen, in den Alkohol und sogar in ein buddhistisches Kloster, in dem er eine Zeit lang als Mönch lebte: mit kahl geschorenem Kopf, Schlafen auf dem Fußboden und allem, was dazugehörte. Diese gleichbleibende Intensität aber brachte ihn dazu, mit einer unheimlichen Wahrhaftigkeit über die Liebe schreiben zu können. Ob es nun das körperliche Verlangen (Take This Longing), die stille Traurigkeit eines vernünftigen Schlussstrichs (Hey, That’s No Way To Say Goodbye) oder die demütigende Endgültigkeit einer Trennung war (Alexandra Leaving).

Das letztere Lied, ein Spätwerk des 2001 veröffentlichen  Albums Ten New Songs, ist vielleicht mein Lieblingsstück von Cohen. Es nimmt ein Gedicht des Griechen Konstantinos Kavafis über den Tod von Marcos Antonius auf, der bei der Rückkehr nach Alexandria sich nach der falschen Nachricht von Kleopatras angeblichen Selbstmord in sein Schwert stürzte. Bei Cohen wurde es eine schmerzlich ehrliche Akzeptanz der Endgültigkeit der Liebe. Die Frau verlässt ihn, und mit ihr geht der Gott der Liebe.

Der „Krieg zwischen Mann und Frau“

Cohen ließ sich manchmal durch seine Ehrlichkeit zu extremen Aussagen verleiten, keine Frage. Seiner Ansicht nach gibt es sowohl einen „Krieg zwischen Mann und Frau“, als auch einen „zwischen denen, die sagen, dass es einen Krieg gibt und denen, die sagen, dass es ihn nicht gibt“ (There Is A War). Und er hat geschrieben, dass er erst wisse, ob er eine Frau kennengelernt habe, wenn er ihr Gesicht vom Orgasmus verzerrt gesehen habe, den er mit ihr gemeinsam erlebt hätte, „alles andere ist Fiktion“. Manchmal hört sich das, was er schreibt, an wie ein schmieriger Führer eines New-Age- Kults, der doch in Wahrheit nur ein Verführer ist, nach dem Motto: Öffne Deinen Körper und öffne Deine Seele.

Aber auf der anderen Seite, ist es nicht doch genau das, was wir fühlen, wenn wir lieben? Wer hat nicht schon alle Frauen oder alle Männer verflucht, wenn eine oder einer einen verlassen haben? Führt nicht tatsächlich erst der gemeinsame Orgasmus mit einem anderen Menschen zum wahren Kennen dieses Menschen? Und wer ist nicht schon euphorisch durch die Straßen getanzt nach einer besonders magischen Nacht?

Wir lernen mit der Zeit, diese Gefühle zu verbergen, wir müssen das tun, um in der Gesellschaft funktionieren zu können. Aber das heißt nicht, dass wir sie nicht mehr haben. Sie sind immer noch da, in uns drin, wir lassen sie nur nicht mehr an die Oberfläche. Zum Glück hatten wir Leonard Cohen, denn er holte die Liebe, ihre Euphorie und ihren Schmerz, immer wieder nach oben, bis zu seinem Lebensende mit 82 Jahren, bis zu seinem kurz vor seinem Tod veröffentlichten Album You want it darker. Wer ihn liest und ihm zuhört, für den ist es immer wieder und für immer das erste Mal. 

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Dorothee Sehrt-Irrek | Fr., 11. November 2016 - 18:27

was Ihnen Herr Wißmann fast überwältigend gelungen ist.
Es ist natürlich vor allem die Wucht der Cohenschen Wahrheiten/Qualen über die/in der Liebe, denen man dann doch sprachlich nachgehen muss und will, können sie einen doch leiten, einem leuchten.
Einem jungen Menschen wie Ihnen würde ich sagen und damit bestätigen wollen, dass die Liebe eine ungeheure Macht ist, die, die diese Welt im Innersten zusammenhält.
Sie kann eigentlich nicht scheitern, weil sie selbst das Scheitern trägt. UNGLAUBLICH, aber wohl wahr.
Schön, dass Sie mich daran erinnert haben.
Ich höre im Allgemeinen dann sofort auf, "zu kämpfen".

verfehlen Sie Cohen dennoch?
Cohen kommt aus einer jüdisch-religiösen Familie, wie ich Suzanne jedoch nie hörte.
Es ist bitte nicht zu verstehen - ich kann da nicht sicher sein - wie - ohne das nun herabwürdigen zu wollen - "und es war Sommer, zum ersten Mal im Leben" oder in etwa "Er war gerade 18 Jahr und ich 36".
Es geht Cohen nicht um die Herrlichkeit des Lebens, sondern ähnlich wie Nietzsche um die Heiligkeit des Lebens.
Der Gleichklang liegt auf "Lady of the harbor" und "Jesus as a sailor". Darin empfinde ich Cohen als einen Berührten im Namen Christi und der Ewigkeit, touched with mind.
Sowohl Christus als auch die Lady des Hafens, Ankommens sind göttliche Menschen, jedoch Suzanne vermutlich Cohens Hafen.
Das macht die Verwirrung um Heiligkeit der Körper und Gott ist Mensch geworden in Christus.
Cohen stellt Suzanne neben Christus und damit sich selbst in sein Kielwasser.
Für die Heiligkeit des Lebens konnte nur ein Mensch bürgen.
You can trust her and travel blind.

Constantin Wissmann | Mo., 14. November 2016 - 14:53

Antwort auf von Dorothee Sehrt-Irrek

Liebe Frau Sehrt-Irrek,
vielen Dank für Ihre Beobachtungen. Letztlich kann ich Leonard Cohen nur aus meiner Wahrnehmung heraus beschreiben. Das religiös-spirituelle Element bei ihm habe ich angesprochen, womöglich aber unterschätzt. Vielleicht bin ich dafür tatsächlich noch zu jung. 

Beste Grüße
CW

Jürgen Frankenbeger | Fr., 11. November 2016 - 18:39

"Erst im Alter von gut 30 Jahren begann die Karriere des Sängers Leonard Cohen, hauptsächlich aus Geldmangel, weil ihm der Durchbruch als Schriftsteller nie gelungen war. "

Immerhin konnte er mit den Einnahmen aus frühen Werken durch Europa reisen und sich in Griechenland niederlassen. 1967 ging er nach USA, wo bekannte Künstler bereits mit seinen Songtexten Erfolge hatten. Über seine Beziehungen zu #Janis Joplin und #Joni Mitchell wurde viel spekuliert. Er verkaufte 6 Millionen Platten. Leider veruntreute seine Managerin sein Geld, das er auch nach erfolgreicher Klage nie wieder sah!

Bernd Fischer | Fr., 11. November 2016 - 18:55

Warum wird um den Tod von bekannten Menschen gelegentlich so eine Hype gemacht?
In der gleichen Zeit starben wahrscheinlich in Europa zig hunderte "alte" Ärzte/tinnen....die in ihrem Leben hunderte von Menschen das Leben gerettet haben....oder alte Frauen die mehren Kindern das Leben geschenkt haben, und nun alleine im "Heim" auf das Ende warten.
Wer wagt es über die zu Schreiben?

ingid dietz | Sa., 12. November 2016 - 03:03

war ganz klar sein Markenzeichen -
ein faszinierender Typ der die Menschen anzog -
ich behaupte, mit zunehmendem Alter wurde er immer "besser" !
bye bye Leonard Cohen

Reiner Jornitz | Sa., 12. November 2016 - 09:53

Ich durfte ihn bei einem Konzert in Ludwigshafen mit meiner damaligen Lebensgefährtin erleben.
Es waren Lieder und Texte die er zum Leben erweckte und man alles um sich herum nicht mehr wahrnehmen konnte. Unglaublich ! Lieder wie Jan d" Arc . Suzanne usw. Schade ich hätte ihn noch einmal gern erlebt auf der Bühne. Er war vor allem eine zwischenmenschliche Inspiration in der Sexualität.

Dorothee Sehrt-Irrek | Sa., 12. November 2016 - 10:19

scheint sich Cohen nicht sicher gewesen zu sein, da ich jetzt auf SPON "You want it darker" hörte?
Im Namen Christi und der Ewigkeit wird es `dunkler´ wie bei Mozarts Zauberflöte und dem eigentlichen Zwilling, dem Requiem.
Aber da Cohen Kinder hat, davon ist es jedoch nicht abhängig, würde er evtl. so formulieren wie Falco "Muss ich denn sterben um zu leben", er will sterben.
Er war sich also sicher. Schön.
Als Kind hörte ich meinen Vater in seiner Liebe zu meiner Mutter - Kinder verstehen ausgezeichnet - das ewige Leben preisen.
Das Schweigen meiner Mutter habe ich genau so verstehen können, in etwa, weisst Du nicht, dass wir sterben werden/wollen.
Meine Eltern waren mir heilig und durch sie das Leben, die Liebenden, die Kinder.
Bei dem ertrunkenen Jungen im Mittelmeer habe ich aufgeschrien, weil er da ungeschützt nichts zu suchen hatte.
Zur Zeit sehe ich im Nahen Osten und Afrika gesellschaftliche Verwahrlosung, keine Blumen.
Europa will helfen zum Leben im Nahen Osten...

Klaus Scholz | Sa., 12. November 2016 - 11:02

Wie auch im Falle Bob Dylan's sei angemerkt, dass die wahre Qualität ihrer Songs oft erst bei Fremdinterpretationen hervortritt. Im Falle Cohen sei hier ausdrücklich die kaum bekannte Platte von Jennifer Warnes, Famous Blue Raincoat, dringend empfohlen.

claudie cotet | Sa., 12. November 2016 - 13:44

der gott der liebe......
ich erinnere mich noch gut an die aussage EINER ? journalistin, dass herr cohen die damen dieses berufes als erstes mit der frage erfreute "do you want to f ... with me?
allerdings schon ein paar tage her
seine kuenstlerischen faehigkeiten waren allerdings "hors normes" RIP LENNY......

Rudolf Petersen | So., 13. November 2016 - 01:17

Meine Erfahrung seit 1969 war: Entweder man verehrte ihn hemmungslos, oder schüttelte den Kopf und fand ihn kitschig. Ich versuchte seine Gitarrengriffe (- die nicht allzu schwer waren), aber seine Stimme ... die war nicht zu kopieren.

Die Konzerte: Heilige Messen, aber auch mit seinen Humor. Ein begnadeter Entertainer, hatte sein Publikum im Griff, variierte die Arrangements; das erste Mal mit Background-Sängerinnen war shocking wie Bob Dylan mit der E-Gitarre, aber es funkionierte toll, auch der harte Bass von Begleitern wie Lissauer, oder die armenischen Geiger, später auch elektronische Sounds, waren meist gut und mindestens akzeptabel.

Aber ich wartete als Höhepunkte dann auf seine Solo-Performance nach der Pause: Intim wie in einem kleinen Cafe, die alten Lieder mit der immer brüchiger wedenden Stimme, jedesmal wie ein kleiner Tod.

Bin Fan seit 47 Jahren, bin nach Hydra gefahren (- als er schon lange in LA wohnte, und Suzanne wohl zurück in Norwegen. Die Musik bleibt.

claudie cotet | So., 13. November 2016 - 19:59

mein wahrheitsgemaesser comment, der ein wenig am "GOTT" cohen gekratzt hat, wure also geloescht; eigentlich schade, denn er zeigte auch die normalere seite; aber kulturgoetter sollen wohl biblisch"jungfraeulich in den himmel eingehen...
ich habe in den 70/80er jahren in montreal gelebt und gearbeitet; in der music-scene, phantasmagoria und morin heights studio.
da war herr c ein durchaus activer hedonist
und der anecdoten viele
hab aber verstaendnis fuer die ihn heiligsprechenden verehrer . es sei IHNEN verziehen;

claudie cotet | Mo., 14. November 2016 - 14:51

Antwort auf von claudie cotet

off topic : danke

Helmut Baretty | Mo., 14. November 2016 - 02:17

Leonard Cohen war der beste Freund, den ich nie kennen gelernt habe. 6 Millionen Platten sind ein Witz, 6 Milliarden müssten es sein, dann gäbe es vielleicht keinen rumprobieren und keinen IS. Ruhe in Frieden und erfreue Deine Fans im Himmel

Stefan Brück | Mo., 14. November 2016 - 08:10

Ein sehr schöner Artikel

maria chladek | Mo., 14. November 2016 - 15:24

für den ausgezeichneten Artikel. L. Cohen hat mich mit seinen Balladen von meiner Jugend bis ins Alter begleitet, zum Nachdenken und Weinen gebracht, während andere "Songwriter" (für mich) irgendwann unbeachtet auf der Strecke liegen geblieben sind. Einfach unvergeßlich und einmalig! RIP Leonard C.

Helmut Baretty | Mo., 14. November 2016 - 22:54

...Es sollte nicht rumprobieren sondern Trump und IS heißen....

Nicolai Wolf | Di., 13. Dezember 2016 - 23:48

Beim Lesen Ihres Artikels mit der Begleitung duch "Treaty" frage ich mich wer der bedeutsamere Lyriker ist.
Klar ist, dass sie in Worte fassen können, was anderen durch den Kopf geht beim hören der Musik dieses großartigen Künstlers.

Zu 100% drückte Mr. Cohen das aus, was ich weder in Worten noch in Tönen zu beschreiben vermag.
Ihre Ausführung, und die Reaktionen der anderen Leser darauf, zeigen, wie treffend Sie den Geist der Musik vertanden haben und dies auf Ihre Weise wiedergeben können.
Meinen herzlichen Dank dafür!