- Kisirsalat statt Krabbencocktail
Vorspeisen sind in Deutschland leider immer noch viel zu oft ein Hort gepflegter Langeweile, findet unser Genusskolumnist. Doch in der türkischen Küche hat er etwas gefunden, was nicht in dieses Muster passt: Wie wär‘s denn mal mit Kisir?
„Biste jetzt ooch schon unter die Körnerfresser jejangen?“ Ja, sowas muss man sich manchmal anhören, wenn man bei einem häuslichen Essen etwas auf den Tisch stellt, was jemand nicht kennt und was ihm irgendwie fremdartig vorkommt. Selbst wenn es sich „nur“ um eine Vorspeise handelt.
Vorspeisen werden hierzulande meistens unterschätzt und stiefmütterlich behandelt. Oftmals gibt es irgendein Süppchen oder einen fantasielosen Salat. Sogar Absonderlichkeiten wie der berüchtigte Krabbencocktail (mit Billigshrimps, Mayo und Dosenmandarinen) oder Ragout fin sind offenbar nicht totzukriegen. Da wirken dann langweilige Neo-Klassiker wie Melone mit Schinken oder Guacamole fast schon innovativ.
Krabbencocktail, eine „kulinarische Karnevalsidee“
Anscheinend sollen Vorspeisen nur die Wartezeit bis zum „richtigen“ Essen überbrücken. Man isst sie aber trotzdem, weil das irgendwie so üblich ist. Das ist wie bei Rockkonzerten, wo man die öde Vorband mehr oder weniger geduldig und gelangweilt über sich ergehen lässt und sich auf den Hauptact freut. Und wehe, die Vorband spielt zu lange oder ist zu laut!
Der Ernährungssoziologe Daniel Kofahl verweist gegenüber Cicero auf den aristokratischen Ursprung der Vorspeise, was dann vom Großbürgertum imitiert worden sei. Klassiker wie der Krabbencocktail seien aber eher eine „kulinarische Karnevalsidee, die sich mit einer schrägen Symbiose von amerikanischem Cocktail-Lifestyle und billigen Zutaten den außer Kontrolle gelaufenen Scherz erlaubt hat, irgendwelche gesellschaftlichen Gernegroße als kulinarische Depperl zu veralbern.“ Vorspeisen böten aber stets die Chance „für eine appetitliche Vorbereitung oder eine kleine gustatorische Expedition“.
Jawoll! Vorspeisen sollten den Appetit anregen, die Geschmacksknospen öffnen, aber keinesfalls sättigen. Sie sollten einen vernehmbaren, aber sanften Akzent setzen und eine gewisse Feinheit ausstrahlen. Also nicht etwa durch übermäßige Salzigkeit, Bitterkeit oder Schärfe den Sinnesorganen bereits in der 1. Runde den Knockout verpassen.
Bulgur, der türkische Couscous
Wir sind natürlich keine „kulinarischen Depperl“ und machen es genau so. Als Berliner ist man mit der türkischen Esskultur ja sozialisiert worden. Wobei die meisten Zeitgenossen über Döner, die „türkische Pizza“ Lahmacun und Börek nie hinauskommen. Mir ist dann irgendwann Kisir über den Weg gelaufen und seitdem ein ständiger Begleiter, sowohl für zwischendurch als auch als Vorspeise. Grundzutat ist Bulgur (vorgekochter und dann getrockneter, von der Kleie befreiter Hartweizen). Verkauft wird er geschrotet, fein, mittelfein und grob. Oft wird Bulgur mit Couscous verwechselt, doch Herstellung, Konsistenz und auch der Geschmack unterscheiden sich deutlich, Bulgur ist wesentlich nussiger.
Für Kisir nimmt man feinen Bulgur. Gleich beim ersten Zubereitungsschritt hat man die Chance, die geplante Vorspeise unrettbar zu versauen. Der Bulgur wird in einer hitzefesten Schüssel (kann auch ein Topf sein) mit sprudelnd kochendem Wasser übergossen und dann lässt man ihn abgedeckt 15 Minuten quellen. Die Wassermenge muss exakt beachtet werden, sonst wird das matschig oder zu hart. Und daran denken: 150 ml Wasser werden zum Kochen gebracht, keinen Milliliter mehr. Also das kochende Wasser abmessen.
Harissa, die geniale Würzpaste
Während das so vor sich hin quillt, dünstet man eine fein gewürfelte Zwiebel mit etwas Öl in Pfanne an und gibt Kreuzkümmel, Tomaten- und Paprikamark dazu. Achtung, Geheimtipp: Ich persönlich ersetze Paprikamark durch die sehr verbreitete Würzpaste Harissa. Alles gut verrühren und abkühlen lassen.
Derweil schneidet man eine Frühlingszwiebel in ganz feine Ringe und entkernte Tomaten und rote Paprika in ganz kleine Stücke. Jetzt noch Petersilie und frische Minze hacken. Die Zwiebelmasse in den Bulgur einarbeiten, danach die frischen Zutaten. Zum Schluss noch etwas Olivenöl, abgeschmeckt wird mit Salz und Zitronensaft. Damit sich der Geschmack optimal entfalten kann, sollte man Kisir am Vortag zubereiten. Serviert wird er einfach auf einem großen Salatblatt und zwar zimmerwarm.
Bitte keine „Verfeinerungen“
In einigen Varianten werden noch Granatapfelsirup und auch -kerne verwendet. Halte ich nichts von, passt nicht. Auch die oftmals empfohlenen scharfen Paprikaflocken (Pul Biber) braucht man nicht, wenn man Harissa statt Paprikamark verwendet. Und andere „Verfeinerungen“, wie etwa gewürfelter Schafskäse oder kleine Wurststücke (Sucuk) sind VERBOTEN und ziehen hochnotpeinliche Befragungen der deutschen und türkischen Geschmackspolizei nach sich!
Ach so. Der anfangs erwähnte „Körnerfraß-Skeptiker“ verstummte nach sehr kurzer Zeit und ließ beim Verzehr nur noch gelegentlich ein wohligen Brummen verlauten….
Kisir (als Vorspeise)
Zutaten für 4 Personen
200g Bulgur (fein)
150 ml. Wasser (genau dosieren!)
1 kleine Zwiebel
1 Frühlingszwiebel
1 Tomate
1 Rote Paprika
1 Bund glatte Petersilie
1 Bund frische Minze
1 gehäufter El Tomatenmark (evtll. etwas mehr)
1 Tl Harissa
½ TL Kreuzkümmel (gemahlen)
75 ml Olivenöl
Zitronensaft, Salz
Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.
großen Familie schon türkisch gegessen.
Soviel, so schmackhaft.
Schön dass Sie uns daran teilhaben lassen, Herr Balcerowiak.