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Öffentlicher Widerstand gegen die neue Militärregierung in Myanmar / dpa

Militärputsch in Myanmar - Die NLD braucht eine neue Führung, um den Coup zu stoppen

Noch hat die Opposition gute Karten, die Militärregierung in Myanmar zu stürzen. Aber wenn die NLD-Partei es nicht schafft, eine neue Führung zu etablieren, die den Widerstand leitet und lenkt, wird er scheitern.

Philipp-Annawitt

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Philipp Annawitt war für das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen in Myanmar tätig.

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Mit dem Coup vom 1. Februar 2021 haben die Generäle in Myanmar die regierende NLD-Partei quasi enthauptet. Präsident Win Myint, de-facto Regierungschefin Aung San Suu Kyi, die Gouverneure der 14 Provinzen Myanmars und die prominentesten Mitglieder des NLD-Exekutivkomitees wurden festgenommen. Die neuen Parlamentsabgeordneten wurden unter Hausarrest gestellt, aber schnell wieder freigelassen.

Der Hintergrund des Coups ist bekannt: Nachdem die NLD-Regierung einem Einspruch des Militärs gegen die Wahlen vom November 2020 nicht stattgegeben hatte, übernahmen die Generäle just an dem Tag, an dem sich das neue Parlament konstituieren sollte, die Macht. Sie kündigten an, Missstände bereinigen zu wollen, um dann die Wahlen zu wiederholen. Eigentlich geht es aber darum, dass den Generälen im sich reformierenden liberal-marktwirtschaftlichen Myanmar die Felle davonschwimmen.

Widerstand gegen den Coup formierte sich in erster Linie auf Facebook in Form des Civil Disobedience Movements, das seinen Ursprung in einer Protestaktion von Ärzten und Pflegern hatte, die ihre Arbeit niederlegten. Mittlerweile hat die Bewegung alle zivilen Ministerien erfasst und treibt täglich hunderttausende Menschen im ganzen Land auf die Straße.

Psychologische Kriegsführung gegen Massenproteste

Die neue Militärregierung hat die Kontrolle über die öffentliche Verwaltung praktisch verloren, Polizisten laufen zu den Demonstranten über und der durch die Coronapandemie angeschlagenen Wirtschaft droht der Kollaps. Die Banken bleiben geschlossen, um Bank Runs zu vermeiden. Der Junta droht ebenfalls die Zahlungsunfähigkeit, wenn keine Kredite aus China fließen sollten.

Die Junta bedient sich einiger Instrumente psychologischer Kriegsführung gegen den demokratischen Widerstand: Sie setzt gewalttätige Mobs von Ex-Häftlingen gegen Demonstranten ein, nimmt in nächtlichen Aktionen Aktivisten des Widerstands fest, legt das Internet zeitweise lahm und versucht die Medien einzuschüchtern. Sie will die interethnische Solidarität unterminieren, indem sie Minderheitsparteien und ethnische Milizen umwirbt. Und sie versucht, die Handlungsfähigkeit der NLD auszuschalten, indem sie alle noch freien Führungsmitglieder der Partei festnehmen lässt. Das hat stärkere psychologische Effekte, als sich in den nackten Zahlen niederschlägt. Nach zwei Wochen mit Protesten im ganzen Land hat das Regime 400 Aktivisten festgenommen, einige Dutzend Demonstranten wurden verletzt und eine Demonstrantin getötet.

Gepaart ist dieses Verhalten mit einer Charmeoffensive gegenüber den Entwicklungspartnern und internationalen Organisationen vor Ort und dem aktiven Werben um die Gunst der ethnischen Minderheiten. Die Generäle holten sogar mehrere Minderheitenpolitiker – Myanmar hat über 130 anerkannte Minderheiten - in ihr Kabinett. 

Gezielte Sanktionen müssen folgen

Auf internationaler Ebene nehmen die USA mittlerweile das Heft in die Hand – Präsident Biden hielt bereits bilaterale Gespräche mit Japan und Indien, um sie auf eine harte Linie gegen die Junta einzuschwören. Am Wochenende folgten gezielte Sanktionen gegen die Junta.

Die internationale Gemeinschaft kann noch einiges mehr tun: Eine geeinte Front gegen die Junta bilden und Top-Generäle und deren Kumpanen in der Wirtschaft mit Sanktionen belegen, einen Keil zwischen die Junta und die Offiziere, Soldaten und Polizisten treiben, das Civil Disobedience Movement unterstützen, wenn Internet und soziale Netzwerke ganz ausfallen sollten, aber auch der Junta einen Ausweg zurück in den Status Quo Ante bieten, sollten sie einlenken. Doch die internationale Gemeinschaft kann nicht alles leisten.

Die Schwäche der NLD

Daher fragt man sich zwei Wochen nach dem Coup: Was hat eigentlich die NLD bislang gemacht? Schon immer eine Führerpartei, in der sich alles um Aung San Suu Kyi und die erste Gründergeneration drehte, war die NLD in den ersten Tagen nach dem Coup kopflos. Ein Brief von Suu Kyi, geschrieben vor ihrer Festnahme, rief zum friedlichen Widerstand auf. In den folgenden Tagen meldeten sich immer wieder NLD-Abgeordnete und Mitglieder aus der zweiten oder dritten Reihe zu Wort und unterstützten das Civil Disobedience Movement, ohne jedoch einen Führungsanspruch zu erheben.

Diese Woche hielten die freigelassenen Abgeordneten die erste (virtuelle) Sitzung des nationalen Parlaments ab und erneuerten die Ernennung Aung San Suu Kyis zur Regierungschefin, was sie allerdings kaum aus dem Hausarrest befreien wird. Jede konstituierende Sitzung des Parlaments hat den Hauptzweck, die parlamentarische Führung zu bestellen. Genau das ist aber nicht passiert, da die Abgeordneten immer noch auf Anweisungen „von ganz oben“ warten.

Es ist eine Schwäche der NLD, dass sie auch nach fünf Jahren Regierungszeit fast ausschließlich ein Vehikel der Person Aung San Suu Kyi ist. Suu Kyis Strahlkraft, die sie zu einer der erfolgreichsten Politikerinnen der Welt machte, wird in dieser Krise zum Hindernis. Mittlerweile wurden auch die Stunden vor dem Coup rekonstruiert. Die tiefe gegenseitige Antipathie der Führungspersonen dürften dazu beigetragen haben, dass die Verhandlungen zwischen Militärführung und NLD-Regierung scheiterten.

Eine handlungsfähige Führung für die NLD

Gerade jetzt bräuchte die NLD eine handlungsfähige Führung, die die disparate Widerstandsbewegung, religiöse Organisationen, Aktivisten, Lehrer, Ärzte, einige Polizisten und nun auch erste ethnische Minderheitengruppen gegen den Coup vereint und organisiert. Das Civil Disobedience Movement hatte sich in einem Manifest schon früh dem nationalen Parlament untergeordnet. Ein Parlamentssprecher hätte die Legitimation, mit den ethnischen Minderheitsparteien und deren Milizen zu verhandeln.

Führende Organisationen der Karen und Shan – Minderheiten im Süden und Osten des Landes – haben schon ihren Widerstand gegen die Junta angekündigt. Was auch immer die Junta ethnischen Minderheitenvertretern anbietet, die NLD ist mit ihrem Versprechen, den 14 Provinzen Myanmars ihre eigene Verfassung zuzugestehen, schon einen Schritt weitergegangen, als die Junta es jemals tun würde.

Letztlich braucht die NLD auch eine Führungsfigur in Verhandlungen mit der Junta, um den Coup beenden zu können. Hält man sich vor Augen, mit welchem Hass die Militärführung Suu Kyi entgegentritt, kann eine neue, unverbrauchte Parteiführung auch hierfür nicht schädlich sein.

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Christa Wallau | Di., 16. Februar 2021 - 13:56

Woher sollen die geeigneten Führungskräfte kommen?
Welche Motivation soll allseits gebildete und lebenserfahrene Menschen (d i e braucht es nämlich unbedingt in der Politik, wenn sie vernünftig agieren soll) antreiben, seinen Beruf, z. B. als Rechtsanwalt, Arzt, Bauunternehmer, Professor an der Universität ..., an den Nagel zu hängen und sich in ein politisches Amt zu stürzen?
Wenn im ehemaligen Birma die Leute ebenso wenig Patriotismus haben wie in Deutschland, wird man Führungspersönlichkeiten, denen das Wohl der Gesamt-Gesellschaft ihres Heimatlandes wichtiger ist als ihr eigenes, wohl mit der Lupe suchen müssen, zumal es ein harter, langer Kampf ist, der gegen das Militär geführt werden muß. Und die Probleme sind nicht leicht zu lösen, u. a. wegen der vielen Minderheiten.

Man kann nur hoffen, daß es der "Nationalen Liga für Demokratie" in Myanmar gelingt, sich neu zu formieren und ihre Strukturen auszubauen bzw. zu festigen. Sonst wird das Militär die Oberhand behalten.

Im konkreten Fall hat man die Auswahhl aus über 200 Abgeordneten, die noch auf freiem Fuß sind. Der recht seltsame Exekutivausschuss, der die virtuellen Parlamentssitzungen leitet, hat auch 30 Mitglieder. Dass man nicht über übermäßig viel Qualität verfügt, ist möglich, aber weiterhin abwarten und nichts tun, macht die Lage nur noch prekärer. Beste Grüße, PA

Christian Haustein | Di., 16. Februar 2021 - 18:20

Asiatische Länder funktionieren anders wie liberale Demokratien. Respekt ist ein tief verwurzelter Wert. Wir nennen dies Schamkultur. Ältere Menschen und die eigenen Ahnen genießen hohes Ansehen. Wertschätzung und Schulddenken, wie wie es kennen existiert dort nicht. Es ist anzuzweifeln, dass sich langfristig Demokratien etablieren können, solange wir sie Eigenheiten der Länder nicht begreifen. Sanktionen werden nichts bringen. Hier treffen schlicht weiten aufeinander. Man wird die Militärs mit einbeziehen oder zumindestens entschädigen müssen. Ein Aburteilen nach westlichem Denken ist eine absurde Idee.