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Tage der Entscheidung – Blackbox CDU / dpa

Kampf um den CDU-Vorsitz - Tausendundeine Macht

Der Kampf um den CDU-Vorsitz wird am Samstag entschieden, und die Partei ist unüberhörbar nervös. Denn die Stimmung der 1001 Delegierten zu lenken, ist unter Corona-Bedingungen schwer. Eine Blackbox mit atemberaubender Dynamik zwischen den Lagern von Friedrich Merz, Norbert Röttgen und Armin Laschet.

Bastian Brauns

Autoreninfo

Bastian Brauns leitete das Wirtschaftsressort „Kapital“ bei Cicero von 2017 bis 2021. Zuvor war er Wirtschaftsredakteur bei Zeit Online und bei der Stiftung Warentest. Seine journalistische Ausbildung absolvierte er an der Henri-Nannen-Schule.

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Es ist soweit, in der CDU endet der Vormerz – und folgen wird nicht weniger als ein Epochenumbruch. Was dieser für die Union und damit für das ganze Land bedeutet, ob ein Weiter so, eine Gegenbewegung des Biedermeier oder gar eine Revolution, ist vollkommen offen.

20 Jahre ist es her, dass Angela Merkel im April 2000 den CDU-Parteivorsitz von Wolfgang Schäuble übernommen hatte. Nach ihr folgten 2018 zwei Jahre glücklosen Interregnums von Annegret Kramp-Karrenbauer. Bundeskanzlerin ist nach wie vor und in der Pandemie wie nie zuvor Angela Merkel.

Doch am Samstag nun entscheiden die 1001 Unions-Delegierten über den weiteren Weg der derzeit letzten verbliebenen deutschen Volkspartei CDU – und sie haben so viel Macht wie nie. Erstmals in ihrer Geschichte führt die Union eine coronabedingt dezentral veranstaltete, digitale Vorsitzendenwahl durch. Erneut tritt Friedrich Merz an, dieses Mal nicht gegen AKK, sondern gegen Norbert Röttgen und Armin Laschet.

Keine Stimmung, kein Applaus, kein Raunen

So lahmgelegt das Land, so unruhig ist die Union. Denn nicht nur vollkommen offen ist dieses Mal das Votum vieler CDU-Delegierter. Sie sind so schwer zu beeinflussen und ihre Stimmung so schwer zu erspüren wie nie zuvor. Früher traf man sich im Kreis- und Landesverband oder etwa noch am Abend vor einer solchen Wahl bei Bier und Wein und schwor das Delegierten-Parteivolk ein. Im Lockdown-Modus versuchen es die Wahlkämpfer und ihre Mitstreiter nun seit Tagen und Wochen über unzählige Telefonate, über Chats in Messengergruppen, über Posts in Social Media, über TV-Interviews und Gastbeiträge. Trotz bundesweiter stiller Post, die Stimmungslage bleibt eine riesige Blackbox.

Und so bleibt, auch wenn inzwischen viele Landesverbandsvorsitzende und auch die Frauenunion ihren Favoriten (meistens Armin Laschet) empfohlen haben, die Nervosität extrem hoch. Egal, mit wem man aus welchem der drei Lager spricht, alle beklagen, wie schwer der Zugriff auf die tatsächliche Stimmung der 1001 Delegierten dieses Mal sei. Ihre Bewerbungsreden werden Röttgen, Merz und Laschet steril vor Kameras halten müssen, ohne das große sonst anwesende Parteipublikum.

Es gibt also nichts Greifbares zu erspüren – keine Stimmung, kein Applaus, kein Raunen im Saal. Es obliegt maßgeblich ihrer eigenen Vorstellungskraft, wer ihnen wo, wie und mit wem zuhört. Nicht Nebensitzerinnen oder Hintermänner tragen dann unterschwellig zur Wahlentscheidung bei. Stattdessen könnten dieses Mal die Familien als Mitzuschauer zu spontanen Einflüsterern werden, ein coronakonform anwesender weiterer „Hausstand“ oder gar das horoskopisch gedeutete Schwanzwedeln des Hundes. In jedem Fall werden die Messenger-Chat-Gruppen überquellen und die Spontan-Schalten zwischen den Unions-Wohnzimmern eine ganz eigene Dynamik auslösen können. Die einzelne Macht der Tausendundeins war nie so gravierend anders als 2021.

Merkel geht, die Partei bleibt

Und über alledem schwebt der noch immer sehr lebendige, pandemisch gestärkte Geist der Kanzlerin. Noch immer scheint es nicht die Partei und erst recht nicht das ganze Land realisiert zu haben: Merkel geht weg. Aber die Partei bleibt. Gespalten oder geeint? – Diese Frage stellen sich viele Parteimitglieder.

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Ernst-Günther Konrad | Fr., 15. Januar 2021 - 09:56

Nein, ich schaue mir da nichts an. Ich orakele auch nicht mit. Sie haben sehr schön beschrieben Herr Brauns, wie dieser Parteitag unter anderen praktischen Vorzeichen in der Umsetzung, den Delegierten möglicherweise die Gelegenheit gibt, tatsächlich etwas mehr nach ihrem Gewissen und nicht nach Seilschaften abzustimmen. Kein Getuschel hinter den Kulissen, während ein Kandidat spricht, kein nochmals kurzes absprechen, wer, wie, wen wählt. Das muss alles im Detail vorher abgesprochen oder versprochen sein. Niemand der einem über die Schulter schaut. Ja, das kann mal eine etwas fairer, etwas gewissenhafter durchgeführte Wahl werden.
Es dürfte spannend werden, wer AKK für zwei glücklose und nichtssagende Jahre als CDU-Vorsitzende dankt. Wer wird im Herbst Angela Merkel huldigen, wenn sich die Königin aufs Altenteil zurückzieht.
Ob das mit dem digitalen Abstimmen technisch klappen wird? Wieviel Bildübertragungen werden ausfallen, Redebeiträge nicht von allen gehört?

Was soll man da auch seine Corona-Haftzeit versitzen. Nein, es ist diesmal nicht unbedingt was ausgemacht. Versuche, dem einen zu schaden und dem anderen zu nützen, hat es genug gegeben. Ob es Erfolgt hatte, werden wir sehen. Die Entscheidung wird zwischen Laschet und Merz fallen, außer Merkel, die heimliche Vorsitzende, zieht noch einen Überraschungskandidaten aus ihrer Handtasche wie seinerzeit bei der EU-Kommissionsvorsitzenden-Wahl. Damit rechne ich durchaus. Ansonsten einen grundlegenden Politikwechsel wird es nicht geben. Warum auch? Wir leben doch gut und gerne hier, zumindest wenn man der CDU angehört. Merkel behält die Fäden in ihrer Hand mit den extrem kurzen Fingernägeln, auch wenn sie tatsächlich abtreten sollte (was ich erst glaube, wenn die BTW, die durchaus noch nicht durchgeführt ist, stattgefunden hat). Ruhe haben wir vor der großen Strippenzieherin erst, wenn die biologische Uhr ihr das Stoppzeichen zeigt. Und das kann dauern. Ihr Erbe - ein Haufen ungelöster Probleme

Herr Konrad & Herr Funke - Schließe mich Ihren Kommentar an. Nur bei Frau Merkel & ihrer Macht habe ich eine andere, tiefere Auffassung. Auch Frau Merkel ist nur eine Marionette auf diesen Schachspiel, wenn auch sie als Dame einen größeren Radius/Möglichkeiten wie die anderen hat.

Da der Mensch ein Wesen ist, daß in permanenter Konkurrenz mit Anderen seinen individuellen Nutzen zu mehren & zu optimieren sucht.

Daher ist es egal, welches "Leittier" die Führung übernimmt, zumal diese nicht die "Schachspieler" sind.

Viel Entscheidender für dieses Schach-Monopoly sind doch die Rahmenbedingungen. Deswegen gibt es die größte Partei, die Nichtwähler-Partei.

Und noch ein ganz wichtiger Fakt ist meines Erachtens für das politische Handeln der General-Schlüssel. Die zentralistische Macht der BIG-BIG-Bosse,die die allergrößte Einflußnahme besitzt auf die Geschicke dieser Erde & den neuen Rahmenbedingungen.
Sind wir mal ehrlich. Politiker sind auch nur Harz IV Empfänger im Vergleich zu..
LG

Ich sehe auch keinen Kurswechsel. Nicht nur weil im Herbst zwischen RRG und Union/Grün entschieden wird, was keinen Raum für einen Politikwechsel zulässt, sondern auch weil es kein Personal gibt, dass nach 16 Jahren Merkel etwas anderes will. Die AfD ist ja leider aus der Rolle der Protestpartei nicht heraus gekommen. Eine Möglichkeit wäre allerdings, dass die Wähler die Regierenden bis im Herbst wegen deren Coronapolitik so über haben, dass sie mal wirklich einen Wechsel wollen. Vielleicht wählen sie dann die Linkspartei? Nicht das das die Politik besser machen würde, aber anders würde sie sicher werden.

gabriele bondzio | Fr., 15. Januar 2021 - 11:54

Antwort auf von Ernst-Günther Konrad

Ihren Optimismus hätte ich in der Sache auch gerne. Der Prince of Wales hat über dem Warten auch schon graue Haare bekommen.

„Der Bundestag hat am Donnerstag, 14. Januar 2021, in namentlicher Abstimmung einen Antrag von CDU/CSU und SPD zum Bundeswahlgesetz (19/25816) angenommen. Damit stellte der Bundestag fest, dass die Durchführung von Versammlungen für die Wahl der Wahlbewerber und der Vertreter für die Vertreterversammlungen zur Bundestagswahl 2021 zumindest teilweise unmöglich ist. 486 Abgeordnete stimmten für den Antrag, 72 dagegen, es gab 21 Enthaltungen.“

Hans Jürgen Wienroth | Fr., 15. Januar 2021 - 10:11

Zitat: Es „zeigt, zu welch dystopischer Vorstellungskraft viele in der Partei offenbar fähig sind“. Vielleicht sollten sich die Partei und die Delegierten entscheiden, für welche Politik sie stehen, statt diese nur nach ggf. dubiosen Umfragen auszurichten. Wenn 2/3 der jungen Journalisten den Grünen nahestehen, müssen dann alle Parteien grüne Politik machen, um unterstützt zu werden? Eine Partei die nach der ersten verlorenen Landtagswahl mit Blick auf die Bundestagswahl bereits ein „Umsteuern“ in Angriff nimmt, die hat kein eigenes Profil, der kann ich keine Wahlaussage abnehmen.
Die Frage wird also sein: Richten die Delegierten sich danach aus, mit welchem Kandidaten man am besten Wahlen gewinnen kann oder welcher Kandidat die CDU-Politik am besten repräsentieren kann (sofern sie denn eine hat)?

Jörg Schiepanski | Fr., 15. Januar 2021 - 13:05

"Es ist soweit, in der CDU endet der Vormerz ... "

Vielen lieben Dank für diese brilianten Wortspiele Herr Brauns. Ich habe lange nicht mehr so befreit lachen können. You made my day!

Andreas Berlin | Fr., 15. Januar 2021 - 13:24

Ihr Beitrag, sehr geehrter Herr Brauns, unterscheidet sich wesentlich von einem Bericht, den ich gestern bei Tichys-Einblick gelesen habe. Bei Ihnen gewinne ich den Einruck, dass keiner so richtig weiß, wohin die Reise gegen wird. In dem anderen Artikel wurde das viel differenzierter dargestellt. Die Basis (Umfragen von kleineren Verbänden) sehen die Mehrheit bei Merz, der so um die 60% erreicht. Laschet kommt bei diesen Befragungen kaum einmal über 10%. Das diese Situation Merz nichts nutzen wird, liegt daran, dass Frau Merkel ihn nicht will. Seit Thüringen steht daher fest, dass Laschet am Ende der Sieger sein wird. So geht Macht (auf ihre unappetitliche Art).

Gerhard Lenz | Fr., 15. Januar 2021 - 14:06

Antwort auf von Andreas Berlin

dass Laschet der Sieger sein wird.

Da kann die CDU ihren Parteitag doch gleich ganz absagen. Sie spart, und vermeidet gesundheitliche Risiken für ihre Mitglieder.

Haben Sie das der Partei schon vorgeschlagen?

Oder wissen DIE noch gar nicht, was SIE jetzt schon wissen?

... wie manches doch vorhersehbar war ;) Mich überrascht - leider - in der derzeitigen deutschen Politik fast nichts mehr. Hat was von nem Schauspiel (...wenn schon die Theater das nicht mehr dürfen ;)

ursula keuck | Fr., 15. Januar 2021 - 13:26

Historiker werden einmal Merkels Regentschaft als „Ökosozialitisches-Volksbeglückungs-Zeitalter“ festhalten, indem der vormundschaftliche Staat seine Bürger durch immer mehr Verfügungen (Atomausstieg, Masseneinwanderung, Eurorettung) und Gesetze, knetete aber auch durch Beglückung, übertriebene soziale Wohltaten, Wohlfahrten, Bürokratiekosten, Lenkung, Umschulung, Umbildung, formte und verformte.
Die Union sammelte über Jahrzehnte mit einer erstaunlichen Bandbreite von Nationalkonservativen über Liberale bis zu Beinahe-Sozialdemokraten weite Teile der Wählerschaft ein. Nationalkonservative gibt es nicht mehr.
Seitdem Merkel in der CDU das sagen hat, setzen CDU und CSU ihren Anpassungskurs an den grünen, linken Zeitgeist weiter fort. Konservative sind in der Partei nicht mehr präsent. Für diesen Flügel gibt es zwar noch genügend Wähler, jedoch keine Politiker –
Ausnahme: „Merz“!
Jedoch Merz fehlt in der CDU zum Vorsitz jegliche Unterstützung und so wird Merkels-Liebling „ Laschet ".

so prognostiziere ich mal, das es noch mehr Nichtwähler geben wird und zusätzlich noch mehr Stimmen für die AFD aus dem CDU Lager.
In beiden Fällen nach dem Motto: Jetzt erst recht(s).

Hubert Sieweke | Fr., 15. Januar 2021 - 14:29

mit verschiedenen offenen und versteckten Kanonen gegen einen Vorsitz von Merz zu Felde zieht, gehen nun morgen zu Ende. Welch eine Wohltat.
Natürlich sind die grünen Journalisten nicht von Merz begeistert, auch aus Neid, aber das kann kein Kriterium für die CDU sein.
Ich bin es Leid, immer und immer diesen unterschwelligen Missmut zu lesen. Gut das die NZZ nun eine D-Redaktion aufmacht.

Heinz Maier | Fr., 15. Januar 2021 - 18:17

wird es werden. Er ist die einzige Alternative und die einzige Person von Format. Das Land wird aufatmen
und endlich wieder klare Brillengläser haben. Alles Geschwurbel, sich drehen und wenden, wird weichen und auch die Medien werden schließlich beidrehen.