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Kein Sonnenuntergang von Ibiza kann da mithalten, und ein Café del Mar gibt es zum Glück auch nicht: Poel / Schwennicke

Cicero-Chefredakteur im Urlaub - Beim Angeln auf Poel

Kaum einer kennt sie und kaum einer weiß, wie man sie ausspricht: Die Rede ist von der Insel Poel bei Wismar. Cicero-Chefredakteur Christoph Schwennicke erzählt von seinem Lieblingsort, den selbst Michael Ende nicht schöner hätte erfinden können.

Autoreninfo

Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

So erreichen Sie Christoph Schwennicke:

Es fängt schon mal damit an, dass die Insel Poel gar keine richtige Insel ist: Keine Fähre setzt über, kein Sund wird überspannt – nur ein kleiner Engpass auf der Boddenseite, der hier Breitling heißt. Die Brücke ist keine zehn Meter lang, das kleine Mahlströmen drunter könnte ebenso gut ein Kanaldurchstich sein. Linker Hand, dort, wo die Pferde im Abendlicht auf den Sumpfwiesen grasen und die Austernfischer wichtigen Schrittes durchs seichte Wasser waten und ihre roten Schnäbel im Schlamm versenken, erscheint die Silhouette einer mächtigen Papierfabrik vor den Toren Wismars. Ein riesenhafter Schuhkarton, der sich bei genauem Hinsehen als Werft erweist, macht das Panorama auch nicht schöner.

Und doch ist diese Insel, die keine ist und die kaum einer kennt, für mich ein himmlischer Ort. Weil er so normal ist. Hier ist kein Gewese, hier fahren keine Porsche Panamera, hier gibt es keine Gosch-Lokale, wo Hummer in Champagner ersäuft werden. Die Ortschaften in rotem Backstein heißen Seedorf und Kirchdorf oder Timmendorf und könnten von Michael Ende erfunden sein. Überhaupt ist das hier das reale Lummerland, nur dass keine Molly über die Insel fährt und, soweit ich weiß, auch kein Viertelvorzwölfter König ist. Der Supermarkt in Kirchdorf aber hat schon wieder Ähnlichkeit mit dem Laden von Frau Waas. Eine ungeheure Ruhe liegt über dieser kleinen Insel, die gerade mal 36 Quadratkilometer groß ist und sich wie kühlendes Gel auf die Großstadtseele legt. Der alte Apfelbaum am Leuchtturm bei Gollwitz treibt jedes Jahr wieder Hunderte weiß-rote Blüten aus, obwohl das Meer an seinen Füßen nagt, und er hat sich lange gekrümmt gegen den drohenden Abhang und auflandigen Wind. Dieses Frühjahr hat ihn dann die See endgültig unterspült. Er treibt nicht mehr. 

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Michaela 29 Diederichs | Sa., 30. Mai 2020 - 17:25

Himmlische Orte wie das von Ihnen so schön beschriebene Poel gibt es im Grunde noch eine ganze Menge. Und nicht nur für den von der Großstadt geplagten Bürger sind solche Orte eine Wonne, auch für jeden naturverbundenen Menschen sind das die wahren Paradiese. Wer aktiv und mit offenen Augen danach sucht, wird auch fündig. Zeltplätze gibt es auf Poel auch. Für die, die gerne noch näher an der Natur dran sein möchten. Wild campen wie in Schweden ist in DE ja leider verboten.

Ronald Lehmann | Sa., 6. Juni 2020 - 14:12

Antwort auf von Michaela 29 Di…

Nach der Maueröffnung haben wir den anderen Teil D. von Süd nach Nord & West nach Ost in vielen Urlauben besucht & in jeder Ecke gab es "das Besondere & Schöne" zu sehen. Selbst beim Ruhrpott kam ich aus den positiven Staunen nicht heraus (wie aber auch in Italien, weil man törichter Weise immer Vorurteile hat). Hinzu kommt, dass mein Blick das sieht, was in Vergessenheit geraten ist oder es nur noch ganz wenig gibt. Die kleinen Dinge sind es, wie fast ausgestorbene Pflanzen oder Baustile (oder anderes), die einem das Herz erfüllen.
Hinzu kommt, das der Mensch in seinen Wünschen & Hoffnungen gar nicht so unterschiedlich tickt, auch wenn er einen anderen Charakter & Grundbedingungen hat.

PS: Nur dort, wo eine ZENTRALISATION bzw. MONOKULTUR überhand nimmt
(Großstädte, Wälder, Ackerflächen, Wiesen u.v.m.),
werden die "Schattenseiten" zum Vergleich der "Sonnenseiten" immer größer & das Ungleichgewicht nimmt immer mehr zu.
Deshalb euch allen viel Erholung & Besinnung in guten wie .....

Gisela Hachenberg | Sa., 30. Mai 2020 - 19:53

Lieber Herr Schwennicke,
warum haben Sie das gemacht? Ich würde nie ein solches Juwel publizieren. Auch, wenn es keine Porsche Panamera oder Café del Mar gibt, werden die Neugierigen demnächst anrücken. Da bin ich mir sicher! Schade für Poel. Oder wollten Sie Werbung dafür machen?
Mit freundlichen Grüßen

Dr Hermann J Stirken | So., 31. Mai 2020 - 07:55

Glückwunsch, dass Sie Ihren Ruhepunkt gefunden haben. Ich kann das gut nachempfinden Ihre Schilderungen der Örtlichkeiten und Gefühle. Ich habe diesen Punkt an der Nordsee nördlich der Sansibars und Gogärtchens in Jütland gefunden . Möge dieser Ort Ihnen so erhalten bleiben

gabriele bondzio | So., 31. Mai 2020 - 08:15

Poel, ist wirklich eine Idylle. Ihre Beschreibung, Herr Schwennicke, trifft es gut. Bin dort mit meinem Hund stundenlang am Strand gewandert. Schöne Sandstrände, die sehr flach in die Ostsee abfallen.
Wenn uns dann 5-6 Leute begegneten, war das schon viel. Oder, wie Sie, mit dem Fahrrad die Insel erkundet.
Timmendorf, mit seinem kleinen Hafen und Leuchtturm sowie uriger Gastronomie, ist eine gepflegte Augenweide. Die Fischgerichte lecker....mhm!
Wer Ruhe und Beschaulichkeit in einem Naturparadies (Vogelparadies Langenwerder)
sucht, ist bestens aufgehoben.

helmut armbruster | So., 31. Mai 2020 - 08:57

der Artikel beschreibt die Insel aus der Sicht des Großstädters. Für ein paar Tage bietet sich ihm anscheinend eine betörend heile Welt.
Danach geht's wieder zurück in die Großstadt.
Auf Dauer auf der Insel leben möchte der Großstädter natürlich nicht. Denn er ahnt sehr wohl, dass da Nichts ist, komplett Nichts. Was in den paar Tagen so romantisch und unberührt aussieht, ist in Wirklichkeit und auf die Dauer nichts als gähnende Leere und perfekte Langeweile.
Deshalb bleibt man nur ein paar Tage, gerade lange genug um den schönen, harmlosen Selbstbetrug aufrecht zu erhalten.

Der Großstadtmensch hat vielleicht auch zwei Seiten in seiner Brust. Es ist doch schön, dass diese Naturschönheiten gespürt, geliebt und verinnerlicht werden. Herrn Schwennike sind diese Empfindungen voll zu gönnen. Wir teilen sie mit ihm, haben auf einer Ostsee-Fahrradradtour diese Idylle leider nur in Zeiten der Vogelgrippe kennen lernen dürfen, daher war der Effekt der Wasser- u. Zugvogelvernichtung nicht so leicht aus dem Kopf zu kriegen...

Tonicek Schwamberger | So., 31. Mai 2020 - 15:44

. . ., und 20 Jahre in Lübeck-Travemünde gearbeitet. Wenn ich mich selber kurz vor Weihnachten und dem Jahreswechsel fragte, wo ich das Fest verbringen wolle, kam sehr oft die Antwort: Insel Poel, von Lübeck ein Katzensprung.- So fuhr ich mit dem Wohnmobil auf die Insel, stand mutterseelenallein am Strand, irgendwo Nähe Kirchdorf oder Seedorf und genoß die himmlische Ruhe. Es waren meine schönsten, romantischsten und heimeligsten Weihnachtsfeste.