Die SPD: Sturmerprobt seit 1863 / picture alliance

Führungsfrage der SPD - Es braucht auch einen neuen Generalsekretär

An diesem Samstag wird sich endlich zeigen, wer die künftigen SPD-Vorsitzenden sind. Es müssen aber noch andere Personalfragen geklärt werden. An erster Stelle: Wer bringt Wirtschaftskompetenz ins Willy-Brandt-Haus?

Nils Heisterhagen

Autoreninfo

Nils Heisterhagen ist Sozialdemokrat und Publizist. Zuletzt sind von ihm im Dietz-Verlag erschienen: „Das Streben nach Freiheit“ und  „Die liberale Illusion“.

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In der SPD läuft Politik im Moment so: Der Parteivorstand oder die Bundesregierung verabschieden etwas, und die Mehrheit der Funktionsträger preist dann öffentlich die ach so tollen Ergebnisse, Papiere und Errungenschaften. 

SPD-Funktionsträger wirken heute oft wie Pressesprecher ihrer Partei, die selbst keine Meinung zu haben scheinen, sondern offenbar nur ein Verlautbarungsorgan von Ergebnissen sind, die irgendwo von Referenten, der Fraktion und der Regierung zusammengeschustert wurden. Aus dem Vorstand und der Fraktion dringt selten etwas nach außen, und es sind wenige Sozialdemokraten, die konkrete eigene Positionen beziehen – sei es auf Twitter, Facebook oder in den Medien selbst. Weltbildpolitik und Haltung werden vielfach in den Sozialen Medien rausgeblasen. Aber anhand konkreter Sachfragen findet öffentlich kaum eigene Positionierung statt. Was Sozialdemokraten in Ausschüssen und im Plenum des Bundestages so treiben, kriegt kaum jemand mehr mit. Das kann man den Medien vorwerfen oder man kann es lassen. 

Social Media statt Qualifikation

Das Wirken von Arbeitsparlamentariern strahlt jedenfalls kaum noch in die Öffentlichkeit aus. Korrespondierend dazu meinen Journalisten, bei Twitter nach politischen Talenten suchen zu müssen. Jeder Journalist sollte sich aber viel eher fragen, wie oft er in Ausschüssen ist oder Plenardebatten anschaut. So bleiben in der Regel die Politiker und Jusos auf dem Rader der SPD-Beobachter, die als Kommunikationslinke eher an ihrer Social-Media-Präsenz statt an ihrer inhaltlichen Qualifikation arbeiten. Dabei bräuchte man gute Arbeitsparlamentarier, die auch kommunikative Fähigkeiten haben, um deutlich machen zu können, was sie tun und wofür sie stehen. Das gelingt reichlich wenigen. Übrig bleibt der Eindruck einer Kommunikationsindustrie.

Dabei lebt die Demokratie insbesondere von Demokraten, die ihre eigene Meinung und politische Urteilskraft haben. Politik ist keine Maschinerie. Aber sie wirkt heute oft wie eine aalglatte Kommunikationsindustrie. Viele Sozialdemokraten haben sich da nahtlos eingefügt. Aus Angst vor innerparteilichen Sanktionen, vor öffentlichen Shitstorms und Kontroversen, sehen heute viele von politischem Eigensinn ab und werden so in letzter Wendung zu Pressesprechern einer SPD-Inhalte-Fabrik. Man ist selbst nicht mehr der Facharbeiter, der Inhalt produziert, sondern eben oft nur noch der „Kommunikationsmanager“ des Produzierten. 

Mut zum eigenen Kopf

Eigene Thesen? Selten. Eigene Ideen? Selten. Eigene Gastbeiträge? Selten. Auf der konkreten Politikebene gibt es nur wenige Abgeordnete und Funktionsträger, von denen man weiß, dass sie dort eine eigene Meinung und Agenda haben. 

Aber es ist nicht nur die sichtbare realpolitische Arbeit an konkreten Policy-Fragen, an der es in der SPD mangelt, sondern es fehlt auch der Elan zu einer sozialdemokratischen Metapolitik und „großen Gesellschaftspolitik“. Sigmar Gabriel war der letzte, der selbst aktiv danach suchte. Andrea Nahles war eine Strippenzieherin und eher technokratisch, was sie mit Olaf Scholz gemeinsam hat. Olaf Scholz will gern gut regieren, der oberste Manager der Nation sein, als SPD-CEO Zuspruch bekommen. 

Gewiss, auch Scholz hat ein Bild für seine sozialdemokratische Metapolitik, nämlich „Verantwortung“. Wenn das aber mehr sein soll als verkapptes Preußentum in neuartigen sozialdemokratisch-technokratischen Gewand, dann müsste Scholz eigentlich monatlich mit Intellektuellen diskutieren und die Politik-Ressorts der deutschen Medienlandschaft regelmäßig mit klugen Aufsätzen bombardieren und selbst den feuilletonistischen Ehrgeiz ausstrahlen, für seine sozialdemokratische Idee eine eigene Deutungshoheit zu gewinnen und überhaupt eine Linie zu zeichnen. Doch genau das tut er nicht. Einzig sein Staatssekretär Wolfgang Schmidt übernimmt diese Aufgabe für ihn. 

Leitartikler? Denker und Linienmaler!

Olaf Scholz hat Sigmar Gabriel wohl immer heimlich vorgeworfen, nur ein guter Leitartikler zu sein und bei der Führung der Partei zu versagen. Das wolle er nun anders machen und lieber Ergebnisse liefern und durch Output überzeugen. Sigmar Gabriel lag mit seinem Leitartikel-Fokus aber eigentlich alles andere als falsch. Ihm war klar, dass der oberste Sozialdemokrat im Lande selbst ein umtriebiger Denker und Linienmaler sein muss. Zu führen bedeutet auch, Orientierung zu geben. Führung heißt immer auch, den Weg zu weisen. Der Kapitän hält nicht nur das Steuer, er benutzt auch seinen Kompass zur Fahrt. Der Kompass ist es, den man der Schiffsmannschaft zeigen muss. Sie will geführt werden. Sigmar Gabriel hatte das begriffen, war immer wieder in die mediale Manege gestiegen und musste sich dort zuweilen auch den diskursiven Gegenwind hart ins Gesicht blasen lassen – nicht zuletzt von den eigenen Leuten.

Gabriel, der Generalsekretär

Sigmar Gabriel ist ein Erklärer, ein Zweifler, ein Denker. Er kann mit Jürgen Habermas diskutieren und mit der Bäckereiverkäuferin. Wenn so jemand aber nicht zur Verfügung steht, braucht man zumindest einen auf diesem Gebiet kompetenten Generalsekretär. Der SPD-Generalsekretär muss Politik erklären, er muss selbst denken können, er muss über strategische Kompetenz verfügen und die Parteizentrale, das Willy-Brandt-Haus, führen. In Cicero wurde die Parteizentrale der SPD übrigens einmal als „Hort des Schreckens“ bezeichnet. Das war im Jahr 2013. Der Text könnte allerdings auch von heute sein.

Denn niemand, der etwas erreichen, der politisch etwas bewegen will, möchte dort arbeiten. Junge, motivierte, kluge Leute, die es immer braucht, um Impulse zu setzen und vor allem um einen Wahlkampf zu bestreiten, meiden die Parteizentrale der SPD. Sie streben stattdessen, wenn überhaupt, in die Ministerien oder in die SPD-Fraktion. Auch Typen vom Schlage des legendären einstigen SPD-Bundesgeschäftsführers Matthias Machnig finden sich im Willy-Brandt-Haus kaum mehr. Da fehlt eine ganze Kampftruppe. Und es liegt am Generalsekretär, die Parteizentrale zu einem Ort zu machen, wo Spitzenleute hin wollen, wo ein Geist des Aufbruchs und der intellektuellen Lust herrscht. Das Willy-Brandt-Haus muss endlich wieder mehr strategische Kompetenz bekommen. Momentan ist es nur eine Art Werbeagentur, in der stets neue Kommunikationsstrategien aus der Taufe gehoben werden. Als Kommunikationslinke ohne Substanz hat die SPD aber einfach keine Chance. It’s the Inhalte, stupid!

Inhalte und kluge Ideen

In dieser verunsicherten, gespaltenen und intellektuell heruntergerockten SPD muss es wieder um Inhalte und kluge Ideen gehen. Und da hat die Parteizentrale die Führung zu übernehmen – politisch wie intellektuell. Generell muss man zur Besetzung des Generalsekretärs sagen: Die SPD kann es sich nicht mehr leisten, immer wieder Leute zu berufen, von denen man schon vorher weiß, dass dieses Amt eine Nummer zu groß für sie ist. Die SPD hat nicht mehr viele Chancen, um sich aus der Rolle des Juniorpartners und Mehrheitsbeschaffers zu befreien. Irgendwann hat man einen Stempel, und da steht dann drauf: Für das Kanzleramt nicht mehr geeignet. 

An diesem Punkt befindet die SPD eigentlich schon fast. Das Bild einer kanzlerfähigen SPD ist in etwa genauso zerschreddert wie das sich selbst geschreddert habende Bild des Künstlers Banksy. Viele Gelegenheiten bleiben nicht, um die SPD aus dem tiefen Tal, in dem sie heute auch aus Selbstverschulden und Strategielosigkeit steht, wieder herauszuhelfen.

Vor allem bei der Wirtschaftskompetenz muss die SPD wieder etwas aufbauen, und auch da sollte die Parteizentrale eine Führungsrolle übernehmen. Ich halte es deshalb für entscheidend, dass der neue Generalsekretär oder die neue Generalsekretärin über eigene Wirtschaftskompetenz verfügt. Diese Befähigung wird in erheblichem Maß über die nächste Wahl entscheiden. Die SPD schafft es erst dann wieder auf Schlagdistanz zur Union, wenn die Wähler ihr auf diesem Gebiet etwas zutrauen. Laut aktuellem ZDF-Politbarometer hat die SPD beim Thema Wirtschaft aber nur noch eine Kompetenzzuschreibung von zehn Prozent; die Union kommt auf 40 Prozent. 

Diese Wirtschaftskompetenz tangiert dabei viele andere Debatten:

Die Zukunft der Autoindustrie und der Zulieferer

Die Digitalisierung und Industrie 4.0

Die Energiewende und Umweltpolitik, Stichwort „Ökologische Industriepolitik“

 
Die Arbeitsmarktpolitik
(Stichworte sind hier: Qualifizierung und neue Ideen für eine Weiterbildung der Beschäftigten, Arbeitslosengeld 1, aber auch Themen der Konsumstabilisierung und Arbeitsplatzsicherheit im Abschwung: Stichworte sind hier: Arbeitslosengeld 1 und Kurzarbeitergeld)

Die Geopolitik 
Eine neue G2-Welt ist am Entstehen, und vor allem die deutsche Industrie könnte im neuen weltpolitischen Zweikampf zwischen den USA und China ins Hintertreffen geraten

Die Forschungspolitik 

Es fehlt ein klarer Ansatz für Technologieforschung und den entsprechenden Milliardenmitteln dafür.

Das Willy-Brandt-Haus wird jemanden an seiner Spitze haben müssen, der auf allen genannten Feldern inhaltlich etwas anschieben kann. Was die SPD nicht braucht, ist die Fortführung einer SPD-Werbeagentur namens Willy-Brandt-Haus.

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RMPetersen | Fr., 29. November 2019 - 17:03

Theoretisch ja, aber da die Partei ausgedünnt ist und nur mehr aus geschmeidigen Funktionären besteht, die Inhalte der Linken und der Grünen recyceln, sehe ich weder einen Generalsekretär oder einennüberzeugenden Parteivorsitzenden am Horizont.

(Was die Funktion "GeneralsekretärIn" angeht: Könnte man ... äh: Es es nicht einmal mit einer Doppelspitze versuchen?)

Das "Zentralkomitee" hat beschlossen! - Es bedarf eines Generals. Pardon: "Sekretärs". Einen sogenannten SEKRETÄR (in barockem Stil) ererbte ich von meinem Ur-Urgroßvater sehr zu meiner Freude. Ein wunderbares Möbelstück und Augenweide. Und zudem sehr praktisch: In einem Schubfach liegen Fotoalben aus der Familiengeschichte, als Beispiel dafür, wie vielfältig Familien-Mitglieder durch die WELT gingen: vom Goldgräber bis zum Musiker richtig multikulturell vertreten.

Dumm bloß - niemand tat sich "politisch" hervor! - Ergo eine "unkorrekte" Ahnengeschichte. Mich juckt das aber wenig: Das Rein-Zwischenmenschliche verführt zu keinerlei Hass. Weder auf die "Rasse" der Eskimos noch der der "Dunkelhäutigen" (Übersetzung für Schwarzafrikaner, früher mal NEGER geheißen). - Eine "Echtheit" von "Liebe Genossinnen und Genossen" mit Blick auf Marxismus/Leninismus empfinde eher als "schaurig" denn menschenfreundlich ...

Alfred Zielinski | Fr., 29. November 2019 - 22:37

Da kann Vorsitzender usw. werden wer will. Problem der sPD ist für mich, dass die sPD während der Schröder-Regierung ihr eigenes Klientel verraten und verkauft hat. Zwei Stichworte dazu: Absenkung des Spitzensteuersatzes von 53 auf 42 Prozent und des Rentenniveaus um 4 % mit Auslieferung der Arbeitnehmerversorgung an die Finanz- und Versicherungswirtschaft, die so genannte Riesterrente. Wenn das die sPD nicht begreift, nicht begreifen will, wird sie keinen Fuß mehrt auf den Boden bekommen. Die sPD wäre gut beraten, wenn sie sich zu den Fehlern aus der Schröder -Ära, Stichwort „Genosse der Bosse“ zunächst klar bekennt und sich offensiv deren Umkehr zum Ziel setzt. Gerade die Riester-Rente gehört in ausschließlich staatliche Hand und keinesfalls in private Hände die sich daran zu Lasten der Arbeitnehmer eine goldene Nase verdienen. Die vorgenannten Entscheidungen der Schröder-Regierung waren innerhalb der wirtschaftsstabilisierenden Agenda 2010 keine maßnahmenrelevanten Elemente.

Yvonne Walden | So., 1. Dezember 2019 - 16:47

Antwort auf von Alfred Zielinski

Dem stimme ich vorbehaltlos zu. Wäre es nicht längst an der Zeit, gegen den "Zerstörer" der Partei namens Gerhard Schröder ein Parteiausschlußverfahren anzustrengen, um der Mitgliedschaft, aber auch den früheren SPD-Wählerinnen und SPD-Wählern zu zeigen, daß die heutige SPD für eine andere Politik steht und die neoliberalen Attitüden der Schröder-Regierung konsequent ablehnt und auf dem Müllplatz der Parteiengeschichte entsorgt.

Karla Vetter | Sa., 30. November 2019 - 19:15

Nun läuft ja alles ,nach der sich abzeichnenden Wahl des Duos Borjans /Esken , auf den kleinen Kevin als Generalsekretär hinaus. Seit drei Jahren liegt mein über 45Jahre altes Parteibuch auf Wiedervorlage zwecks Rücksendung an den Parteivorstand. Warte immer noch auf überzeugende Argumente warum man dieser Partei weiter angehören müsste.