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Glacier Kwong ist einer führenden Köpfe der dezentral organisierten Hongkonger Protestbewegung / picture alliance

Notstandsgesetze in Hongkong - „Chinas Einfluss auf Europa wird immer größer werden“

Die Hongkonger Regierung führt die Notstandsgesetzgebung ein. Dem Vermummungsverbot könnte eine Blockade des Internets folgen, befürchtet die Aktivistin Glacier Kwong. Im Interview mit Cicero warnt sie die deutsche Regierung davor, Hongkong könnte erst der Anfang chinesischer Expansion sein

Bastian Brauns

Autoreninfo

Bastian Brauns leitete das Wirtschaftsressort „Kapital“ bei Cicero von 2017 bis 2021. Zuvor war er Wirtschaftsredakteur bei Zeit Online und bei der Stiftung Warentest. Seine journalistische Ausbildung absolvierte er an der Henri-Nannen-Schule.

So erreichen Sie Bastian Brauns:

Mrs. Kwong, Sie stehen in ständigem Kontakt mit vielen Menschen in Hongkong. Wie ist die derzeitige Lage in der Stadt?
Vor wenigen Stunden hat die Hongkonger Regierung per Notstandsgesetz erlassen, dass keine Masken mehr getragen werden dürfen. Es geht aber noch weiter. Die Regierung könnte nun jegliches Gesetz an der parlamentarischen Gesetzgebung vorbei erlassen mit der Begründung des Notstands. Die Regierung könnte auf diese Weise nun das Internet abschalten oder persönlichen Besitz konfiszieren.

Warum konzentriert sich die Regierung zunächst auf dieses Vermummungsverbot?
Ich denke, die Regierung will testen, wie die Bevölkerung auf dieses Verbot reagiert, um dann zu entscheiden, was die nächsten Schritte sein könnten. Man scheut sich bislang noch, Maßnahmen zu ergreifen, die der Wirtschaft schaden könnten. Darum wird nicht zuerst das Internet blockiert. Die global orientierten Bewohner und Unternehmen Hongkongs würden das kaum tolerieren.

Aber was will die Regierung mit dem Vermummungsverbot erreichen?
Man möchte verhindern, dass die Menschen weiterhin auf die Straße gehen. Die Regierung zielt mit dieser Maßnahme aber eben nicht auf die gewaltbereite Minderheit, die Molotov-Cocktails wirft. Denn diese Menschen werden so oder so auf die Straße gehen, auch mit Maske. Schlicht weil sie bereit sind, ein gewisses Risiko einzugehen. Aber gerade diejenigen, die moderat und friedlich demonstrieren - und das ist die überwiegende Mehrheit - schützt sich mit Masken, weil sie Angst haben.

Wovor genau haben sie Angst?
Sie haben ganz konkret Angst davor, dass sie identifiziert werden und dann Nachteile in jeglicher Hinsicht erleiden. Sie haben auch Angst vor Repressionen, die Familienmitglieder treffen könnten. Die Angst vor dem chinesischen Überwachungsapparat ist real. Wir haben keinen Grund mehr, der Hongkonger Polizei zu trauen. Und gegen Tränengas hilft außerdem nichts anderes als eine Maske, und sei es nur in Form einer aufgesetzten Schwimmbrille. Man will die Zahl der Demonstranten ganz bewusst reduzieren, um es bei Festnahmen leichter zu haben.

Es gibt mehr und mehr Berichte von Menschen, die aus Hongkong fliehen. Steht Ihre Bewegung kurz davor, aufzugeben?
Einige haben Hongkong in der Tat zum Beispiel in Richtung Taiwan verlassen. Und die werden trotz aller Wut auf die Regierung wohl besser nicht zurückkehren. In meinem Bekanntenkreis gibt es allerdings nicht sehr viele, die sich gezwungen fühlen, Hongkong zu verlassen. Dass nun die Notstandsgesetzgebung eingeführt wurde, bedeutet im Gegenteil: Es gibt jetzt keinen Weg zurück mehr. Wir haben nur noch die Möglichkeit, für unsere Demokratie zu kämpfen.

Mitunter bedeutet das inzwischen, sich in Lebensgefahr zu begeben. Ein 18 Jahre alter Demonstrant wurde vor wenigen Tagen von einem Polizisten beinahe erschossen. Wissen Sie, wie es ihm geht?
Der Schuss wurde aus nächster Nähe abgefeuert und hat nur knapp das Herz des Jungen verfehlt. Er hat überlebt, liegt aber nach wie vor in kritischem Zustand im Krankenhaus. Die Hongkonger Polizei hat seit dem 1. Oktober mehr als 1.400 Mal Tränengas eingesetzt, mehr als 1.000 Gummigeschosse abgefeuert. Sechs Mal setzte sie sogar scharfe Munition ein. Sie können sich vielleicht vorstellen, wie wütend die Menschen inzwischen angesichts der vielen Verletzten und Schwerverletzten sind. Die Regierung bringt die Menschen mehr und mehr an den Punkt, an dem es kein Zurück mehr gibt.

 

Wie könnte die Regierung denn deeskalierend wirken?
Jedenfalls nicht so, indem Carrie Lam den gleichen Fehler immer wieder begeht. Nachdem sie vor vier Monaten das Auslieferungsgesetz plante und sah, welche millionenfachen Massenproteste sie damit ausgelöst hat, ist es völlig unverständlich, dass sie nun genauso weitermacht und sogar noch weiter geht. Sie hört den Menschen nicht zu und sie spricht auch nicht zu ihnen. Wir wissen nicht, was sie als nächstes plant. Aber in diesem Moment sind wieder Hunderttausende Menschen auf der Straße, kurz nachdem das Notstandsgesetz bekannt gegeben wurde. Niemand hat ihnen befohlen auf die Straße zu gehen. Sie tun es einfach.

Chinas Präsident Xi Jingping hat in seiner Rede zum 70. Geburtstag der Volksrepublik betont, dass er an dem Grundsatz “Ein Land, zwei Systeme” festhalten will. Glauben Sie ihm?
Nein. “Ein Land, zwei Systeme” ist schon jetzt nicht mehr existent. Es ist glasklar, dass die Hongkonger Regierung eine Marionette der Pekinger Regierung ist.

Wie optimistisch sind Sie angesichts der chinesischen Übermacht, diesen Kampf für Demokratie gewinnen zu können?
Ich habe derzeit keine Hoffnung. Aber ich glaube daran, dass wir das absolut Richtige tun. Wenn wir die Weltgeschichte betrachten, dann sind Diktaturen immer gefallen nach einer gewissen Zeit. Darauf setze ich. Daran glaube ich. Denn was wir tun, ist richtig. Und wir werden damit erfolgreich sein, auch wenn es gerade so scheint, als gäbe es keine Hoffnung.

Glauben Sie, dass Sie es schaffen, dass Ihre Proteste friedlich bleiben?
Es hängt tatsächlich sehr davon ab, wie die Regierung nun handelt. Wenn China entscheidet, die Armee in Hongkong einmarschieren zu lassen, dann glaube ich nicht, dass es noch irgendeine Möglichkeit für Frieden geben wird. Die meisten Hongkonger wollen Frieden, nichts anderes als das. Es liegt in der Verantwortung der Polizei und der Regierung. Wenn sie die Menschen weiter in die Ecke drängen, werden die keine andere Möglichkeit mehr sehen, als zu rebellieren. Aber ich hoffe sehr darauf, dass es friedlich bleibt, denn ich will keinen einzigen Hongkonger mehr sehen, der verletzt wird.

In welchem Maß erfahren Sie und Ihre Bewegung internationale Unterstützung?
Es sind leider fast nur Lippenbekenntnisse. Der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier gratulierte am 1. Oktober der chinesischen Regierung in einem Schreiben zum 70-jährigen Bestehen der Volksrepublik. Er betonte, was man doch für tolle Beziehungen habe. Solches Verhalten vermittelt der chinesischen Regierung den Eindruck, alles machen zu können, egal welche Menschenrechte ignoriert werden. Dass es auch niemanden wirklich kümmert, wenn Notstandsgesetze eingeführt werden. Als ich davon aus den Nachrichten erfahren habe, war ich furchtbar enttäuscht.

Was fordern Sie?
Die Welt muss endlich mehr tun gegen die chinesische Politik. Denn morgen geht es nicht mehr um Hongkong, sondern um ganz andere Teile auf der Erde. China wird nicht aufhören, sich auszubreiten. Sowohl wirtschaftlich, als auch politisch versucht es, Einfluss zu gewinnen. Ob über Konzerne wie Huawei, ob über Investments in Europa. Chinas Einfluss auf Europa wird immer größer werden. Unser Kampf ist nicht nur ein Kampf für Hongkong. Es ist ein Kampf für Menschenrechte und demokratische Werte. Die Welt und gerade Deutschland sollte also deutlich mehr tun. China befindet sich mitten in einem Handelskrieg und kann es sich nicht leisten, alle Verbündeten zu verlieren. Die Zeit ist also mehr als günstig.

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Klaus Funke | Fr., 4. Oktober 2019 - 16:21

Keine Regierung der Welt lässt sich derart auf der Nase herumtanzen wie die in Hongkong. Das hätten die Protestler, von denen man inzwischen genau weiß, woher sie Geld und Unterstützung bekommen, vorher wissen können. Der Krug geht solange zu Wasser... und in China, mit der Führung in Peking, geht er nicht schnell, aber stetig vorwärts. Man stelle sich vor, eine Art Chemnitzer Bewegung oder eine Art Demonstrationen wie 1989 in Leipzig etablierte sich in Deutschland, griffe den Unmut der Bevölkerung auf und ginge jede Woche z,B. in Berlin, München und Hamburg auf die Straße, mit Gewalt und Umsturzparolen - was passierte dann? Freilich, wenn zwei das Gleiche tun... man sieht es in Frankreich mit den "Gelbwesten", aber dennoch - bei uns wäre die Bundespolizei längst im Einsatz. Ausnahmezustand, Demonstrationsverbote, Verhaftungen usw. - aber in Hongkong haben die jungen Leute die Demokratie im Kopf. Welche Demokratie? Die amerikanische, die französische? Regime change ist die Parole!

Christa Wallau | Fr., 4. Oktober 2019 - 18:55

aus der Hand nehmen lassen - von niemand.
Die chinesische Regierung verfügt über Mittel und Wege, in Hongkong Herr der Lage zu bleiben.
Und die Mehrzahl der Chinesen wird dies für absolut richtig halten.
Machen wir uns nichts vor: U n s e r e Vorstellungen von Freiheit und Demokratie sind derart elitär und labil, daß sie für ein Riesenreich wie China gar nicht gelten können. Das Maß an Selbstbestimmtheit, das unsere Vorfahren uns in harten Auseinandersetzungen in Europa erkämpft haben, ist nicht übertragbar auf asiatische Verhältnisse. Und es wird auch bei uns nur dann
bestehen bleiben, wenn wir die nationale Souveränität und eine gewissen Homogenität
behalten, wonach es zur Zeit nicht aussieht. In einer mulikulturellen, multi-ethnischen EU mit zentraler Lenkung aus Brüssel werden sich auch unsere demokratischen und freiheitlichen Bedingungen rasch auflösen wie Zucker im Kaffee.
Die reale Welt ist kein Ort für Träumer und Leute, die sich ein X für ein U vormachen lassen.

Ulf Müller | Fr., 4. Oktober 2019 - 23:09

Wenn sich in der Redaktion mal jemand ernsthaft mit dem Thema befassen würde, es würde schon reichen sich mal bei unvoreingenommen Medien / Korrespondenten zu informieren, dann würden solche Beiträge überflüssig. Diesen ewigen Quatsch mit der Demokratie und den sogenannten Menschenrechte kann man doch getrost den Märchenerzählern bei der Zeit, dem Spiegel oder der Süddeutschen überlassen. Dort geht es weniger um die so genannten westlichen Menschenrechten, als darum, dass es nicht mehr so einfach ist sich Wohneigentum zu schaffen oder als Jungakademiker eine gute Stelle zu bekommen. Und wenn Hong Kong erfahrene Schweizer Wirtschaftskorrespondenten nicht ausschließen, dass Amerika seine Finger im Spiel hat, dann würde ich dieses auch nicht auf die leichte Schulter nehmen. Aber sich über Menschenrechtsverletzungen in der VR China auszulassen ist ja en Vogue. Für mich ist das so seriös und fundiert wie fridays for future. Ulf Müller

Ulf Müller | Fr., 4. Oktober 2019 - 23:31

Und übrigens, wenn man versucht mit einer Stange auf einen Polizisten einzuschlagen, ja dann kann es passieren, dass der von seinem Recht auf Selbstschutz Gebrauch macht. Der zweite angeschossen Demonstrant resultierte auch aus einer Situation, wo ein Zivilpolizist von Demonstranten umringt und mit Sicherheit in prekärer Situation war. Aber unsere Gesellschaft krankt auch daran, dass sie Angriffe auf unsere Polizisten nicht verurteilt. Wie sieht es denn mit den Menschenrechten der deutschen Bürger aus, welche mit Mindestlohn und prekären Wohn- und Arbeitsverhältnissen ihre Kinder großziehen müssen? Wo kein Geld für Urlaub da ist ! Die dann vielleicht in ihren Wohnviertel nicht einmal sichere Verhältnisse im öffentlichen Raum haben! Ich habe letztens gelesen, dass es bis ca. vier Jahre vor Rückgabe an China überhaupt keine so genannte Demokratie für die Einwohner Hong Kongs gab. Es war ja auch bis dato eine Kronkolonie, mit der Betonung auf Kolonie! Mit freundlichen Grüßen Ulf Müller

Ulf Müller | Fr., 4. Oktober 2019 - 23:48

Bei dem Thema Gummigeschoße muss ich an die Polizeieinsatzführung bei den Gelbwestendemonstrationen und generell an das polizeitaktische Vorgehen bei gewaltbereiten Demonstranten denken. Wobei ich es nicht verurteile, es sind die Einsatzmittel der Polizei bei gewalttätigen Protesten (Hamburg G20!). Ich ertrage dieses Messen mit zweierlei Maß nicht. Das sollte doch dem ÖR und den Mainstreammedien vorbehalten bleiben. Ich schätze den Cicero eben aus dem Grund, dass er diese Art Journalismus im Normalfall nicht bringt. Ulf Müller

Dorothee Sehrt-Irrek | Sa., 5. Oktober 2019 - 12:02

weltweit, dürfte sein Niveau sinken, vielleicht seine Auflage steigen?
Oder ist kein Geld vorhanden, renommierte Leute zu den Problemen schreiben zu lassen?
Das Niveau von manchen Aktivisten, bei allem Respekt vor ihrem Beitrag zur Veränderung widriger Lebensumstände, ist auch nicht immer meines.
Ich hoffe, dass es wenigstens ihr Niveau ist und kein aufgepfropftes.
Da bin ich mal gespannt, ob der Vorsitz Deutschlands im Sicherheitsrat jetzt zur großen Mobilmachung gegen China führen wird.
Ich will keiner starren Sicherheitsordnung auf Kosten junger Menschen das Wort reden.
Irgendwie hoffe ich dennoch auf mehr gesellschaftliches Niveau als in etwa, wir können nur noch kämpfen.
"Die Zeit ist also mehr als günstig"?
War Frau Merkel nicht auch in China?
Ich schätze keine Anwürfe von Aktivisten gegen meinen Bundespräsidenten.
Die Politikebene ist die von Frau Merkel.
FAIL

Dorothee Sehrt-Irrek | Sa., 5. Oktober 2019 - 12:52

finanzieren.
Wer wird noch alles (mit-)kämpfen?
Natürlich war die Einverleibung Hongkongs durch das Britische Empire auch zum Vorteil der Bevölkerung als Schutz vor dem mächtigen China, ich führe manche koloniale Macht auf Schutzmachtinteressen ansässiger Bevölkerungen zurück.
Sicher sollte die UNO solche Konflikte anders als im Kampf lösen können.
Der Beitrag der Aktivistin macht mir da keinen Mut, `es ist gerade günstig´?
Wieder ein potenzieller Kriegsherd?
Bei allem Respekt vor einer klugen Weltordnung hatte ich immer auch das unangenehme Gefühl, dass der Migrationspakt für all die Flüchtlinge sorgen wird, die """man""" noch gedenkt zu produzieren.
Hätte man ihn deshalb nicht abschliessen sollen?
Doch, denn ich glaube an die unendliche Sehnsucht nach Vernunft vor Kampf.
"Man dürstet um sie und wird nicht satt, man blickt durch Schleier, man hascht durch Netze.
Ist sie schön? Was weiss ich!" ("Also sprach Zarathustra")
oder anders gesagt, das ist Nietzsche schnurzepiepe.

Michael Sachs | So., 6. Oktober 2019 - 16:58

Ich denke das wir in Deutschland ein ähnliches Problem haben es ist nur noch nicht so weit fortgeschritten, ich habe das Gefühl das wir bereits auf dem Weg in eine neue DDR sind, die Kommunisten die 89 aus der DDR zu uns kamen haben mit den Kommunisten die aus der RAF Zeit übrig blieben eine neue Kommunistische Linke gebildet, sie nennen sich Antikommunisten oder auch Aktivisten, mit der Wahl der Kommunistin Merkel ist ihnen das größte gelungen was man gegen eine Demokratie tun kann, sie haben mit Merkel u. der Islamisierung es geschafft heimlich eine neue DDR zu installieren, auch wenn sich Rechts dagegen eine Opposition aufbaut, sie ist zu gering, die gesamte Regierung sowie fast die gesamte Presse u. die Gerichte sind Links, es gibt keine Chance wir sind umzingelt, es glaubt nur noch keiner, wir sind bereits ein Linker Staat, warum sollten sie gegen China aufstehen sie sind ja alle selbst Kommunisten in Berlin, die Hongkong Chinesen warten vergeblich genauso wie Venezuela.