Aus Merkel wird Kramp-Karrenbauer: Aber ändert das etwas an der Krise der Demokratie? / picture alliance

Wahl von AKK zur neuen Parteivorsitzenden - „It doesn't matter who replaces Merkel. Germany is broken.“

Was bedeutet die Wahl von Annegret Kramp-Karrenbauer zur neuen CDU-Vorsitzenden für die deutsche Politik? Reicht die Abkehr vom Prinzip des „Weiter so“ schon, um die Krise der Demokratie in den Griff zu bekommen? Die „New York Times“ hat daran erhebliche Zweifel

Antje Hildebrandt

Autoreninfo

Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Der CDU-Parteitag war zwar nicht der Nabel der Welt, aber für einen Moment, so schien es zumindest, konnte man ihn von dort aus ziemlich genau sehen. Die Wahl von Annegret Kramp-Karrenbauer als Nachfolgerin der Bundeskanzlerin an der Spitze der CDU gilt zwar als Richtungsentscheidung für den Kurs der CDU. Aber war das nicht ein bisschen viel Tam-Tam um eine Personalie? Hängt von dem Wechsel tatsächlich ab, ob die Bundesregierung ihre drängendsten Probleme bewältigen kann?

Die Frage hat die renommierte New York Times  aufgeworfen. Ihre Antwort fällt ernüchternd aus: „It doesn't matter who replaces Merkel. Germany is broken.“ Angela Merkel, so das Fazit,  habe mit ihrer Politik des Aussitzens zwar nicht nur die Bundesrepublik, sondern auch die EU in eine tiefe Krise gestürzt. Die eigentlichen Ursachen dieser Krise aber reichten viel tiefer. Es sei die Erosion des Sozialstaats, die Raum geschaffen habe für rechte Ideen und Bewegungen, welche noch vor einigen Jahren als nicht gesellschaftsfähig galten. Die rekordverdächtig niedrige Arbeitslosenquote von 4,8 Prozent könne nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Bundesregierung mit dem Sozialstaat gerade der sicherste Garant für Stabilität und Zufriedenheit wegbröckele. Der boomende Niedriglohnsektor und die Abstiegsangst des Mittelstandes hätten zu den massiven Stimmenverlusten von CDU und SPD geführt und dazu, dass sich das Drei-Parteien-System aufgefächert habe. Unter diesen Bedingungen politische Mehrheiten zu finden, werde immer schwieriger. 

Deutschland, gesehen mit den Augen eines Amerikaners? Nein, die Analyse stammt von dem deutschen Soziologen Oliver Nachtwey. Man kann sie in voller Länge nachlesen in seinem 2016 erschienenen Buch: Die Abstiegsgesellschaft. Über das Aufbegehren in der regressiven Moderne.“ 

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Jürgen Sauer | Mo., 10. Dezember 2018 - 13:48

ein maximaler Vertrauensverlust in der repräsentative Demokratie.

Wir erleben im größt-möglichen Maßstab den Vertrauensbruch der gewählten Vertreter im Parlament.

Da es keine Brandmauern gibt, einmal gewählte Repräsentanten nach Vertrauensbruch (Bruch von Wahlversprechen, Machtmißbrauch, Befugnisüberschreitung, u.a.) Abzusetzen, haben wir derzeit ein MAXIMALES Problem.

Meiner Meinung benötigen wir äusserst Dringend:
- Volksabstimmungen mit dem Recht einen vertrauensbrechenden "Repräsentanten" fristlos zu Feuern, unter Abekennung von Pensionen etc.

- unabhängige Staatsanwälte, am besten gewählte, welche auch gegen die Regierung (Repräsentanten) ermitteln und Rechtsbrüche ahnden

- Verfassunsgsstrafrecht, das es ermöglicht, Repräsentanten, die sich gegen die Verfassung verstoßen haben, sofort und unter Aberkennung der Pension aus dem Amt zu jagen!
Auch die EU ist eine (ernstgemeint) tolle Sache, doch man kann die nur Akzeptieren, sobald die EU verantworlichen gewählt sind

Die Demokratie ist im Grunde quicklebendig, so lebendig wie wahrscheinlich schon lange nicht mehr in den letzten 20 Jahren. Wir haben jedoch ein gewaltiges Annahme- und Vollzugsdefizit in der Politik. Das ist das eigentlich Kernproblem, welches das althergebrachte System der repräsentativen Demokratie ins Wanken bringt. Es werden von den Bürgern viele Fragen und Forderungen an die Politik gestellt. Werden keine adäquaten politischen Antworten gefunden und vollzogen, wird es die derzeitigen Repräsentanten hinwegfegen. Die Methode Achselzucken und auf St. Nimmerlein schieben ist endgültig erschöpft. Wer nicht mit der Zeit geht, muss mit der Zeit gehen. An Stelle repräsentativer Demokratie wird direktdemokratische Selbstbestimmung treten. Repräsentative Demokratie beruht auf zwei Grundpfeilern - zum einen der mehrheitlichen Akzeptanz der getroffenen politischen Entscheidungen und zum anderen vom grundsätzlichen Vertrauen in die politischen Repräsentanten und Entscheidungsträger selbst...

Es gibt zweifellos zu wenig Vertrauen un unsere Volksvertreter.
Allerdings sind Ihre Vorschläge zur Behebung der Situation leider nicht sinnvoll. Sehen wir uns mal an, was es bedeuten würde, diese Sachen zu implementieren:

Zur Volksabstimmung: Die Väter des GG haben damals aus den Lehren der Weimarer Verfassung heraus kein direktes Demokratieinstrument mit aufgenommen. Denn damit setzt man die Legislative einem großen Emotionalisierungspotential sowie kurzfristigen Meinungsströumngen aus. Ein Beispiel: Während der RAF-Zeit wollte die Mehrheit der Deutschen die Todesstrafe. Dasselbe Problem gäbe es, wenn man die Abgeordneten dem aussetzte. Unpopuläre Politiken, die sich im Nachhinein aber als gut herausstellt, gäbe es dann nicht mehr.

Ja, man muss unbedingt etwas ändern. Aber nicht so, wie Sie das sagen.

Viel sinnvoller wäre es, die gewählte repräsentative Legislative durch ein gelostes Gremium à la van Reybrouck oder Buchstein zu ersetzen oder zumindest zu ergänzen!

Karl Müller | Mo., 10. Dezember 2018 - 14:36

genau so wenig wie es "Fachkräftemangel" gibt.
Das evidente Dauerversagen der politischen Klasse ist primär einer gewissen Narrenfreiheit zu verdanken die der offenkundig dumme, oder demente, Wähler gewährt hat.

Was den "offenkundig dummen, oder dementen, Wähler" betrifft, machen Sie es sich etwas einfach, zumal in der deutschen "Parteiendemokratie", wo die Wahlberechtigten auf nationaler Ebene gerade mal je zwei Stimmen zu vergeben haben. Zum ersten kann man - generell - nur Parteien und Personen wählen, die zur Wahl stehen. Zum zweiten sorgt die 5 Prozent-Klausel dafür, dass es neue und/oder nicht sonderlich wählerstarke Parteien schwer haben, überhaupt ins Parlament zu kommen, womit ein Teil der Wahlberechtigten da schlicht nicht repräsentiert ist. Zum dritten sind der "Koalitionitis" kaum Grenzen gesetzt, solang keine Partei die absolute Mehrheit der Sitze im Parlament erringt, was so schnell kaum passieren wird. Gegen solche "Macht(erhaltungs)bündnisse" können sich die Wahlberechtigten kaum erfolgreich zur Wehr setzen, wie spätestens seit den Wahlen 2017 offensichtlich ist. Als Tüpfelchen auf dem i kann man schliesslich auch noch einen Teil der Opposition als "inexistent" erklären. (...)

Enrico Stiller | Mo., 10. Dezember 2018 - 14:42

Es ist im Gegenteil unser gut ausgebauter Sozialstaat und unser relativer Wohlstand, der ein noch viel intensiveres Erstarken der rechten Opposition (noch) verhindert. Dass es sich bei der neuen Opposition vorwiegend um "Abgehängte" handelt, ist schlicht eine Propagandalüge. Vielmehr befürchten die Rechten - zu Recht - dass eine hemmungslose Immigration unser Sozialsystem in der Zukunft sprengen muss. Milton Friedman hat dies ja schon dargelegt. Und das Sozialsystem wäre nicht der einzige Grundpfeiler unseres Systems, der durch die Bevölkerungsveränderung zum Einsturz gebracht würde. Unser Wertesystem, ohne das unser Wohlstand nicht denkbar ist, würde zusammenbrechen. Die Befürworter der Multikulti-Gesellschaft sprechen ja ganz offen von einem "täglichen Aushandeln" neuer Werte. Vielleicht sollten die Linken, die früher als "durchsoziologisiert" galten, mal Max Weber lesen, zum Zusammenhang zwischen Werten und wirtschaftlichem Erfolg.

Auf den Punkt gebracht. Passt aber nicht zur herrschenden Meinung. Und daher werden sich noch einige wundern, wenn wir in ein paar Jahren einen deutschen Trump haben.

Heidemarie Heim | Mo., 10. Dezember 2018 - 14:55

Die Erosion des Sozialstaates wirkt sich nicht nur auf rechte Bewegungen aus wie wir auch bei Frau Wagenknechts Bewegung sehen konnten. Und wo stehen die Hausbesetzer in der Rigaer Str. oder die Linken? So recht die New York Times hat was sie als "burst" bezeichnet, so haben die Amerikaner nie über einen auch nur ähnlichen Sozialstaat wie dem unseren verfügt. Wohl aber ehemals über das was man eine zufriedene Mittelschicht nennen kann. Die hat sich beim Niedergang der Autoindustrie, z.B. Detroit nahezu aufgelöst. Und das ohne soziales Netz. Job weg, Haus weg, nächste Station trailer-camp oder schöner wohnen im eigenen Pick up. Zum bloßen Überleben 2-3 Jobs mit 5$ die Stunde. Umso fassungsloser der Blick über den Atlantik und das Erstaunen darüber, wie unsere Politik das von Vielen beneidete Konstrukt namens Sozialstaat made in Germany zum bröseln bringt durch unkontrollierte Einwanderung und eine immer mehr ausufernde Belastung der Leistungsträger, die zudem Abstiegsängste haben. MfG

Robert Hagen | Mo., 10. Dezember 2018 - 15:36

Erosion des Sozialstaates - was für eine kühne Behauptung! Sie speist wohl kaum aus Unkenntnis, wohl eher aus politisch Motiven. Hierzu nur zwei Kennzahlen: Die Sozialschutzleistungen (Sozialquote) liegt bei über 30 %, ganz knapp hinter Schweden und EU- (wenn nicht globaler) Spitzenreiter Dänemark. Der Bundes-Sozialetat 2019 übertrifft 145 Milliarden Euro (+ 6 Mrd), also über 40 % des Gesamthaushaltes. Die Armuts- und Armutsgefährdungsquote verringert sich seit ein paar Jahren - wenn, ja wenn man die Statistik - wie es die Böcklerstiftung jüngst getan hat - die Fälle gesondert ausweist, die mit Nichts hier ankommen sind und dann langsam versuchen, finanziell Fuß zu fassen. Fazit: Nicht immer bildet der Blick aus der Ferne.

Renate Genth | Mo., 10. Dezember 2018 - 17:40

Das trifft zu. Auch daß die Erosion des Sozialstaats in vollem Gange ist. Nur ist der volle Bruch erst mit der sozialstaatlich alimentierten Masseneinwanderung passiert. Kohl hatte die Vereinigung aus den Sozialkassen finanziert und sie dadurch bereits erodieren lassen. Merkel und die Politische Klasse finanzieren die Masseneinwanderung auf die gleiche Weise. Wie heißt es so schön altertümlich: Der Krug geht so lange zum Brunnen, bis er bricht.

Manfred Westphal | Mo., 10. Dezember 2018 - 20:19

Ach... Frau Hildebrandt schauen Sie sich doch bitte die "Soziale Hängematte" Deutschlands genau an.
Da ist kein Loch, wo einer durchfallen kann. Vielmehr werden die Maschen der Matte immer mehr verstärkt um den Bürger vom eigenen Aufstieg abzu- und in der Abhängigkeit des Staates zu halten.

Manfred Gimmler | Mo., 10. Dezember 2018 - 22:35

Die Wahl der Saarländerin zur CDU-Vorsitzenden bedeutet nichts, absolut nichts! Selbst wenn sie den Merkel-Kurs aus ehrlicher Überzeugung ändern wollte, müßte sie den größten Teil ihrer Ressourcen typischerweise zunächst in den politischen Betrieb leiten und verlöre darüber Kraft und Vermögen, den billionenteuren Scherbenhaufen ihrer Irrfahrt wegzuräumen.

Nach dem Betrachten der Wirklichkeit erforderten nämlich die notwendigen Kehrarbeiten zum einen weitreichende Änderungen in vielen gesellschaftlichen Bereichen und zum anderen Überzeugungsarbeit gegenüber einer tief gespaltenen wie sedierten Bevölkerung, der klar zu machen wäre, daß Merkel bereits seit Jahren trotz sprudelnder Einnahmen nahezu alles auf Kante genäht und das Land von der Substanz gelebt hat.

Deutschland stünde vor einer Herkulesaufgabe, die weitblickende Politiker und eine solidarische Gesellschaft erforderte – Voraussetzungen, die dank der Kanzlerin nicht mehr gegeben sind. In der Tat: „Germany is broken“.

Hans Bethe | Mo., 10. Dezember 2018 - 22:49

In dem Artikel der NY Times "It Doesn’t Matter Who Replaces Merkel. Germany Is Broken." findet man ein interessantes Detail:

Im Jahr 2015 sind laut der NY-Times 2.14 Millionen Menschen in die BRD eingewandert.

Diesen Wert kann man gefühlt im Strassenbild deutscher Großstädte bestätigen; in der BRD wurde solch eine Zahl m.E. nie offiziel kommuniziert.

Mir hat es die Schuhe ausgezogen!

Hans Bethe

Dorothee Sehrt-Irrek | Di., 11. Dezember 2018 - 10:52

Antwort auf von Hans Bethe

Wurde man dafür nicht in Deutschland öffentlich gedemütigt?
Der Preis ist evtl. zu hoch, als dass ich an eine gute Entwicklung noch fest glauben kann.
Es kommt eben ganz entschieden auf das handwerkliche Können an, auch in der Politik.
Jetzt kann Merkel vom "Jetzt ist es eben so" auf die Linie "Die Welt will es so" umschwenken?
Sie hat vor allem nie etwas falsch gemacht und evtl. nie ohne solche Pläne im Rucksack.
Man verzeihe mir die Annahme, dass dies evtl. die einzige Sorge ist, die Merkel "treibt".
Sie fädelt evtl. clever etwas ein?
Ich verbinde das eigentlich nicht mit Politik.

Walter Böhm | Di., 11. Dezember 2018 - 00:41

Wenn die AfD im Sommer 15 bei 3,5% war und ein halbes Jahr später zweistellig, dann muss man schon die Scheuklappen eines Soziologen haben, um dafür den Niedriglohn und Abstiegsängste der Mittelschicht verantwortlich zu machen.

Dorothee Sehrt-Irrek | Di., 11. Dezember 2018 - 13:03

Ob nun der Sieg von AKK, Merz oder Spahn, Deutschland hat gewonnen.
Ebenso mit Nahles und Scholz.
Gute Politik kann sanft sein und auf Taubenfüßen kommen.
Ich bin mal gespannt, wer gegen die SPD und "Aufstehen jetzt" Deutschland wieder auf den Schlachtfeldern bluten lassen will, ohne selbst auch nur den Hauch eines Kratzers. Hauptsache gut gemeint?
ich weiss, warum ich die SPD mit in der Regierung will.
Grüne Landschaften im Krieg sind nicht das wahrscheinlichste.
Dann muss das Klima ein bisschen zurückstehen, liebe Grüne.
Seit Joschkas evtl. ""Schulterschluss"" mit Albright, traue ich Euch nicht mehr diesbezüglich über den Weg.
An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen...