- Der spanische Tsipras
Bei den spanischen Kommunalwahlen erzielte die Linkspartei Podemos überraschend viele Stimmen. Auch bei der Parlamentswahl im Herbst könnte sie zur Gefahr für die konservative Regierungspartei von Präsident Rajoy werden. Ihr Hoffnungsträger ist der Madrilene Pablo Iglesias Turrión.
Pablo Iglesias Turrión glänzt durch Unverfrorenheit. Als Ministerpräsident Mariano Rajoy Brey Ende Februar zur Grundsatzrede über die Lage der Nation anhob, lud der Generalsekretär der jungen Partei Podemos („Wir können“) zur Gegenveranstaltung. Im voll besetzten Theatersaal im Círculo de Bellas Artes, 300 Meter Luftlinie vom Kongress entfernt, begrüßte das Publikum Iglesias mit „Presidente, Presidente“-Rufen, Kameras klickten, eifrig protokollierten die Journalisten, was der 36 Jahre junge Universitätsdozent dem spanischen Premier zu entgegnen hatte.
Noch hat die im Januar 2014 gegründete Partei, die nur vier Monate später bei den Europawahlen fünf Sitze gewann, keinen einzigen Vertreter im spanischen Parlament. Aber sie bestimmt die öffentliche Debatte. Umfragen sehen Podemos bei den Wahlen im Herbst mal als stärkste, mal als zweitstärkste Kraft. Eins ist jetzt schon klar: Pablo Iglesias wird die Politik der fünftgrößten Volkswirtschaft der EU in den kommenden Jahren entscheidend mitbestimmen. Manche sehen in ihm Spaniens Tsipras.
Abkehr vom Sparkurs
Ein Parteiprogramm hat Podemos noch nicht, dafür verspricht Iglesias, vieles anders zu machen. Zuvorderst soll Rajoys strenge Sparpolitik, auf die er das Wirtschaftswachstum von 1,4 Prozent im vergangenen Jahr zurückführt, beendet werden. Iglesias will die Reform des Artikels 135 rückgängig machen, jenes Verfassungsparagrafen, der der Bedienung der Schulden Vorrang einräumt. Die Staatseinnahmen sollen erhöht werden, durch stärkere Kontrolle der Unternehmen und eine höhere Besteuerung der Reichen.
Das ist recht vage, verstörender als der Inhalt ist die Form: „Ticktack, ticktack! Eure Zeit läuft ab!“, schleudert der Herausforderer mit dem langen Pferdeschwanz der „Kaste“ entgegen – und meint damit all jene, die in Politik, Wirtschaft und Medien das Sagen haben. Podemos’ schneller Aufstieg ist nicht nur Ergebnis der tiefen Vertrauenskrise, in der Spaniens System steckt; er ist auch Zeichen für einen Wandel der politischen Kultur. Iglesias will den Bruch mit den alten Eliten.
Promotion über zivilen Ungehorsam
Als er am 17. Oktober 1978 in Madrid geboren wurde, war Diktator Francisco Franco gerade drei Jahre tot, Spanien hatte in harten Verhandlungen eine demokratische Verfassung ausgearbeitet. Dass die Eltern den Sprössling nach dem historischen Gründer der sozialistischen Partei Pablo Iglesias benannten, ging noch als linksprogressives Bekenntnis durch. Heute kursiert auf Twitter der Witz: „PSOE – die Partei, die von Pablo Iglesias gegründet und aufgelöst wurde“. Korruptionsskandale haben die Volksparteien diskreditiert, den Nach-Franco-Geborenen taugen sie nicht mehr als politischer Bezugsrahmen. Da genießt jede neue politische Kraft einen Vertrauensvorschuss.
Iglesias gehört zu einer Generation, die sich nicht mehr mit Eigenheim und Fernreisen über die Mittelmäßigkeit der spanischen Demokratie hinwegtrösten will. Als er 2008 über „zivilen Ungehorsam“ promovierte, zeichnete sich bereits ab, dass die Abschlüsse und Diplome seiner Kommilitonen nicht mehr viel wert sein würden. Der Politikwissenschaftler und Jurist, bereits aktiv in der Antiglobalisierungsbewegung, gehörte zu den Wortführern der „Empörten“, die im Mai 2011 auf der Madrider Puerta del Sol ihre Zelte aufschlugen.
Ruf eines Populisten
Wie man sich Gehör verschafft, lernte er als Moderator von „La Tuerka“, einem politischen Talk im Lokalfernsehen; es folgten Auftritte als Gastkommentator im privaten Fernsehsender La Sexta und beim konservativen Konkurrenzkanal Intereconomía: Mit Daten und Fakten gewappnet, sezierte er dort das Krisenspanien, in klaren, einfachen Worten und einprägsamen Formeln. Diesem Stil bleibt er bis heute treu. Auf Youtube kursieren Clips, in denen Ausschnitte seiner Reden mit elektronischen Beats unterlegt wurden. Es hört sich an, als seien sie eigens dafür getextet.
Seine Fernsehauftritte haben Pablo Iglesias den Ruf eines Populisten eingetragen. Das konnte ihm bisher aber ebenso wenig anhaben wie die Versuche konservativer Medien, ihm seine Beratertätigkeit und seine Verehrung für den venezolanischen Staatspräsidenten Hugo Chávez zum Vorwurf zu machen.
Iglesias, der als Teenager Mitglied der Kommunistischen Jugend war, weiß, dass in Spanien mit „No pasarán“ und republikanischen Fahnen keine Stimmen zu gewinnen sind, und hat daher seine Rhetorik in den vergangenen Monaten gemäßigt. „Unsere Forderungen sind genuin sozialdemokratisch“, sagt Iglesias milde lächelnd und verweist auf die „Experten aus zivilgesellschaftlichen Organisationen“, die sein Kabinett bereichern sollen. Keine Rede mehr vom bedingungslosen Grundeinkommen oder der Rente mit 60; mit Brüssel und Berlin soll zwar verhandelt werden, konkrete Ziele nennt er nicht. Das mag potenzielle Wähler der Mitte beruhigen, das spanische Establishment kaum.
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