Der neue Premier Keir Starmer und seine Frau Victoria treffen in der Downing Street ein / dpa

Großbritannien hat gewählt - Aufbruch und Erlösung

Die neue Labour-Regierung will einen Blitzstart hinlegen. Schon seit Wochen erarbeiten die Beamten in den Ministerien Vorschläge für die praktische Umsetzung des Labour-Wahlprogramms. Wahlverlierer Rishi Sunak wird in seiner Partei künftig keine Rolle mehr spielen.

Autoreninfo

Christian Schnee studierte Geschichte, Politik und Public Relations in England und Schottland. Bis 2019 war er zunächst Senior Lecturer an der Universität von Worcester und übernahm später die Leitung des MA-Studiengangs in Public Relations an der Business School der Universität Greenwich. Seit 2015 ist er britischer Staatsbürger und arbeitet als Dozent für Politik in London.

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Tanzend und singend ziehen sie durch die Straßen und feiern ihren Sieg. Wie ein Matador nach gewonnenem Kampf klatscht der Sieger ausgestreckte Hände ab. Als wären sie verzückte Fans eines Sportstars, drängeln sich Tausende an den Absperrgittern und recken sich, um ihrem Helden nahe zu sein, der die wenigen Meter zur Tür von 10 Downing Street geht. Sie lassen ihn hochleben. Die Stimmung ist ausgelassen nach einem fulminanten Sieg Labours, der die konservative Regierung nach 17 Jahren aus dem Amt vertreibt. Es ist der 2. Mai 1997, als Tony Blair das Büro des Premierministers in 10 Downing Street bezieht. 

Für Sir Keir Starmers Sieg in der vergangenen Nacht ist Blair der Bezugs- und Vergleichspunkt, auf den sich Demoskopen seit Monaten berufen. Auch Starmer löst eine zutiefst unpopuläre Regierung ab, die längst das Vertrauen der Wähler verloren hatte. Wie seinerzeit Blair wird der neue Regierungschef über eine mächtige Mehrheit von 170 Sitzen im Parlament verfügen und freie Hand haben, seine politischen Ziele zu verfolgen. Auf den Oppositionsbänken sitzt eine dezimierte konservative Fraktion von kaum 120 Abgeordneten, die nur 24 Prozent der Wähler hinter sich bringen konnten. Das schlechteste Ergebnis in der Geschichte der Tories. 

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Heidemarie Heim | Fr., 5. Juli 2024 - 17:22

Wie andere, die Faxen ihrer Regierungen satt, haben die Briten/innen augenscheinlich keine halben Sachen gemacht. Da wurde scheinbar der Stahlbesen ausgepackt um auszukehren. Oder wie beim alten Blücher "Keine Gefangenen!" gemacht in der Nacht als Wellingtons Wunsch in Erfüllung ging und Bonaparte sein Waterloo erlebte. Zugleich aber dem neuen Chef rein prophylaktisch ein Haar in der Suppe beließen seine Beliebtheitswerte betreffend, damit er sozusagen nicht gleich die Bodenhaftung verliert. Schlau gemacht;) "Darauf einen Earl Grey!" MfG

Kai Hügle | Fr., 5. Juli 2024 - 17:36

Die Tories haben die Quittung für mindestens sechs Jahre Politikversagen bekommen und müssen sich nun überlegen, ob sie seriöse Oppositionspolitik oder sich weiter lächerlich machen wollen. Sunak für dieses historisches Debakel verantwortlich zu machen, deutet eher auf letzteres hin. Haben die Konservativen wirklich vergessen, wie unbeliebt May, Johnson und Truss waren?!

Gerhard Lenz | Fr., 5. Juli 2024 - 17:53

Denn die Konservativen haben stattliche Stimmenverluste zu verzeichnen, während der "Erdrutschsieg" der Labour Party gerade mal einen Zuwachs von ungefähr 2 Prozentpunkten einbrachte. So ist es eben, das britische Mehrheitswahlrecht: Mit knapp 34% der Stimmen fährt Labour eine satte Mehrheit ein. Herr Starmer sollte sich bei Nigel Farage bedanken. Denn manche Labour-Mehrheit kam nur zustande, weil Konservative und Rechtspopulisten sich gegenseitig die Stimmen abnahmen und bei der Endarbrechnung dann hinten lagen.
Das war von Farage durchaus gewollt. Er hat bereits erklärt, er wolle jetzt die Konservativen "vernichten", weil sie ihm einerseits den Brexit nicht konsequent genug vollzogen haben, andererseits in der Migrationsfrage noch immer zu tolerant seien.

Der Schoß ist fruchtbar: Keine Partei kann das durch den Brexit verursachte Disaster mal eben beseitigen. Andererseits blockiert das völlig überzogene, nostaligisch-geprägte Selbstvertrauen der Briten die Rückkehr. in die EU.

Christoph Kuhlmann | Sa., 6. Juli 2024 - 09:04

Millionen von EU Staatsbürgern haben die Insel verlassen und werden nun von Bürgern des früheren Empires ersetzt. Die Medien spielen dabei eine unwürdige Rolle. Die einen populistische Falschinformationen, die anderen beschworen einen umgehenden Wirtschaftscrash. Ich weiß nicht wieviel gut bezahlte Industriearbeitsplätze England verloren hat. Dafür scheinen inzwischen die Dienstleistungen besser zu exportieren sein. Die Onlinewelt kennt nur kulturelle Sprachgrenzen. Da hat England einen Wettbewerbsvorteil. Produktivität vorausgesetzt. Die Scharnierfunktion zwischen der angloamerikanischen Welt und dem Kontinent hat es verloren. Die Handelsbilanz ist schlechter geworden. Die Staatsverschuldung gestiegen. Statt sich aktiv an der Regulierung/Deregulierung durch Brüssel zu beteiligen, ist man lieber ausgetreten, ohne zu bedenken, dass die zentrale EU-Bürokratie sehr viel effektiver ist, als die Summe der Bürokratie von 28 Einzelstaaten. Die Verwaltungskosten sind gestiegen in England.

Ernst-Günther Konrad | Sa., 6. Juli 2024 - 10:04

Ob das wirklich ein Aufbruch ist der Erlösung bringt bleibt erstmal abzuwarten. Denn in der Politik muss ein jeder wissen, dass vieles was von Vorgängerregierungen veranstaltet und zu verantworten ist, trotz bester Absichten, sich eben nicht mehr von heute auf Morgen ändern lassen kann. Auch wenn man es noch so mag. Nun, ob der neue PM auch auf der Beliebtheitsskala seines Landes ganz oben steht muss erstmal egal sein. Es wurde ein Politikwechsel gewählt und für den steht er. Was dabei herauskommt muss man abwarten. Es gelten auch hier die berühmten 100 Tage. Und wenn auch dieser Premier versagt, werden die Engländer ihn eben wieder abwählen. Damit haben sie Erfahrung. Inzwischen sammelt ein Nigel Farage weiter Stimmen. Nicht ganz unwichtig. Denn so einfach, wie man uns glauben machen will, dass sich die Engländer dirigieren lassen, ist es dann doch nicht.
Und den EU-Fans sei gesagt, diese neue Regierung heißt nicht, den Brexit aus dem Stehgreif rückgängig machen.

Henri Lassalle | Sa., 6. Juli 2024 - 13:37

DAbei dürfte es wohl eine grosse Hürde geben: Das Geld. Womit das Programm bezahlen?