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() Leo Kirch
Was macht eigentlich Leo Kirch?

Sein Leben bietet Stoff für viele Geschichten und setzt der Fantasie keine Grenzen: Der Sieg vor Gericht gegen Rolf Breuer und die Deutsche Bank könnte ein furioses Comeback einläuten.

Sein Imperium scheint verloren. Doch wer den Winzersohn kennt, der weiß, aufgegeben hat er nie. Und so fährt Leo Kirch, wie eh und je, Morgen für Morgen in sein Büro in der Münchner Kardinal-Faulhaber-Straße und kämpft und kämpft. Zuletzt seinen eigenen Erbfolgekrieg. Er spricht von „Schlachtung“ durch seine Hausbank, und also prozessiert er, obsiegt sogar – und grübelt nun mit den letzten Getreuen und seinem Sohn Peter. Topp oder Flop? Einerseits, they never come back. Andererseits, welche Verlockung, welch ultimativer Kick, es allen mit 79 Jahren noch einmal zu zeigen, sich mit der verurteilten Bank zu vergleichen, das Geld zu nehmen und zurückzukehren in „sein“ Haus. Der Gedanke mag fantastisch sein. Doch was ist in Kirchs Leben nicht fantastisch. Es bietet Stoff für viele Geschichten. Eine davon handelt von Rache, die ein alter Mann nimmt. Wer so gedemütigt worden ist, sein Lebenswerk verloren hat wie er, dem ist entweder ein für allemal das Rückgrat gebrochen, oder er will auch seinerseits die Gegner irgendwann einmal am Boden sehen. „Erschossen hat mich der Rolf“, hat Kirch den Aufsichtsratsvorsitzenden der Deutschen Bank, Rolf Breuer, angeklagt und persönlich haftbar gemacht vor Gericht. „Ich will Kompensation für das, was Herr Breuer an unternehmerischer Leistung zerstört hat.“ Kirch wird sie bekommen. Ebenso wird er dem Springer-Verlag nie nachsehen, dass der ihm Anfang 2002 in den Rücken gefallen ist, eine Option gezogen und damit die Insolvenz eingeleitet hat. Ein Drama. Indessen, wer Kirchs Kampf allein auf „Rache“ reduziert, macht es sich zu einfach. Hinter der Genugtuung, die sein Ego braucht wie das eines jeden Erfolgsmenschen, steckt auch patriarchalische Verantwortung für andere: „Von 11000 meiner Mitarbeiter sind 5000 entlassen worden“, hat Kirch nicht vergessen. Manchem von ihnen, der in Not war, hat er persönlich geholfen, manchem auch ohne Not und über die Maßen großzügig, bis zuletzt. Nie hat er dabei etwas von sich her gemacht, nie ist er auf den Gedanken gekommen, Öffentlichkeit zu suchen oder gar Triumph zu blasen. Ein Rührstück. Kirch treibe nicht zuletzt ein ausgeprägter Wille, dass „Gerechtigkeit“ geschehe, ist einer, der ihm nahe steht, überzeugt. Und meint das, wiewohl Jurist, nicht allein im Sinne staatlicher Justiz. Wer gegen die Deutsche Bank und Rolf Breuer sein Urteil erhalten hat, darf sich nicht beschweren, und wer einmal nach den Kartellgesetzen ausgebremst wurde, als er mit Bertelsmann und der Telekom in Deutschlands Kabelnetzen ein Quasi-Monopol etablieren wollte, soll nicht mehr nachkarten. Wohl aber darf Kirch sich von anderen persönlich reingelegt, getäuscht, betrogen, kurzum „ungerecht“ behandelt fühlen. Er hat als Kind, unter dem Kreuz, gelernt, was Recht und Anstand sind und „was man nicht tut“, ein für allemal. Dass sich immer weniger Mitmenschen daran halten und er selbst diese Realität nicht mehr sehen kann, weil er krankheitsbedingt schon lange keinem Gegenüber mehr in die Augen zu schauen vermag, macht seine Erfahrungen umso bitterer. Dieser Stoff eignete sich auch für eine Tragödie. Leo Kirch denkt in alttestamentarischen Dimensionen. Darum verfolgt er Rolf Breuer Aug’ um Aug’. Dass der, ob absichtlich oder nur geschwätzig, auch dem eigenen Ruf und dem seiner Bank geschadet hat, so sehr, dass ihnen heute jeder außergerichtliche Vergleich genehm sein muss, der weitere Schlagzeilen erspart: Ihm, Leo Kirch, soll es nur recht sein. Oder, noch einmal, der Springer-Verlag. Kam nicht von dort die Schützenhilfe beim Meuchelmord durch die Deutsche Bank? Haben nicht just seine Günstlinge ihm eiskalt das Lebenswerk entwunden? Kirch wird auch das nur für „gerecht“ halten, dass Springer mit dem Kirch-Erbe nicht glücklich wird und nach der gescheiterten Übernahme der ProSiebenSat.1-Gruppe nun gleichfalls angeschlagen ist, an seinem wichtigsten strategischen Ziel gescheitert: Einen Medienkonzern, der Printprodukte, Hörfunk, Fernsehen und digitale Märkte zusammenfasst, werden die in Berlin nicht mehr bauen. Die Springer AG wird ein Verlagshaus bleiben, in einem wachstumsschwachen Markt und ohne die Chancen crossmedialer Promotion. Der Konkurrent Bertelsmann hat die Herausforderung des „großen Leo“ abgewehrt, und er braucht auch die des „Möchtegern-Leo“ nicht mehr zu fürchten. Verzweifelt wie der Erlkönig ritt der Vorstandsvorsitzende zuletzt durch Nacht und Wind, aber in seinen Armen das Kind war tot. Auch Saban steht nun unter Druck. Die „Heuschrecken“, die sich ProSiebenSat.1 im Jahr 2003 einverleibt haben, sind längst wieder hungrig. Jetzt haben sie auch noch am Braten gerochen: 2,5 Milliarden Euro, eine Verdreifachung des Einstandspreises innerhalb von drei Jahren. Ihnen ist schnelles Geld versprochen, jetzt wollen sie es sehen. Doch Zeitdruck hilft nur dem, der kaufen will, nicht dem Verkäufer. Kirch hat dies lernen müssen, Saban lebt davon. Da mag er nun noch so sehr im Walde pfeifen, man sei doch „extrem zufrieden mit der Entwicklung von ProSiebenSat.1 und mit dem Investment“, und Konzernchef Guillaume de Posch noch so demonstrativ assistieren, die „eigene Kraft“ beschwören lassen, so viel wie Springer wird ihnen so schnell keiner wieder bieten. Schon gar nicht Kirch. Er weiß am besten, wie wenig die amerikanischen Investoren in die Substanz der Sendergruppe gesteckt haben, wie ausgepowert sie in Wahrheit ist, wie verbraucht sein alter Filmstock und wie nötig und kostenträchtig deshalb jede neue Perspektive. Kirch kennt auch all’ die Opfer und Verlierer, die seinen Lebensweg säumen und ihm auflauern werden, sollte er je wieder vorbeikommen. Dann werden sie ihm ihre alten Rechnungen, Ressentiments, Klagen und Anklagen wieder auftischen. Etwa die Nähe zum „System Kohl“. Hat der Kanzler nicht zu Amtszeiten bei der Telekom und bei der EU-Kommission für Kirch interveniert und nach seinem Ausscheiden für Beratungen 400000 Euro erhalten? Ist die britische Firma, an der sich sein Sohn Peter zur Hälfte beteiligt hatte, etwa nicht mit knapp 1,5 Millionen Euro beauftragt worden? Haben nicht auch seine Minister Waigel und Scholz und Bötsch und Schwarz-Schilling nach ihrer Entlassung in München beraten und kassiert? Und ist da nicht auch noch ein unaufgeklärter Rest in der CDU-Spendenaffäre? Überhaupt, hatte nicht der „große Leo“ schon ein verdammungswürdiges, weil konservatives Meinungskartell im Sinn, mit Silvio Berlusconi als Vorbild und Heinz-Klaus Mertes als Stichwortgeber „Zur Sache, Kanzler“? Schon hat sich Erwin Huber, neuerdings Bayerns Wirtschaftsminister, an die Spitze der Bewegung gesetzt. Eben noch dabei, ungefragt, aber mit Verve für Springer eine Ministererlaubnis einzuwerben, forciert Huber jetzt bayerische Medien- und Standortpolitik. „Bayern ist weltoffen, und die CSU sowieso“, lockt er internationale Geldgeber. Bedauert im selben Atemzug, dass in Deutschland „Bedenkenträger und Fallensteller“ zu viel Einfluss nähmen. Und beschließt seinen Rundlauf mit der Ankündigung zu prüfen, ob das Medien- und Kartellrecht für „heimische“ Medienunternehmen zu kompliziert und streng sei. Da könnte sich Kirch beinahe wieder eingeladen fühlen. Doch abermals wird er besser prüfen, ob der Minister seinen Worten überhaupt die Tat folgen lässt und wie lange er wohl dafür braucht, „nicht schnell und überstürzt“. Und dann könnte es sein, dass Kirch sich abwendet und in Wehmut alter „Spezln“ erinnert, auf die Verlass war, Strauß etwa oder auch Kohl, der sich an ein Wort noch hielt, wo es das Gesetz längst verbot. Schaue ich heute zurück mit dem Abstand vieler Jahre, die wir im gleichen Gewerbe, aber in verbissener Konkurrenz erlebt haben, hier ein Verteidiger des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und überzeugter Anhänger des dualen Systems, dort der drängende Herausforderer und Promoter kommerzieller Programme, so kann ich Leo Kirch meinen Respekt nicht versagen. Weit vor allen anderen, vielleicht zu früh, hatte er die Vision. Er hat sie gegen massive Widerstände realisiert. Er hat auf einem heiklen Markt Konkurrenz herbeigeführt, gewiss wider Willen müde gewordenen Platzhaltern wieder Beine gemacht und damit dazu beigetragen, dass das Publikum in Deutschland heute über ein weltweit einzigartiges Programmangebot verfügen kann. Dafür, dass er zuletzt, schlecht beraten, zu viel wollte, gleichsam „einer gegen alle“ spielte und alles verlor, ist er bitter abgestraft worden. Noch immer kämpft er, wie zeit seines Lebens. Träum ich, sehe ich ihn trotzig noch einmal wiederkommen. Wach ich, wünsche ich ihm seinen Frieden. Günther von Lojewski war langjähriger Intendant des SFB, ist Publizist und Honorarprofessor an der FU Berlin. Er leitet die Medienkommission des Deutschen Sportbundes.

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