- Der Sparer ist der Blöde – und jammert nicht mal
Warum regen sich die Menschen nicht auf, wenn das Ersparte keine Zinsen mehr abwirft? Das Vertrauen in den Fürsorgestaat ist anerzogen. In Deutschland wuchs man seit Jahrzehnten auf im Gefühl: Du wirst weich fallen. Jetzt wurde das „weich“ gestrichen. Ein Beitrag in Kooperation mit dem Tagesspiegel
Eben noch galten Aktien als etwas für Risikofreudige und eher Wohlhabende, die eine Fehlspekulation verschmerzen können. Für alle anderen galt: Lasst die Finger davon, es ist zu kompliziert, geht auf Nummer sicher, schließt Sparverträge ab oder Versicherungen. Geld sollte solide und sicher geparkt werden, dann war alles gut. Das ist offenbar vorbei. Mitten im Spiel wurden die Spielregeln einseitig geändert. Jetzt ist der anspruchslose Sicherheitssparer plötzlich der Depp und selbst schuld an seiner Misere.
Jetzt soll man Aktien kaufen – oder ein Häuschen
Tja, schallt es von überall her, was legt er sein irgendwie zusammengemausertes Geld auch feige und faul aufs Tagesgeldkonto oder kauft sich noch feiger und fauler eine Lebensversicherung? Also bitte! Kann er doch nicht machen, heißt es nun.
Soll er Aktien kaufen oder ein Häuschen, wenn er nicht blöd ist. Und er soll schon erst recht nicht herumjammern, wenn die durch Griechenlands Haushaltslügen und daran desinteressierte EU-Funktionäre ausgelöste Eurokrise und nachträgliche Rettungspolitik ihm dazwischenfunkt.
Wenn die Europäische Zentralbank die Zinsen dem Erdboden gleichmacht, so dass er seine Vorstellung vom irgendwie dezent mitwachsenden Geldhäufchen getrost beerdigen kann. Weil längst die Inflation auch seine Zinsen auffrisst, die Beträge also in Wahrheit schrumpfen. Und was passiert? Er jammert tatsächlich nicht. Das ist doch seltsam. Denn es sind vor allem die heute 40- bis 60-Jährigen, deren Sparguthaben, Lebensversicherungen, Betriebsrenten von den derzeitigen Entwicklungen und Entscheidungen betroffen sein werden. Die Älteren sind noch umfassend abgesichert, die Jüngeren haben mit so etwas gar nicht erst angefangen. Die Mehrheit der Bevölkerung also wird – auf Umwegen und in Mäuseschritten, aber dennoch – enteignet.
Und trotzdem: kein Aufschrei, keine Empörung, kein Aufstand. Schon das etappenweise Abrücken von diversen Rentenversprechen ging so ruhig über die Bühne. Immer noch ein bisschen weniger soll es geben für die künftigen Rentner, dafür dürfen sie jetzt länger arbeiten. Parallel dazu wurden gerade eben sinnlose Angebotserweiterungen für die Bald-Rentner beschlossen, um die kein Mensch jemals gebeten hatte, und die aus nahezu allen Richtungen kritisiert wurden. Davor noch hatte die Regierung selbst die Bürger aufgerufen, für ihr Alter selbst zusätzlich vorzusorgen. Hatte die Riester-Rente erfunden, die sich für viele als Flop erwies. Und nun die gesetzlichen Änderungen zum Nachteil der anderen Lebensversicherungsbesitzer und obendrauf eine Niedrigzinspolitik, von der es überall heißt, dass sich die vorerst nicht ändern werde. Also: Erst die Rente, die sicher sein sollte, es dann nicht ist.
Dann die private Altersversorgung, die helfen sollte, dies aber nicht wie geplant tun wird. Und bei all dem bleibt Stille über dem Land. Sie ist vielleicht mit der verzweifelten Hoffnung zu erklären, dass alles so schlimm doch nicht kommen wird. Es sind für die meisten noch ein paar Jahre bis zur Rente, bis zum ersten entsetzten Blick auf den Rentenbescheid, bis zur Fälligkeit der Lebensversicherung. Und ist es nicht egal, ob man bis dahin 30.000 oder 50.000 Euro beiseite legen konnte?
Freudlosigkeit statt ökonomische Eigeninitiative
Zur Abwendung von Altersarmut macht das keinen Unterschied. Das ist vielleicht fatalistisch, möglicherweise fahrlässig, aber vor allem ist es auch bequem. Wie ein Raucher raucht, obwohl er um die Risiken weiß, bleibt es beim grundsätzlichen Vertrauen in den fürsorglichen Staat. Die Regierenden werden schon noch einsehen, dass man den grundsoliden Sparern nicht einfach sagen kann: Euer Pech, werdet Aktionäre oder kauft Immobilien, wenn ihr später nicht nur Knäckebrot knuspern wollt, und dann werden die schlimmsten Regelungen sicher noch mal geändert. Dieses Vertrauen in die staatliche Fürsorge ist anerzogen.
Wie auf der anderen Seite auch die Freudlosigkeit, was ökonomische Initiativergreifung und Selbstsicherungsfragen angeht. Das würde der Staat für einen regeln, das war das Versprechen. Dass das Leben in dieser Hinsicht anstrengend sein würde, das stand nie auf dem Stundenplan. In Deutschland wächst man seit Jahrzehnten auf im Gefühl: Du wirst weich fallen. Jetzt wurde das „weich“ gestrichen. Wie also weiter? Die Zeitung „Finanztest“ schreibt: Wer Aktionär werden wolle, brauche ein Depot, einen fünfstelligen Betrag und einen Berater, dem er vertrauen könne. Der Staat ist das nicht mehr.
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