- Journalismus wird zur Charity-Veranstaltung
Forscher haben es vorhergesagt, mit dem Milliardendeal von Springer und Funke sickert es jetzt auch langsam in die deutschen Medien hinein: Der Recherchejournalismus ist ein Kostenfaktor und wird in Zukunft nur noch als schmückender Imagefaktor überleben
Vorhersagen in den Geistes- und Sozialwissenschaften sind allzu oft Kaffeesatzleserei. Manchmal aber treffen Forscher auch ins Schwarze.
Paris, 2010. Eine Insead-Studie zur Zukunft des Journalismus erwähnt erstmals ein Konkurrenzverhältnis zu Nichtregierungsorganisationen. Die Autoren Mark Lee Hunter und Luk van Wassenhove beschreiben, wie das investigative Modell – und damit echter Journalismus, wie wir ihn hier verstehen – zunehmend aus klassischen Medien verschwindet. Weil die Häuser mit sinkenden Einnahmen und Glaubwürdigkeitsverlusten kämpfen, wird immer mehr bei teurer und langwieriger Recherche gespart. Die Lücke besetzen spezialisierte Aktionsgruppen mit hohem Mobilisierungsgrad: sogenannte „Stakeholder-Medien“.
Ein Beispiel dafür ist die professionelle PR-Arbeit der Tierschutzorganisation Peta: 2012 schlichen sich Aktivisten mit Kameras in eine Hühnerfarm ein und enthüllten den Wiesenhof-Skandal. Die ARD bastelte aus dem Gratis-Filmmaterial anschließend eine Reportage – und verkaufte sie mit dem Etikett „exklusiv“ als Eigenrecherche.
„Investigatives Outsourcing“ nennen die Forscher diesen Prozess.
Auf diese Weise entsteht ein neues symbiotisches Verhältnis: Die traditionellen Medien sparen sich Investigativressorts, die Nichtregierungsorganisationen (NGOs) erhalten eine effektheischende Plattform für ihre PR. An Journalistenschulen geben Greenpeace-Aktivisten Nachhilfe in investigativer Recherche – übrigens schon seit Jahren, wie es aus der Pressestelle heißt. Während die „alten“ Watchdogs sich objektiv fühlten und einem breiten Publikum Ideen vermitteln wollten, sind die „neuen“ parteiisch, zielgruppenorientiert und rufen – eindeutig interessengeleitet – zum Handeln auf, machen das aber auch transparent.
New York, 2013. Am Tow Center for Digital Journalism prägen C.W. Anderson, Emily Bell und Clay Shirky den Begriff des „post-industriellen Journalismus“. Die Medienwelt, wie wir sie heute kennen, werde es bald nicht mehr geben; nur wenige überleben. Bei allen anderen: Konzentrationen, Outsourcing, der Tod ganzer Traditionshäuser. Zur Rettung preisen die Autoren Stiftungs- und Crowdsourcing-Modelle an. Die Forscher umschreiben nichts anderes als den Wandel einer profitablen Nachrichtenindustrie zum prekären Non-Profit-Sektor.
Es ist die These ihrer Insead-Kollegen, radikal zu Ende gedacht: Der Journalismus wird sich in der Verortung langfristig der modernen NGO angleichen.
Berlin, im Juli 2013. Mit einer schnöden Pressemitteilung verkündet die Axel Springer AG einen historischen Milliarden-Deal. Das Haus verkauft seine Regionalzeitungen sowie Frauen- und Rundfunktitel an die Funke-Gruppe.
Was aber hat die Meldung mit den beiden Studien zu tun?
Ganz einfach: Der klassische Nachrichtenjournalismus – also der nachfragende, recherchierende – ist ökonomisch unlukrativ. Er ist ein Verlustbringer, den man besser externalisiert. Die Springer-Strategen haben ihre eigenen Lehren aus den Studien gezogen. Den jahrzehntelangen Zukäufen (Konzentrationen) folgte nun das Outsourcing (der Verkauf). Jene traditionsreichen Blätter, in denen noch ab und zu recherchiert wurde – das Hamburger Abendblatt, das erste von Axel Springer gegründete Blatt, und die Berliner Morgenpost, zweitgrößte Regionalzeitung in der Hauptstadt – wurden amputiert.
Ein bisschen Investigativ-Journalismus betreibt Springer aber auch noch, und zwar bei der Welt. Das Blatt war dem Verleger Axel Springer persönlich wichtig, auch wenn es kaum je aus den roten Zahlen herauskam. Die Welt war insofern immer nur eine Charity-Veranstaltung.
Die Funke-Gruppe wird wohl weiter überleben, weil sie gnadenlos Redaktionen einschmilzt, hier und da Schleichwerbung betreibt, Recherche an Stakeholder auslagert, Inhalte von außen zukauft. So soll die Welt nicht nur Berliner Morgenpost und Hamburger Abendblatt beliefern, sondern einem Handelsblatt-Bericht zufolge auch alle anderen Funke-Titel.
Und wenn die bisherigen Springer-Titel Hörzu, TV Digital und Bild der Frau auf ihre Funke-Dupletten treffen, kommt für einige entweder der Exodus oder das Prinzip Aldi-Zulieferer: Identische Inhalte am Fließband produzieren und diese dann unterschiedlich verpacken – mal für den Premium-Markt, mal für den Discounter.
Journalismus ist ein meritorisches Gut, das heißt gesellschaftlich stärker erwünscht als privat nachgefragt. Von alleine ist er nicht marktfähig. Er muss quersubventioniert werden. Das funktionierte über Jahrhunderte, weil etwa eine Zeitung stets das (regionale) Monopol für das Herstellen von Öffentlichkeit hatte, welche die Anzeigenkunden dringend suchten. Die Werbung trug den Journalismus quasi Huckepack. Je besser eine Story, desto besser verkaufte sich die Zeitung, desto mehr lockte sie Werbekunden. Da lohnte es sich auch mal, in teure Recherchen zu investieren. Doch schon damals finanzierte sich das Produkt Zeitung überwiegend aus Anzeigen; die Verkaufserlöse deckten allenfalls die Druckkosten.
Mittlerweile geht Werbung aber auch ohne Journalismus – über soziale Netzwerke, Direktwerbung oder PR-Kampagnen lassen sich Botschaften viel effizienter an die Kunden transportieren als über die Medien. Dieser Trend besteht unabhängig von der Frage, ob Qualitätsjournalismus nun auf Papier oder Online vorzufinden sei.
Weil Journalismus ein Kostenfaktor ist, suchen Verlage in letzter Zeit immer häufiger in journalismusfremden Geschäftsfeldern ihr Heil. Alles wird versilbert: Der Spiegel wirbt mit Leserreisen, die Süddeutsche mit ihrer Bibliothek, der britische Guardian eröffnet ein Café. Hubert Burda steigerte 2012 dank Chappi den Umsatz: plus 13 Prozent mit Haustierbedarf (Zooplus) und Partnervermittlung (ElitePartner.de) auf knapp 2,5 Milliarden Euro – es blieb ein dreistelliger Millionengewinn. Noch sind Burdas Zeitschriften zwar rentabel, doch im Hause geht die Angst um, dass sich dass bald ändern könnte. Entgegen dem allgemeinen Wachstumstrend schrumpfte das Kerngeschäft mit den Zeitschriften 2012 um zwei Prozent.
Und das ist es auch, was hinter Springers vollmundiger Ankündigung steckt, „das führende digitale Medienunternehmen“ Deutschlands werden zu wollen. 2012 erzielte Springer im Netz mehr als eine Milliarde Euro Umsatz – und damit mehr als in jedem anderen Geschäftsbereich. Wobei der begriff „digitale Medien“ in die Irre führt: Denn Cash Cows waren nicht die publizistischen Angebote mit der dortigen Online-Werbung, sondern die zahlreichen Shopping- und Serviceportale wie immonet.de oder finanzen.net.
Journalismus könnte bald nur noch „nice to have“ sein.
Und was wird gegen diesen Trend geraten? Gebt das Objektivitätsdogma auf, werdet ehrlicher, transparenter, nehmt euch gern auch einmal einer Sache mit Leidenschaft an, brennt dafür, gebt Handlungsanweisungen. Sucht euch Nischen! So ähnlich lesen sich die Empfehlungen von Branchenexperten. Nicht anders beschreiben Mark Lee Hunter und Luk van Wassenhove übrigens ihre Stakeholder-Medien.
Liegt die Zukunft des Watchdog-Journalismus also überwiegend in Stiftungsmodellen und Mäzenatentum?
Firmen wie Bertelsmann, BMW oder dm machen es vor: Vermögen in Stiftungs-Engagement, Nachhaltigkeit oder faire Arbeitsbedingungen zu investieren, bringt zwar keine unmittelbare Rendite, hilft aber, langfristig ein besseres Image aufzubauen. Das ist unter dem Schlagwort „Corporate Social Responsibility“ (CSR) mittlerweile Bestandteil jedes Management-Seminars.
Wenn die Förderung von Recherchejournalismus demnächst ein neuer Punkt auf diesem CSR-Kanon würde, könnte es vielleicht doch noch Hoffnung geben.
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