- „Die Angst vor dem Chlorhühnchen ist unsachlich“
Die Grünen machen viel Stimmung gegen TTIP. Ihr wirtschaftspolitischer Sprecher Dieter Janecek bekennt sich trotzdem zur transatlantischen Freihandelszone
Die Grünen unterstützen die Kampagne “Stopp TTIP”. Die EU-Kommission weist allerdings viele der Einwände als schlicht falsch zurück. Reiten die Grünen in der TTIP-Debatte ein wenig auf der Welle des Populismus?
[[{"fid":"64056","view_mode":"full","type":"media","attributes":{"height":1098,"width":750,"style":"width: 140px; height: 205px; margin: 5px; float: left;","class":"media-element file-full"}}]]Dieter Janecek: Also zunächst einmal rechtfertigt die jüngere Geschichte des Freihandels eine gesunde Skepsis gegenüber neuen Freihandelsabkommen. Denken Sie zum Beispiel an frühere Liberalisierungen der Agrarmärkte zu Lasten von Entwicklungsländern. Aber sicher, auch wir Grüne müssen prüfen: wie valide ist unsere Kritik?
Nehmen wir das amerikanische “Chlorhühnchen”. Laut Kritikern könnte es mit TTIP seinen Weg in die EU finden. Selbst wenn das so wäre - TTIP würde niemanden zwingen, mit Chlor desinfizierte US-Hühnchen zu essen...
Die Angst vor dem Chlorhühnchen finde ich auch unsachlich - vor allem wenn europäische Antibiotika-Hühnchen die Alternative sind. Die Amerikaner machen auch mitnichten alles schlimmer als wir Europäer. Den Finanzmarkt regulieren sie besser. Für Antiamerikanismus ist in dieser Debatte kein Platz. Aber die Populismus-Frage muss sich an beide Seiten richten. So preisen Befürworter die wirtschaftlichen Vorteile durch TTIP mit recht waghalsigen Prognosen und verharmlosen die Risiken. Auch müssen wir sehen: Ohne die massive Kritik hätte TTIP nicht die öffentliche Debatte bekommen, die es angesichts seiner Tragweite verdient. Nur deshalb muss sich die EU-Kommission jetzt rechtfertigen und beim ganzen Prozess nachbessern.
Welche Kritik ist denn sachlich?
Es gibt definitiv Bereiche in der EU wie z.B. die Kulturwirtschaft, die wir nicht einem verschärften Freihandel mit den USA aussetzen wollen, weil schlicht die Rahmenbedingungen völlig unterschiedlich sind. Oder nehmen Sie den Investorenschutz. Es steht im Raum, dass Konzerne über private Schiedsgerichte gegen Staaten vorgehen, deren Gesetzgebung ihnen nicht passt. Das kann nicht in unserem Interesse sein!
TTIP-Gegner verweisen hier auf zahlreiche Streitigkeiten zwischen Unternehmen und Staaten. Sie unterschlagen bei vielen Beispielen allerdings, dass noch gar kein Schiedsspruch zugunsten der Unternehmen gefallen ist...
Es gibt besorgniserregende Fälle. So werden etwa dem Energiekonzern Vattenfall gute Chancen eingeräumt, mit seiner aktuellen Klage gegen den deutschen Atomausstieg vor einem Schiedsgericht in Washington Erfolg zu haben.
Was haben Sie eigentlich gegen einen Investitionsschutz, der sich über Jahrzehnte bewährt hat?
Sie haben Recht, dass insbesondere das exportstarke Deutschland und die EU bislang weltweit als starke Verfechter eines strikten Investitionsschutzes aufgetreten sind. Das erschwert die Debatte mit unseren Partnern. Trotzdem bleibt die grundsätzliche Frage: Warum sollen Konzerne überhaupt rechtsstaatliche Systeme in der EU und den USA mit Schiedsgerichten umgehen dürfen? Es kann nicht in unserem Sinne sein, die Schleusen dafür zu öffnen, dass eine Heerschar gut bezahlter Juristen mit allen Tricks und Finessen Konzerninteressen gegen Staaten durchsetzt und im Gegenzug das Bürgerinteresse auf der Strecke bleibt. Jede Regelung muss da absolut hieb- und stichfest sein. Bislang konnten unsere Bedenken gegen den geplanten Investitionsschutz nicht ausgeräumt werden. Auch das vorliegende Investitionsschutzmodell im Abkommen mit Kanada (CETA) überzeugt uns trotz leichter Fortschritte nicht. Anders als die Bundesregierung.
Die Grünen wirken oft wie die größten TTIP-Gegner. Tatsächlich aber sind Sie für TTIP. Es soll nur grüner sein... ...
Ich bin für die Idee, die transatlantische Wirtschafts- und Wertegemeinschaft zu stärken. Gerade deshalb lehne ich genauso wie meine Partei den bisherigen Verhandlungsansatz ab. Er ist einfach zu eng gefasst. Allerdings stoße ich zunehmend auf Gehör, wenn ich dafür werbe, nicht nur über die Risiken zu reden, sondern auch über Chancen. Mit einer grünen Agenda für den Freihandel könnten EU und USA neue Standards setzen, die weltweit ihre Wirkung entfalten. Wer für Klimaschutz, eine nachhaltige Wirtschaft und die Ressourcenwende kämpft, muss versuchen, auf die Freihandelsagenda Einfluss zu nehmen. Wenn wir für mehr Markt und fairen Handel werben, warum bauen wir dann nicht unsere Subventionen für fossile Energieträger ab, die dramatisch den Wettbewerb verzerren? Da geht es um rund 500 Milliarden US-Dollar pro Jahr. Oder setzen wir mit TTIP ein Zeichen gegen Abschottung und vereinbaren die notwendige Öffnung unserer Märkte für Schwellen- und Entwicklungsländer?
Vielleicht ist es illusorisch, die USA via TTIP zu einer grünen Wende zwingen zu wollen?
Sie unterschätzen die Amerikaner. Nachhaltigkeit, erneuerbare Energien und Energieeffizienz sind unser gemeinsames, transatlantisches Anliegen. Das habe ich auch dem US-Botschafter gesagt. Die US-Umweltbehörde hat längst begonnen, strengere Standards z.B. für Verbrauchsgrenzen bei PKWs zu setzen. Auch bei den Klimazielen nähern wir uns an, wie die jüngste gemeinsame Erklärung von Barack Obama zusammen mit dem chinesischen Ministerpräsidenten gezeigt hat. Das gibt erstmal Hoffnung. Natürlich gibt es Widerstand der Öl- oder Gas-Lobby. Aber die müssen jetzt auch mit massivem Widerstand aus der Zivilgesellschaft rechnen, wenn bei TTIP grüne und soziale Standards keine Rolle spielen.
Für eine Änderung der Verhandlungsziele ist es nun zu spät. Deutschland hat das Verhandlungsmandat mit den anderen EU-Staaten 2013 beschlossen. Zunächst waren die Ziele sogar geheim. Ist das Politik-Format Freihandelsabkommen an sich schon undemokratisch?
Freihandelspolitik muss von Beginn an offen für alle sein. Bisher hatten Wirtschaftsvertreter in den Vorbereitungen solcher Abkommen viel mehr Einfluss als NGOs der Zivilgesellschaft. So kann einfach kein Vertrauen entstehen. Die Wirtschaft hat schon finanziell viel mehr Ressourcen, um sich frühzeitig einzubringen. Da muss es künftig Waffengleichheit geben. Aber es gibt auch einen prinzipiellen Denkfehler: ein Freihandelsabkommen ist keine reine Industriepolitik. Es hat potenziell Auswirkungen auf die kommunale Daseinsvorsorge, auf soziale und ökologische Standards. All das muss vorher mit der Gesellschaft diskutiert werden, und nicht so nebenbei. Ein Stück weit kann ich diesen Denkfehler aber auch verstehen. Bislang funktionierte es ja auch gut, Handelsabkommen einfach hinter verschlossenen Türen auszumachen. Die breite Öffentlichkeit interessierte sich nicht dafür. Wer weiß schon, dass die EU 2011 ein umfassendes Abkommen mit Südkorea ratifiziert hat?
Nun wird TTIP seit vielen Monaten ausgiebig diskutiert. Die EU-Kommission hält die Zivilgesellschaft inzwischen über die Verhandlungen auf dem Laufenden und beteiligt sich auch an Diskussionsforen wie dem Europäischen Salon. Ist TTIP nicht auch ein Gewinn für die Demokratie?
Die neuen Stakeholder-Treffen und Foren sind ja aus der Not geboren. Erst in dem Moment, wo die öffentliche Kritik sehr stark wurde, hat die Kommission reagiert und den Prozess auch für die Zivilgesellschaft geöffnet. Das ist natürlich ein schöner Erfolg für die Demokratie. Aber diese Lehre sollte auch nachhaltig gezogen werden.
Erleben wir in der TTIP-Debatte auch eine europäische Öffentlichkeit?
Ich sehe immer noch eher Teilöffentlichkeiten. Das liegt auch daran, dass die EU-Staaten unterschiedlich von TTIP betroffen wären. Für den Exportweltmeister Deutschland ist das Interesse klar. Für Länder mit geringer Exportorientierung und einem schwächeren Binnenmarkt wie Rumänien oder Griechenland eher weniger. Auch haben wir in EU-Staaten keine so stark organisierte Zivilgesellschaft, die sich mit den Risiken des Freihandels beschäftigt. Denken sie nur aktuell an Ungarn oder auch Bulgarien. Andere Themen sind dort in der öffentlichen Diskussion präsenter.
Man könnte auch hinterfragen, wie repräsentativ die lautstarke, deutschsprachige Zivilgesellschaft eigentlich ist. Der frühere EU-Handelskommissar Karel de Gucht sagte zu einer Online-Petition von Campact: „Was sind schon 500.000 Unterschriften? Wir machen Politik für 500 Millionen Menschen in Europa”...
Naja, mehr als eine halbe Million Unterschriften sind schon eine Hausnummer. Hätte die Kommission eine europäische Bürgerinitiative gegen TTIP zugelassen, wären EU-weit locker eine Million zusammengekommen. Als EU-Kommissar sollte ich mich lieber fragen: Was wollen eigentlich die vielen TTIP-Gegner?
Besteht nicht gerade im Fall TTIP die Gefahr, dass sich ein oft unsachlicher Online-Alarmismus immer weiter abnutzt? Die Politik könnte all die Online-Petitionen irgendwann gar nicht mehr ernst nehmen...
In der Tat ist Masse nicht zwingend klasse und nicht jede Online-Abstimmung per se ein Gewinn für die Demokratie. Für unseren grünen Bundesparteitag haben wir 600 Änderungsanträge reinbekommen, was für die Antragskommission kaum noch zu bewältigen ist. Das liegt auch daran, dass die Schwelle zur Beteiligung online so niedrig wie nie zuvor ist. Letztlich geht es immer um stichhaltige Argumente, nicht um die Lautstärke. Was mich immer noch am meisten beeindruckt, sind Menschen, die für ihre Sache auf die Straße gehen. Denken Sie an die mehr als 10.000 Menschen, die bei Eiseskälte in München gegen ACTA protestierten.
Glauben Sie, TTIP scheitert so wie ACTA am starken Protest aus der Zivilgesellschaft?
Noch sind wir nicht so weit. Aber ich beobachte, dass es im Lager der TTIP-Befürworter viel Verunsicherung gibt, und die Einsicht in die Notwendigkeit, auf Kritik und Forderungen einzugehen. Nur so kann das Abkommen mehrheitsfähig werden. Ich will, dass ein grünes TTIP am Ende zum Abschluss kommt. Egal wie naiv das zum jetzigen Zeitpunkt klingen mag.
Das ist jetzt nicht das Erste, was man von grünen TTIP-Gegnern sonst zu hören bekommt...
Von mir aber schon.
Warum ist Ihnen TTIP so wichtig?
Die Gespräche zum Freihandel im Rahmen der Welthandelsorganisation kommen nicht voran. Aber wir können nicht einfach warten. Die globale Wirtschaft verändert sich. Allein die Digitalisierung wirft alles durcheinander. Wir müssen jetzt gute ökologische und soziale Standards setzen. Der Einfluss eines alternden Europas wird in einer rasant wachsenden Globalökonomie sicher nicht zunehmen. Ein gelungenes Abkommen mit den USA wäre auch gegenüber China und dem transpazifischen Raum ein wichtiges Zeichen.
Das Interview führten Stephanie Goebel und Alexander Wragge.
Das Interview entstand im Vorfeld des Europäischen Salons zum Thema "Auf dem Weg zur transatlantischen Wirtschaftsgemeinschaft mit TTIP?", der am 20. November um 18:00 Uhr in der Vertretung des Saarlandes beim Bund in Berlin stattfindet. Die Veranstaltung ist öffentlich. Anmeldungen sind über v.sabelski@fu-berlin.de möglich. Auf der Seite salon.publixphere.de können die Thesen Dieter Janeceks sowie der weiteren Podiumsgäste bereits im Vorfeld der Veranstaltung diskutiert werden. Die Ergebnisse der Onlinediskussion fließen in die Veranstaltung ein. Der Europäische Salon ist eine von der Robert Bosch Stiftung geförderte Veranstaltungsreihe, durchgeführt vom Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Europarecht von Prof. Dr. Christian Calliess, LL.M., Freie Universität Berlin.
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