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Transparenz - Was Alice Schwarzer von deutschen Bauern lernen kann

Früher waren die Ställe verriegelt, damit der Nachbar nicht sieht, wie viele Kühe drin stehen. Heute setzt sich das Prinzip des Offenen Stalls langsam durch. Daran sollten sich Alice Schwarzer und Konsorten ein Beispiel nehmen

Autoreninfo

Marie Amrhein ist freie Journalistin und lebt mit Töchtern und Mann in der Lüneburger Heide.

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Misstrauen, Trotz, Wut und verletzter Stolz schwelt beim Treffen der Bauernvereinigung im niedersächsischen Nenndorf. Die Vorwürfe, die Bevölkerung und Medienvertreter gegenüber deutschen Landwirten formulieren, wiegen schwer. Von den „sieben Sünden der Bauern“ sinnierte kürzlich das Hamburger Abendblatt.

Zu wenig öko, zu viel Profitdenken warf man ihnen mal wieder vor und im Gasthaus sind sich die Kuh-, Schweine- und Ackerbauern einig, dass man so etwas „in Zukunft nicht mehr lesen“ wolle. Solche Artikel seien Schuld an der agrarfeindlichen Stimmung. Und dabei gebe es doch ohne sie selbst weder Kartoffeln, noch Kohlrabi oder Kabanossi.

299.100 bäuerliche Betriebe gab es im Jahr 2010 in Deutschland, zählte das Statistische Bundesamt. Das waren 22.500 weniger als noch drei Jahre zuvor. Die bröckelnde Gruppe der Bauern muss sich in einem Markt behaupten, der schizophrener nicht sein könnte: Billig und gut sollen die Produkte sein, moralisch einwandfrei hergestellt, aber zu jeder Jahreszeit verfügbar.

Die Tomate liegt als glänzendes High-End-Produkt in der Waagschale des Biomarktes, aber der Bauer, der sie erntet, hat nun einmal Dreck am Stiefel. Die Berührungspunkte der Städter mit der Denke der Bauern sind rar. Auf einer Party wird vielleicht über den ethischen Aspekt von Genmaisanbau diskutiert, aber doch nicht darüber, wie saurer Boden richtig durch Kalk oder Stickstoff gedüngt werden könnte. So zumindest war mein Eindruck in der Stadt.

Deswegen wundere ich mich seit meinem Umzug aufs Land immer wieder darüber, wie viele meiner Freunde und Bekannten Ahnung von der Landwirtschaft haben. Wie viele schon einmal beim Opa Trecker gefahren sind und sich daran erinnern, was es bedeutet, wenn der Bauer acht mal am Tag mit matschigen Schuhen durch die Küche stolpert und die Bauersfrau seufzend mit dem Besen hinterherfegt.

Eine dieser Großstädterinnen, die seit Jahrzehnten in Berlin leben, erinnerte sich beim vergangenen Besuch daran, dass es in ihrer Kindheit im oberpfälzischen Land ungewöhnlich war, einen Nachbarn in seinen Stall zu laden. Es war ein gut gehütetes Geheimnis, wie viele Kühe der Bauer in seinen Boxen stehen hatte. Denn wer das wusste, hatte quasi Einblick in die Finanzen des jeweiligen Landwirts, nach dem Motto: Sag mir, wie viele Kühe du im Stall hast und ich sag dir, wie viele Steuern zu zahlst.

Sie wunderte sich darüber, dass wir heute freimütig in die Nachbarställe geladen werden, zum Kuhbauern, bei dem rund 50 Tiere stehen oder zur Schafszüchterin mit ihren 13 Lämmern, die gerade blökend um ihre Mütter herumkugeln. Auch auf dem Treffen der Bauernvereinigung lautet der wichtigste Ratschlag des Referenten und PR-Strategen Dirk Gieschen an die wütenden Bauern: „Eure Kritiker könnt ihr nur durch Offenheit besiegen.“

Die Bauern sollten ihre Tore öffnen, für die Nachbarn, für die Verbraucher, für die unwissenden Städter. Denn Transparenz schafft Vertrauen. Und Vertrauen wiederum ist das wichtigste, das wir Menschen haben, um ein gesundes Miteinander zu leben. Die Bauern haben es nötig, das Vertrauen. Und darum reagieren sie jetzt.

Dabei ist diese Methode den meisten deutschen Städtern offenbar noch ziemlich fremd. Während in Schweden nach dem Öffentlichkeitsprinzip von 1766 jeder Einzelne die Steuerzahlungen seines Nachbarn überprüfen kann, könnte man sich bei uns vielleicht einmal an den Landwirten ein Beispiel nehmen. Auf ihren Höfen nämlich finden geradezu fortschrittliche Umwälzungen statt. Weitaus fortschrittlicher in jedem Fall als dies bei der Steuerhinterzieherin Alice Schwarzer der Fall ist, die einst in rauer Vorzeit als Vorkämpferin in Sachen Gerechtigkeit galt.

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