- „Kauf dir den Lambo! Ersauf dich im Pool!“
Kaum eine deutschsprachige Band ist so populär wie Bilderbuch aus Österreich. Sie spielen auf den großen Festivals in Deutschland und der Schweiz, Kritiker sind sich einig: das ist sexy Pop. Warum? Weil Bilderbuch unkorrekt sind und gewagte Collage betreiben – in allen Bereichen
Als der gelbe Lamborghini ganz still da in Österreich steht, zittert der Drehzahlmesser der deutschsprachigen Popwelt am Anschlag. „Maschin“ heißt das Musikvideo der Band Bilderbuch, in dem Sänger Maurice Ernst mit gelben Handschuhen sachte über die Karosserie des Sportwagens streicht, den Sitz vor- und zurückfährt. „Steig jetzt in mein, steig jetzt in mein Auto ein!“, tropft frivol aus seinem Mund. Auf Youtube wird das Video zum Hit. Nach wenigen Monaten eine halbe Million, nach gut anderthalb Jahren 2,3 Millionen Klicks. Kurz nach dem Video erscheint die EP „Feinste Seide“, auf die Feuilletonisten wie Popkritiker Lobeshymnen schreiben.
Sneakers statt Indie-Schuhen
„'Seide', das strahlt etwas Altes aus. Sie ist ein Luxus-Artikel, hat aber auch etwas mit 'leichtbekleidet' zu tun“, sagt Maurice Ernst gegenüber Cicero. Bilderbuch spielen mit Klischees, mit verführerischer Symbolik und Dekadenz – egal, ob es goldene Jacken sind, in die sich die Bandmitglieder hüllen, oder es der gelbe Lamborghini ist. „Wir sagen nicht: das und das ist schlecht. Wir sagen: Komm, kauf dir den Lambo! Ersauf dich im Pool! Komm zu uns, lass uns mit'nander untergehen!“
Diese zur Schau gestellte Selbstsicherheit musste sich die Band erst erarbeiten. Vor rund zehn Jahren gründeten sich Bilderbuch an einer oberösterreichischen Klosterschule, wo sie zunächst Kindergeschichten vertonten. Nach und nach erspielten sie sich einen Namen als Talente der österreichischen Indie-Szene. Dieser Begriff, so Ernst, hafte nach einer so langen Bandgeschichte fast wie Dreck an den Schuhen, welche damals noch Genre-konform in passendem Braun zu den Röhrenhosen und Lederjacken getragen wurden.
Als der Hip-Hop-Drummer Philipp Scheibl 2012 zur Band stieß, streiften sie den Dreck gleich samt Schuhen ab – und zogen sich neue an. Jetzt springen sie in nicht mehr sauberen Sneakers, die nach Neunziger-Jahre-Hip-Hop aussehen, über die Bühnen in ausverkauften Clubs in Deutschland und auf Festivals in der Schweiz. Mit ihrem kürzlich erschienen Album „Schick Schock“ standen sie neun Wochen an der Spitze der österreichischen Charts.
Marilyn Manson, Lady Gaga, Bilderbuch?
Bilderbuch sind, da sind sich nahezu alle Kritiker einig, sexy. Mission erfüllt. Denn die Wahlwiener wollten dieses Adjektiv wieder für den deutschsprachigen Pop nutzbar machen. „Sexiness entsteht, wo man mutig ist, wenn man sich was traut“, sagt Ernst. Die Texte pendeln zwischen der chaotischen Hip-Hop-Truppe Deichkind, entstelltem Schlager, zwischen Strand-Hit und lautmalerischer Lyrik. Bilderbuch nehmen Versatzstücke unterschiedlicher Genres und verlöten sie. Tanzbarer Indie vermischt sich mit Funk und RnB einer Beyonce Knowles. Ernsts Stimme stolpert in Falsett-Höhen, wird hie und da brachial mit der verpönten Auto-Tune-Korrektur verzerrt, die ihn wie einen Roboter klingen lässt.
Ernst findet den Begriff „Art-Pop“ passend für diese Musik. Es ist wohl wieder eines dieser unzähligen Zitate. Denn diesen Namen trug das vorletzte Album von Lady Gaga, die Auftritt, Aussehen und Musik zu einem einheitlichen Konzept verschmolz, wie es nur Marilyn Manson zuvor geschafft hatte.
„Konzept“ klingt Ernst zu sehr nach „Korsett“. Für ihn und die Band bilden Musik und Aussehen eine natürliche Einheit: Man macht Musik und kleidet sich, wie man sich fühlt. Ihre Klamotten kaufen die Jungs in Second-Hand-Läden oder bekommen sie von ihren Großeltern. Untereinander wird getauscht. Dem musikalischen Crossover entspricht das modische Sampling.
Über die offenen Jacken und Blousons der Bilderbuch-Jungs jagen Tiger und flattern geflügelte Dollar-Zeichen. Ihre verwaschenen T-Shirts, auf denen sich mal große Chanel-Ringe ineinander haken, hängen über Jogginghosen, deren Farbgebung an den Tumult in Alice im Wunderland erinnert. Samtig schimmern Sweatshirts zu grauen Bügelfaltenhosen.
Goldketterl und Prince
„Wir mixen Dinge, die eigentlich nicht zusammenpassen. Erst, wenn man einen Meter zurücktritt und sich Zeit nimmt, nochmal hinzuschauen, ergibt sich das Gesamtbild. Im Expressionismus macht ein rosa Himmel ja auch nur Sinn, wenn die Erde blau ist“, erklärt Ernst, der für seinen Kleidungsstil sogar von GQ zum bestangezogenen Österreicher dieses Jahres gewählt wurde. Er trägt einen goldenen Porsche-Stecker aus Kindergarten-Zeiten im Ohr, der aus seiner Heino-blonden Frisur spitzelt. Das „Goldketterl“, das sein Vater einst von der Oma zum Abschluss der Elektriker-Ausbildung bekommen hatte, baumelt stolz über seinen bunten, zugeknöpften Kastenhemden.
Wenn man dem Vorschlag des 26-Jährigen nachkommt, dann öffnet sich das zugeknöpfte Hemd bis zum Bauchnabel. Dann verfängt sich eine dicke Goldkette in dicht hervorquellendem, tiefschwarzem Brusthaar. Dann addieren sich platte Sätze wie „Ich bin wieder da. Für mich ein Croissant mit Marmelad. Sie sagt: Mmhh, Naja, Aha“ wie im Lied „Feinste Seide“ zu einem Groove, der von einer lasziven Gitarre angeheizt an den Funk-Musiker Prince erinnert. Dann ist da diese Sexiness, von der alle sprechen, wenn sie Bilderbuch beschreiben.
„Der Zufall schafft die Inspiration“
Dagegen war der deutschsprachige Pop lange geradezu asexuell. Besonders deutsche Bands sind sehr korrekt. Bilderbuch lehnen sich dagegen, wie Ernst sagt, aus dem Fenster. Im Titel-Song des Albums fordert er keck: „Du bist hinter meinem Hintern her! Sag es laut, jaul es raus, gib es zu!“ Fürs Karma braucht man laut Bilderbuch „Rum Kokos“. Wegen ihrer ironischen Selbstherrlichkeit und ihrer Lust am Entertainment setzt man die Band immer wieder zu Falco in Bezug. Da auch hier die Ironie nicht enden darf, sind die Texte gespickt mit Zitaten des Austropop-Übervaters. Diese Bezugnahme verwischen die vier Österreicher, indem sie sich quasi zu allem in Verbindung setzen. Da ploppt ein Satz des österreichischen Liedermachers Rainhard Fendrich auf, hier ein Zitat von den US-Rockern Guns N' Roses.
Es ist das, was Sänger Maurice Ernst mit goldenen Kopfhörern täglich aus seinem Smartphone zapft. „Ich höre alles zu jeder Zeit. Der Zufall schafft die Inspiration. Wenn man dies dann ordnet, kann man bewusst entscheiden und auswählen.“
Dass man damit auch mal daneben greifen kann, ist für Bilderbuch kein Problem. „Man sieht, dass wir Seiltänzer sind. Es ist okay, dass es auch mal wackelt.“ Wenn der Hintern dabei mitschwingt, wird die deutsche Pop-Welt sicher noch weiter gern dabei zusehen.
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