- Reporter im Bordell, aber nicht zum Recherchieren
Luxusreisen, Opernbälle, Puffbesuche: Journalisten sind laut einer Studie äußerst anfällig für Bestechung. Die Medien – aus Sicht der Deutschen die drittkorrupteste Branche überhaupt – sehen bislang wenig Anlass, da mal nachzubohren
Neulich bat mich der Apollo-Optiker meines Vertrauens um meinem Presseausweis. Ich war verwirrt: Normalerweise werde ich bei Kassiervorgängen nach der EC- oder Kreditkarte gefragt. Der Optiker verwies auf den Rabatt für Journalisten. Und er schaute ungläubig: Ich sei Journalistin, seit mehr als zehn Jahren treue Kundin – und wisse nichts davon? Die Verkäuferin neben ihm grinste.
Um mir nicht noch mehr Kopfschütteln einzuhandeln, willigte ich in den Rabatt ein.
Doch damit hatte ich mich genau jener Missetat schuldig gemacht, die Transparency International, Netzwerk Recherche, die TU Dortmund und die Otto-Brenner-Stiftung in dieser Woche zu Recht moniert haben: Ich hatte eine Gefälligkeit angenommen.
Auch wenn sich das Beispiel kaum für einen Skandal eignet, die Kurzstudie „Gefallen an Gefälligkeiten – Journalismus und Korruption“ tut es ganz gewiss. Darin geht es um Beispiele von Bestechlichkeit, die geeignet sind, den journalistischen Auftrag zu unterwandern. Das Perfide: Gerade jene Berufsgruppe, die immer als erste dabei ist, den Finger auf andere zu richten, ist besonders uneinsichtig, wenn es um eigene Verfehlungen geht.
Besonders anfällig sind demnach Wirtschafts-, insbesondere aber Reise- und Autojournalisten. Die Beispiele in der Studie sind erschreckend. Der Fahrzeughersteller Mazda etwa veranstaltete drei bis vier luxuriöse Presse-Events im Jahr – Gesamtetat: bis zu 16 Millionen Euro. Eine Testfahrt führte ausgewählte Journalisten mit ihren Ehefrauen zum Wiener Opernball. Den maßgeschneiderten Frack für 4.000 Euro gab es gratis dazu. Auch Bordellbesuche, heißt es, „seien zuweilen vom Pressechef übernommen worden“.
Oder Volkswagen: 2008 lud der Wolfsburger Konzern 30 deutsche Journalisten zu einer Olympia-Sause nach Peking – Kostenpunkt 25.000 Euro pro Person. VW zahlte bereitwillig, um das negative Image, das sich aufgrund der Proteste in Tibet gegen die Olympischen Spiele eingestellt hatte, zu korrigieren.
Unvergleichlich jedoch ist das Ferienprogramm, das ThyssenKrupp einigen Journalisten angedeihen ließ. Chinareisen im Privatjet, eine Luxus-Lodge in Südafrika: Es war ein perfides Netzwerk aus Geschenken, Vorteilen und Top-Interviews an Günstlinge, das PR- und Compliance-Vorstand Jürgen Claassen gesponnen hatte. Vertreter von Süddeutsche Zeitung, Frankfurter Allgemeine, Rheinische Post und Tagesspiegel griffen gerne zu.
Von Unrechtsbewusstsein keine Spur. Jörg Eigendorf, der den Thyssen-Vorfall für die Welt recherchiert hatte, sagte auf der Jahreskonferenz von Netzwerk Recherche in Hamburg im Juni: Die Journalisten hätten sich gewundert, dass er überhaupt über den Fall berichten wolle. Sein SZ-Kollege Hans Leyendecker ergänzte: Journalismus sei einer der letzten gesellschaftlichen Bereiche, in den die Korruptionsbekämpfung noch nicht vorgedrungen sei.
Wie richtig er damit lag, zeigte sich drei Wochen später bei der Vorstellung des Korruptionsbarometers 2013 von Transparency International. Demnach nehmen die Deutschen die Medien als drittkorruptesten Sektor wahr – gleich nach den politischen Parteien und der Privatwirtschaft. Mit der Schulnote 3,6 wurden die Medien erstmals sogar noch schlechter als die öffentliche Verwaltung und das Parlament (je 3,4) bewertet. Die Leser haben also ein verblüffend feines Gespür für die Realitäten der Branche. Transparency-Vorsitzende Edda Müller nannte das ein „alarmierendes Zeichen“. Sie forderte eine Diskussion über die Unabhängigkeit und Qualität der Medien.
Dumm nur: Für eine solche Diskussion braucht man die Medien als Multiplikatoren.
Während der Podiumsveranstaltung über Medienkorruption in Hamburg war der Saal bis an den Rand mit Journalisten gefüllt. Trotzdem drangen die erstaunlichen Zitate von Eigendorf und Leyendecker nicht an die Öffentlichkeit. Warum eigentlich? Man stelle sich vor, ein Pharmavertreter würde seine Industrie als korrupt bezeichnen. Oder ein FDP-Vorstand seine Partei. Wäre das nicht jedem Journalist eine Nachricht wert? Und warum erinnert sich eigentlich jeder Deutsche an die legendäre Prostitutions-Party der Ergo-Versicherung, niemand aber an die Bordellbesuche von Mazda-Reportern?
Ganz einfach: Einige Medien scheinen über Themen, die sie selbst betreffen, eine Art Nachrichtensperre zu verhängen. Man mahnt lautstark ein Gesetz gegen die Abgeordnetenbestechung an, aber wenn es um die Verfehlungen der eigenen Zunft geht, wird relativiert und verharmlost. Oder man verbannt die Tatsachen zu einer Randnotiz, wie es die Süddeutsche Zeitung am Mittwoch vormachte: Die Studie über die Bestechlichkeit – in der die SZ pikanterweise auch kritisiert wurde – landete als Mini-Einspalter auf der vorletzten, 31. Seite.
Natascha Tschernoster, Journalistik-Diplomandin der TU Dortmund, hat in der Kurzstudie einige Compliance-Richtlinien vorgestellt, über die sich diskutieren ließe. Große Medienhäuser sollten sich zur Korruptionsprävention nicht nur einen schriftlichen, an den Arbeitsvertrag gekoppelten Kodex geben, sondern auch einen Verantwortlichen für diese Aufgabe benennen. Auch ein System der Mitarbeiter-Rotation an empfindlichen Stellen könnte helfen. Insgesamt listet sie 42 Punkte für eine konsequente Antikorruptionspolitik auf.
Auf den Einwand einer Journalistin, dass sich immer weniger Häuser teure Recherchereisen leisten könnten, entgegnete Günter Bartsch von Netzwerk Recherche mit einer (für die Branche) innovativen Transparenz-Idee: „Wenn eine Redaktion fremdes Geld annimmt, könnte sie das kenntlich machen.“
Vielleicht hat das Schweigen aber noch einen anderen Grund: Die Häuser scheuen eine ehrliche Auseinandersetzung, weil es nicht nur um individuelle Fehltritte geht, sondern um ein branchenweites Übel. Angesichts einbrechender Werbeeinnahmen und sinkender Verkaufszahlen, schreibt etwa Boris Kartheuser in der Kurzstudie, gebe es „selbst bei vielen renommierten Medien kaum noch Hemmungen“.
Als Beispiel nennt der Autor die WAZ-Women-Group der Funke-Mediengruppe: Bei diesem Konzern, der auf 1,8 Millionen Exemplare kommt, „scheint das Einbinden von Schleichwerbung ein bisher noch nicht gekanntes Maß erreicht zu haben“. Der Verlag arbeite besonders eng mit seinen Anzeigenkunden zusammen. In den acht Zeitschriften fänden sich „Hunderte konkreter Empfehlungen für spezifische Markenartikel“. So empfiehlt das Echo der Frau ein Pflanzenextrakt, für das sich im gleichen Heft eine halbseitige Anzeige findet. Einem Insider zufolge nehme die Anzeigenabteilung „systematisch“ auf Heftinhalte Einfluss. „Sie teile Redaktionen mit, wen sie in welchem Umfang erwähnen sollen.“
Die Funke-Mediengruppe bestreitet diese Praxis gegenüber dem Branchendienst Meedia nicht einmal. „Sofern Produktvorstellungen und Darstellungen von Bezugsquellen erfolgen, entspricht dies dem Interesse der Leser“, hieß es in der dünnen Stellungnahme.
Das ist an Dreistigkeit eigentlich kaum noch zu überbieten. Kartheuser hat Recht, wenn er schreibt, dass der Ruf nach journalistischer Unabhängigkeit angesichts solcher Praktiken zunehmend hilflos wirkt.
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