- Brandstifter als unheimliche Wahlhelfer
In Berlin brennen jede Nacht Autos und lösen das große Rätselraten aus. Während die Polizei bei der Tätersuche im Dunkeln tappt, profitiert der bisher so fade Berliner Wahlkampf vom Funkenschlag der Brände. Vor allem die CDU könnte davon profitieren. Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) hat plötzlich ein Problem.
Es braucht nicht viel, um ein Auto in Flammen aufgehen zu lassen. Zwei Dutzend Grillanzünder gibt es im Supermarkt schon für 1,79 Euro. Und angesichts von 1,2 Millionen zugelassenen Autos in Berlin und 4000 Kilometer Straßen, wirken auch die mehr als hundert Polizisten die nun nachts zusätzlich in der Hauptstadt unterwegs sind, um den neuen Volkssport der Berliner Nachtschwärmer zu stoppen, faktisch wie eine Bankrotterklärung. Berlin brennt, schon fünf Nächte in Folge hält das Flammeninferno die Polizei in Atem. Jede Nacht sind etwa 10 Fahrzeuge zu Schaden gekommen. Die Bezirke wechseln. Während in der Nacht zu Freitag hauptsächlich Treptow-Köpenick betroffen war, waren die Brandstifter in der Nacht zuvor vor allem in Charlottenburg aktiv.
Nun ist es überhaupt nicht so, dass brennende Autos in Berlin etwas völlig Neues wären. Seit den 90ern wurden immer mal wieder Brandanschlagsserien auf teure Autos verübt. Sie gingen meist auf das Konto der Linksradikalen und Autonomen. Ein Blick in den Berliner Verfassungsschutzbericht über „Linke Gewalt 2003 bis 2008“ bestätigt dies. Darin nennt Innensenator Ehrhard Körting von der SPD als eine der zentralen Facetten linker Gewalt „Brandstiftungen an Kraftfahrzeugen“.
Trotzdem: Die jüngsten Brandanschläge tragen nicht die für das linksradikale Milieu typische Handschrift. Es fehlen Bekennerschreiben, um die Berlins Autonome Szene sonst nie verlegen ist. Auch sind dieses Mal, anders als beispielsweise 2009, nicht die Szenebezirke Friedrichshain und Kreuzberg betroffen. Vor zwei Jahren wollten Linksradikale mittels der Brandstiftungen auf die Missstände und die Vertreibung der Ärmeren durch Gentrifizierung in diesen Vierteln aufmerksam machen.
In diesen Tagen hingegen sind ruhigere, gut bürgerliche Stadtteile Schauplätze der Brände. Die Anschlagsziele sind keine Nobelkarossen, sondern Mittelklassewagen. Nicht nur BMW und Mercedes gehen in Flammen auf, sondern vor allem auch Opel Astras und Ford Mondeos. Die Opfer sind meist entsetzt, würden sie sich selbst doch niemals zu den Reichen der Stadt zählen. Sie empfinden Ungerechtigkeit, haben oft keine Versicherung, die für den Schaden aufkommt.
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Auch in den Internetforen der linken Szene stößt man auf keine erhitzten Diskussionsbeiträge. Zu den Krawallen in London bekundet man zwar Solidarität. Doch ein Eintrag im linken Meinungsforum Indymedia mit dem Titel: „London brennt! Wann folgt endlich Berlin“ wurde von den Moderatoren der Seite zensiert. Dies belegt die innere Zerrissenheit der linken Szene zu den Brandanschlägen. Es gibt zunehmend interne Kritik, da auch immer wieder Unbeteiligte zu Schaden kommen, was der linken Sache laut eigenen Aussagen abträglich sei.
Trotzdem, der Verdacht, dass linksradikale Gewalttäter hinter den Anschlägen stehen, drängt sich auf. Ein Besuch im einstigen Herz des Klassenkampfes soll Klarheit verschaffen: die Manteuffelstraße 99 im Berliner Bezirk Kreuzberg. Seit über 25 Jahren betreibt hier Hans-Georg Lindenau seinen „Gemischtwarenladen mit Revolutionsbedarf“. Gleich beim Betreten des Ladens, wird einem klar: Dieser hat seine besten Zeiten hinter sich. Das Haus ist baufällig, das Angebot unübersichtlich. Ohne die Auskunftsfreude von HG, wie der Besitzer auch genannt wird, würde man sich im Revolutionsdschungel nicht zurechtfinden. Der angehende Revolutionär findet hier alles, was er für den sozialen Aufstand braucht. Das nötige politische Know-How von Marx bis Hugo Chavez und die aktuellen Pamphlete von der Antifa stehen hier in einer Reihe mit dem nötigen praktischen Werkzeug: Pfefferspray, CS-Gas, Kapuzenpullover, T-Shirts mit Kampfansagen an den Kapitalismus, Sturmhauben und Handschuhe. Nur den Grillanzünder fürs Autofeuerwerk muss man sich beim Supermarkt um die Ecke kaufen.
HG und sein Laden sind eine feste Institution in Kreuzberg. Als sich Brandanschläge auf Autos in den 1990ern in Berlin erstmals zu einem Problem entwickelten, war er mittendrin. Nicht aktiv versteht sich, er habe eher als eine Art Pressesprecher der damaligen „Wagensportliga“, wie sich die Autobrandstifter in linksradikalen Kreisen auch nennen, fungiert. Er selbst sieht sich keiner speziellen politischen Gruppe zugehörig, auch nicht den Linken. Er wolle sich nicht festlegen und sei sehr für einen differenzierten Austausch.
Für HG haben die aktuellen Brandanschläge nicht wirklich etwas mit linksautonomer Gewalt zu tun. So was könne jeder machen, der Aufmerksamkeit möchte. Politisch macht für ihn eher die Zuordnung ins rechte Milieu Sinn. So könne sich eben wieder eine Debatte um die lasche Sicherheitspolitik der rot-roten Regierung entfachen. Rechts und links lassen sich auch in der Berliner Nacht kaum noch auseinanderhalten.
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Und in der Tat könnte man meinen, da seien unfreiwillige Wahlhelfer von CDU und FDP am Werk. Beide Parteien haben die Gunst der Stunde erkannt und neue Wahlplakate in den Druck gegeben. Sie werben jetzt mit brennenden Autos beziehungsweise deren übriggebliebener Wracks.
Der CDU-Spitzenkandidat Frank Henkel greift offen die Sicherheitspolitik der rot-roten Regierung an. Der Senat habe die Polizei „kaputtgespart“. Er spricht von Sittenverfall und Vandalismus unerträglichen Ausmaßes, die Autobrandstiftungen hätten sich „zu einem Flächenbrand entwickelt“. Auf seiner Facebook-Seite fordert er den Einsatz einer Sonderkommission und die Einberufung eines runden Tisches gegen politischen Extremismus.
Fast möchte man meinen, dass irgendjemand die Sache mit der heißen Wahlkampfphase missverstanden hat. In jedem Fall hat der bis dato so öde Berliner Wahlkampf voller leerer Plattitüden nun an Fahrt gewonnen. Der FDP-Spitzenkandidat Christoph Meyer macht auf seiner Homepage die „Rot-rot-grüne Lebensstilintoleranz“ für die Brandanschläge verantwortlich. Diese bereite den Nährboden für linksextremistische Gewaltexzesse. „Der Senat macht seit Jahren ganz bewusst nicht genug gegen linke Gewalt, weil er selbst mit Linksextremisten sympathisierende Abgeordnete in seiner Koalition hat.“
Die politische Debatte um die nächtlichen Brände wird immer schärfer. Weil Wahlkampf ist, hat sich auch die Bundeskanzlerin und CDU-Vorsitzende zu diesem eigentlich landespolitischen Thema geäußert und gemahnt, man könne derlei Gewalt nicht tolerieren. Bundespolitiker von CDU und SPD stellten die Brandstiftungen sogar in eine Reihe mit den Anfängen der RAF in den 70ern. Auch der Vergleich mit den Ausschreitungen in England fällt immer wieder.
Während die Politik die nächtlichen Brandstiftungen mit fester Überzeugung deutet, tappt die Polizei völlig im Dunkeln, denn Spuren hinterlassen die Täter keine. Die Ermittler haben keinerlei Anhaltspunkte für politische Motive der Täter. Sie sieht eher gemeine Brandstifter, Nachahmungstäter oder Pyromanen am Werk. Fast scheint es als seien die Konsequenzen der Anschläge weitaus politischer als die Motive der Täter. Die Gier, mit der sich CDU und FDP auf die Brandanschläge als Wahlkampfthema stürzen, bezeugt nur einmal mehr, wie wenig Politik der diesjährige Berliner Wahlkampf zu bieten hat. Aber es könnte sein, dass es für den bislang so siegesgewissen regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit doch noch eng wird, wenn die Berliner Polizei die Situation nicht schnell in den Griff bekommt. Wowereit ahnt, dass er mit seinem inhaltsleeren Wohlfühlwahlkampf ein Problem bekommen könnte. Hilflos spricht er von den „Idioten“, von denen man sich die Stadt nicht kaputt machen dürfe. Dabei haben die nächtlichen Brandstifter neben vielen Autos vor allem eines zerstört, die Wahlkampfstrategie der SPD.
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