- Wir brauchen Bass!
Björn Stolls Unstrumente aus dem „Musicon Valley” sind weltweit gefragt
Dieser Text erschien zunächst in der Printausgabe des Cicero (April). Wenn Sie das monatlich erscheinende Magazin für politische Kultur kennenlernen wollen, können Sie hier ein Probeabo bestellen.
Wer Geigenbauer sagt, denkt Stradivari, aber wer ist der Meister für Kontrabässe? „Gerade deshalb liebe ich es, sie zu bauen“, sagt Björn Stoll. „Ich habe viel mehr Freiheit, bin mit meinen Modellen nicht an eine Form gekettet und muss nicht versuchen, einen bestimmten Klang zu kopieren.“
Wobei Letzteres ohnehin nicht gehe, meint Stoll. Jedes Stück Holz sei nun mal anders, Standort, Wuchs und Dichte verliehen selbst gleichen Holzarten verschiedene Eigenschaften. Deshalb könne auch der Klang zweier von ihm geschaffener Bässe zwar ähnlich, aber nie identisch sein.
An vier Instrumenten bauen Stoll und seine zwei Mitarbeiter gerade, sie schleifen, feilen, sägen und schnitzen. Dicht unter der Decke der kleinen Hinterhofwerkstatt liegen Böden, Deckel und halbfertige Bassrümpfe, an den Wänden hängen Stechbeitel, Ziehklingen und Hobel in jeder Größe oder vielmehr Winzigkeit. Selbst daumenkleine Hobel führen sie mit einer Virtuosität über das Holz wie Bassisten im Konzertsaal den Bogen über ihr Instrument. Grobe, duftende Späne türmen sich am Boden, Maschinen gibt es keine, mal abgesehen von einem Bohrer und der Wärmplatte, auf der zwei Töpfe mit Knochenleim stehen. Der durch Auskochen tierischer Abfälle gewonnene Kleber lässt das Schwingungsverhalten des Holzes unverändert.
Kein Schild weist auf Stolls Werkstatt hin, draußen an der Straße in Erlbach im tiefsten Südwestsachsen. „Meine Kunden finden mich auch so, häufig über Empfehlungen anderer Musiker“, sagt der 41-Jährige. Viele reisen extra aus dem Ausland an.
So war es schon einmal hier im Vogtland. Anfang des 20. Jahrhunderts hatten die Produkte aus dem „Musikwinkel“ 80 Prozent Marktanteil weltweit, die Gegend zählte zu einer der reichsten Deutschlands, und die USA unterhielten hier ein eigenes Generalkonsulat.
Unter dem etwas bemühten Titel „Musicon Valley“ versucht die Region heute daran anzuknüpfen. Die Kombinate aus DDR-Zeiten sind verschwunden, stattdessen produzieren nun wieder Hunderte Familienbetriebe die Instrumente; gleich um die Ecke von Stoll gibt es zwei Geigen-, einen Gitarren- und einen Schallstückmacher für Blechbläser. Viele verkaufen den Großteil ihrer Produktion ins Ausland, Stoll selbst vor allem in die USA und nach Asien, wo Kunden auf europäische Handarbeit schwören. Sieben seiner Bässe gingen allein im vergangenen Jahr nach Japan. Nur Verbesserungsvorschläge erhält er auf seinen Reisen nach Tokio oder Yokohama selten. „Die Ehrfurcht vor unserer Arbeit ist dort riesengroß, manchmal fast zu groß“, sagt Stoll.
Stoll hat erst vor knapp 20 Jahren begonnen, Instrumente zu fertigen, sich aber schnell einen hervorragenden Ruf erworben. Seine Vorfahren stellten bereits Anfang des 19. Jahrhunderts Saiten her, und sein Vater baute nicht nur im volkseigenen Betrieb, sondern auch nach Feierabend daheim Celli und Bässe, die er dann ungarischen Musikern mitgab, die sie nach Konzertreisen im Westen verkauften.
„Ich kenne meinen Vater praktisch nur in der Werkstatt“, sagt Stoll. Er erwarb nach seiner Lehre auch noch den Meisterbrief und eröffnete kurze Zeit später seine eigene Werkstatt für Bässe und Celli.
Seit vielen Jahren konzentriert sich Stoll jetzt aber schon auf das Geschäft mit Kontrabässen, entwickelt eigene Modelle, experimentiert viel mit Material, Lack und Design. Seine Geigenbauer-Kollegen bezeichnen ihn gern als „Möbeltischler“, weil man viel Kraft braucht, um aus massivem Holz einen Bassboden herauszuschälen. Der ist wie der Hals aus Ahorn, der Deckel besteht aus Fichte und das Griffbrett aus Ebenholz, rabenschwarz und extrem hart, damit sich die Saiten nicht ins Holz graben.
Zwischen zehn und 30 Instrumente baut Stoll im Jahr. Gut 140 Arbeitsstunden stecken in einem Standardbass. Die Wartezeit beträgt drei Monate, der Preis 5000 Euro. Rund 18 000 Euro kostet die Exklusiv-Version. „Vor allem wohlhabende Chinesen verlangen High-End, immer das Teuerste“, sagt Stoll. Neulich habe ihn ein Kunde aus China begeistert angerufen und berichtet, er schlafe nachts neben seinem Bass.
Reich wird Stoll als Bassbauer nicht. Wenn er Geld übrig hat, investiert er in Holz. Gute Ware ist knapp und teuer, Bassbauer brauchen große, alte Baumstämme, derzeit bekommt er die in Bosnien und Rumänien. Aber um Reichtum geht es Stoll in seinem Beruf auch nicht. Am schönsten findet er immer wieder, zum ersten Mal den Klang eines fertigen Basses zu hören. „Wenn ich dann merke, er ist mir richtig gut gelungen, das ist für mich Selbstverwirklichung.“
Stefan Locke lebt als freier Journalist in Dresden.
Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.