() Frankreichs Außenminister Bernard Kouchner
Wie glaubwürdig sind Sie noch?
Er verstand sich stets als Linker. Wegen der Beteiligung an einer konservativen Regierung schloss ihn seine Partei aus. Das ficht den französischen Außenminister nicht an. Sein wichtigstes Ziel ist Frankreichs Rückkehr auf die weltpolitische Bühne.
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Haben Sie lange gezögert, als Nicolas Sarkozy Ihnen das Amt des französischen Außenministers antrug?
Ich wäre nie auf den Gedanken gekommen, dass ich mit einer konservativen Regierung zusammenarbeiten könnte, an der Seite eines Staatspräsidenten, den ich nicht gewählt habe. Doch angesichts der Dringlichkeit der Reformen begrüßte ich die Idee einer zeitweiligen Regierung der nationalen Einheit. Ich gehörte in meinen Augen immer ganz selbstverständlich zur Linken – so turbulent, anstrengend und unbefriedigend sich diese Zugehörigkeit auch oftmals gestaltete. Ich habe folglich lange nachgedacht. Nicolas Sarkozys Projekt einer Öffnung, sein Wille zum Wandel, für den er steht, motivierten mich zuletzt, mich diesem Abenteuer anzuschließen, Frankreich im Globalisierungsprozess wieder Stellung und Stimme zu geben.
Nicolas Sarkozy wurde unter dem Zeichen des Bruchs mit der Ära Chirac gewählt. Worin liegt dieser Bruch in der Außenpolitik?
Auf Ihre Frage lassen sich zwei Antworten geben. Die eine bestünde darin, all die außenpolitischen Felder aufzuzählen, die wir uns vorgenommen hatten: Vereinfachung des EU-Vertrags, Freilassung der bulgarischen Krankenschwestern, Einleitung der EU-Mission im Tschad und der Zentralafrikanischen Republik zum Schutz der Flüchtlinge und Vertriebenen aus Darfur, libanesische Präsidentschaftswahlen, birmanische Krise, Geberkonferenz für Palästina, französische EU-Ratspräsidentschaft, europäische Vermittlung in Georgien, Pariser Konferenz zur Unterstützung des Wiederaufbaus in Afghanistan, Gründung der Mittelmeerunion und so weiter. Sie werden zugeben, dass eine Reihe dieser Themen von größter Wichtigkeit ist, wir haben hier Neues angestoßen und einiges erreicht. Frankreich ist wieder imstande, in der internationalen Politik die Initiative zu ergreifen und Impulse zu geben, es begnügt sich nicht länger mit der Rolle einer mittleren Staatsmacht, die den abgefahrenen Zügen hinterherschaut. Es flüchtet nicht länger in hochtönende, nostalgische und wirkungslose Reden. Räumt man ein, dass hier ein wesentlicher Bruch stattgefunden hat, dann kommt man zur zweiten Antwort. Sie liegt in den fünf großen Themenfeldern, die der Präsident abgesteckt hat. Es sind dies: die transatlantischen Beziehungen, der Nahe Osten, die Europäische Union, Afrika sowie die Menschenrechte. Dieses Programm zeigt klar, dass alle Initiativen ein Ziel haben: Frankreich wieder eine wenn nicht zentrale, so doch zumindest aktive Rolle im internationalen Geschehen zurückzuerobern.
Vor seiner Wahl hat Nicolas Sarkozy seine Absicht erklärt, die Menschenrechte ins Zentrum seiner Außenpolitik zu rücken. In einigen Fällen scheint allerdings die Realpolitik die Oberhand gewonnen zu haben. Wie gelingt es Ihnen als einem Symbol des humanitären Kampfes, Ihr persönliches Engagement mit der Staatsraison in Einklang zu bringen?
Mitunter ist das schwierig. Aber Vorsicht, was Wörter, Floskeln und endgültige Kategorien betrifft, auch wenn sie verlockend und bequem sein mögen! Was heißt Realpolitik? Wenn damit gesagt werden soll – was einige ja tun –, die Menschenrechte seien in den internationalen Beziehungen ein Randbereich, nichts als eine Begleitmusik für feinfühlige Gemüter, so entspricht das nicht unserem Handeln.
Was ist es anderes als die Verteidigung elementarer Menschenrechte, wenn wir mit der Eufor-Truppe für die Sicherheit einer halben Million von Darfurflüchtlingen und -vertriebenen sorgen? Und heißt es nicht, sich für die Menschenrechte einzusetzen, wenn verhindert wird, dass Georgien dasselbe Schicksal erleidet wie Tschetschenien? Und der Wiederaufbau in Palästina, der den Menschen den Zugang zu Trinkwasser eröffnet und den Kindern den Schulbesuch, ist das keine Verteidigung der Menschenrechte?
Soll das alles eine Politik sein, die sich von den Menschenrechten abgewandt hat? Ehrlich, ich glaube das nicht. Ließen sich in diesen Fragen Fortschritte erreichen, wenn wir nicht mit Russland oder Syrien sprächen? Auch das glaube ich nicht, so schwierig es manchmal ist. Ganz abgesehen von dem Kampf, den man mit sich selber austragen muss.
Wenn man aber unter Realpolitik die Tatsache versteht, dass Außenpolitik nicht nur aus Menschenrechtsfragen besteht, so ist das etwas anderes. Als Minister für Auswärtige und Europäische Angelegenheiten stehe ich dazu, dass ich die Werte und Interessen Frankreichs verteidige – was nicht heißt, dass ich irgendeinem noch so geringen Hinweis, einer noch so kleinen Beobachtung der NGOs nicht nachginge. Ich habe immer ein Ohr für sie.
Musste Syrien zurück ins internationale Boot geholt werden, wie Frankreich es getan hat? Welche konkreten Zugeständnisse des syrischen Staatspräsidenten meinen Sie erreichen zu können?
Ja, das mussten wir. Ohne Naivität und ohne die Vergangenheit zu vergessen. Mit Wachsamkeit, mit offenen Augen. Aber hätten wir abseitsstehen und zuschauen können, während die Dinge im Nahen Osten in Bewegung gerieten, während Syrien und Israel dank türkischer Vermittlung das Gespräch anknüpften? Hätte man die iranische Bedrohung außer Acht lassen und nicht versuchen sollen, die Allianz zwischen Damaskus und Teheran zu brechen? Natürlich nicht! Sie wissen, wie sehr ich mich im Libanon engagiert habe, um dem Land einen Ausweg aus der Krise zu ermöglichen. Unsere Bemühungen hatten Erfolg: Es gibt einen neuen Staatspräsidenten, die Nationalversammlung tagt wieder, Parlamentswahlen sind in Vorbereitung. Erstmals in ihrer Geschichte wird es, wie ich hoffe, diplomatische Beziehungen zwischen dem Libanon und Syrien geben. Ohne syrische Zustimmung wäre all dies nicht möglich gewesen. Wir mussten daraus Konsequenzen ziehen und die syrische Geste erwidern, auch wenn ich den Einmarsch der Hisbollah in Beirut nicht vergesse.
Warum wird Syrien eine Hand entgegengestreckt, nicht aber dem Iran?
Syrien hat einen Teil unserer Forderungen erfüllt. Das gilt nicht für den Iran. Dennoch strecken wir Teheran weiterhin die Hand entgegen, es hat Treffen mit iranischen Vertretern gegeben. Das Angebot, das im vergangenen Sommer vonseiten der Europäer, Russlands, Chinas und der USA an Teheran erging, war sehr großzügig. Doch bislang hatten unsere Gesprächsbemühungen nur geringen Erfolg. Die Zeit verstreicht, und das iranische Nuklearprogramm wird weiterentwickelt, wie der El-Baradei-Bericht beweist; es bedroht somit die internationale Sicherheit wie auch das Prinzip der Nichtverbreitung von Atomwaffen. Deswegen müssen wir, wenn Teheran die Resolutionen des Uno-Sicherheitsrates verletzt und sich weigert, vollständig mit der Internationalen Atomenergiebehörde zusammenzuarbeiten, den internationalen Druck erhöhen – vorrangig durch Sanktionen. Aber zugleich müssen wir unermüdlich den Dialog anbieten.
Apropos Russland: Hat der Einmarsch in Georgien die „wahre Natur“ des Regimes in Moskau offenbart?
Die russische Regierung hat uns schon seit mehreren Jahren an ein mitunter sehr rabiates Vorgehen gewöhnt, wenn es sich um die Durchsetzung ihrer Ziele und Interessen handelt. Aber in Georgien ging dies deutlich noch einen Schritt weiter. Die unverhältnismäßige Gewaltanwendung ist ebenso inakzeptabel wie die russische Absicht, die Grenzen eines Nachbarstaates einseitig zu verschieben. Man kann daraus den Schluss ziehen, dass es hier weniger um eine einschneidende Veränderung als um eine Offenbarwerdung geht, eine Enthüllung dessen, was Sie die „wahre Natur“ eines autoritären Regimes nennen. Doch ich glaube nicht, dass es von Nutzen ist, in solchen Begriffen zu argumentieren. Wir erwarten von Russland einen verantwortlichen Gebrauch der Macht, die es seiner Einschätzung nach wiedererlangt hat, und ein berechenbares und kooperatives Verhalten. Um dies zu erreichen, erscheint es mir sinnvoller und wirksamer, Moskau an seine Verantwortlichkeiten zu erinnern und ihm gegenüber die Interessen zu unterstreichen – notfalls mit Nachdruck –, die unsere gemeinsamen sein sollten. Wir können nichts gewinnen, wenn wir die Kommunikationskanäle zwischen uns und Russland kappen oder die Regierung anprangern. Wir brauchen den Dialog mit Russland, diesem großen Nachbarn.
Sehen Sie in der russischen Georgien-Intervention eine Rückkehr zur Konfrontation des Kalten Krieges?
Um Himmels willen, hüten Sie sich vor einem voreiligen Gebrauch überholter und simpler Begriffe! Die Blöcke sind verschwunden, und Russland steht bei der Verteidigung seiner Kaukasuspolitik eher isoliert und allein da. Wir sind hier also weit vom Kalten Krieg entfernt! Und Konfrontation mit Russland ist nicht unser Ziel, die Europäische Union wie die Nato wollen Partner Moskaus sein, nicht seine Gegner. Wir wollen ein Vertrauensverhältnis aufbauen. Aber umgekehrt schließt das ein, dass auch Russland für den Dialog optiert und die eingegangenen Verpflichtungen einhält.
Birgt eine harte Haltung gegenüber Moskau Gefahren – und wenn ja, welche?
Alles hängt davon ab, was Sie unter einer „harten Haltung“ verstehen. Niemand sucht eine Konfrontation mit Russland, das wäre unverantwortlich. Auch ist nicht erkennbar, dass direkte Sanktionen – so, wie dies im Rahmen internationaler Beziehungen gewöhnlich verstanden wird – möglich oder auch nur wünschenswert wären. Was die Gefahren angeht, so können sie vielfältige Formen annehmen. Eine Vorstellung davon vermittelt eine Reihe offizieller russischer Erklärungen, die man lieber für nicht ernst gemeint hielte, wie etwa die schwerwiegende Drohung der Stationierung von Atomraketen, die auf zwei mitteleuropäische EU- und Nato-Mitgliedsstaaten gerichtet wären! Solche Drohgebärden müssen wir scharf zurückweisen, aber dennoch mit den Russen reden und ihnen geduldig zeigen, dass solche Extreme nicht in ihrem Interesse sind.
Vielfach wird auch eine allgemeinere und abstraktere Bedrohung thematisiert: die Energieversorgung, die in zahlreichen europäischen Ländern von russischen Großkonzernen abhängig ist. Aber auch hier kommt es darauf an, Russland klarzumachen, wo seine Interessen liegen. Der europäische Kauf und Verbrauch von russischem Erdgas und Erdöl vollzieht sich weitestgehend im Rahmen einer realen wechselseitigen Abhängigkeit! Das heißt, für den russischen Staat und die russische Wirtschaft sind dies wichtige Einnahmequellen. Deshalb und auch aus technischen Gründen, die mit den geringen russischen Lagerkapazitäten zusammenhängen, erscheint eine energiepolitische Erpressung als eine nicht sehr ernste Bedrohung. Präsident Sarkozy spricht von einem „gemeinsamen Wirtschaftsraum“, auf den die EU und Russland hinarbeiten sollten.
Schließlich, was sieht man, mit ein bisschen Abstand? Von den drei weltpolitischen Räumen, die Russland umgeben – Europa, die islamische Welt und China –, ist es doch selbstverständlich Europa, von dem Moskau auf Dauer nicht nur am wenigsten zu befürchten hat, sondern, wenn unsere Beziehungen auf Kooperation ausgerichtet sind, auch am meisten zu gewinnen. Ich bin überzeugt, dass man sich im Kreml dieser Tatsache sehr wohl bewusst ist.
Übersetzung: Eveline Passet
Das Gespräch führte die Zeitschrift Politique Internationale, der exklusive Kooperationspartner von Cicero in Frankreich
Foto: Picture Alliance
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