
Amerikas Wahlkampf bekommt religiöse Züge. Bush organisiert seine Auftritte wie Gottesdienste. Das zieht. Was aber ist mit den Juden im Land?
Erst dachte man, Krieg und Terror würden diese Wahl entscheiden. Dann glaubte man, es sei die Lage der Wirtschaft. Nun kommt es anders. Das religiöse Bewusstsein wird der Schlüssel zum Wahlsieg. Die Wertkonservativen im mittleren Westen und die Evangelikalen sind es längst nicht mehr alleine. Bis tief ins Bürgertum der Städte wird die Wahlentscheidung nach „Werte-Orientierung“ getroffen. Die christliche Religion hat dabei das höchste Ansehen.
In der heißen Phase des Wahlkampfes verbreiten daher die Konservativen, dass Gott verantwortlich dafür sei, dass Bush im Weißen Haus sitze. „Er ist einer dieser Männer, die Gott und das Schicksal in Zeiten der Herausforderung in den Vordergrund gebracht haben“, sagte der New Yorker Gouverneur George Pataki in seiner Einführungsrede auf dem republikanischen Parteitag. Dreimal dankte Pataki Gott für seinen Präsidenten.
Rudy Giuliani blies ins gleiche Horn. Er habe am 11. September spontan nach dem Arm von Polizeichef Bernard Kerik gegriffen und zu „Bernie“ gesagt: „Gott sei Dank ist Bush unser Präsident.“ General William „Jerry“ Boykin, stellvertretender Staatssekretär im Verteidigungsministerium geht noch weiter: „Warum ist dieser Mann im Weißen Haus? Die Mehrheit der Amerikaner hat ihn nicht gewählt. Er ist im Weißen Haus, weil Gott ihn dahin brachte in diesen schwierigen Zeiten.“ Auch der Vater des Präsidenten spekuliert darüber, dass seine Niederlage 1992 ein Akt der Vorsehung sein könnte: „Wenn ich die Wahl gewonnen hätte, wäre mein ältester Sohn jetzt nicht Präsident der Vereinigten Staaten. Die Wege des Herrn sind mysteriös.“
Aber was wählen die Juden? Paul Wolfowitz, Mark Spitz, Philip Roth, Haim Saban, Barbara Streisand und Michael Bloomberg verbindet, von heftigen wechselseitigen Antipathien abgesehen, wenig. Dennoch buhlen die amerikanischen Parteien, vor allem während der Präsidentschaftswahlen, heftig um die „Jewish vote“. Kann man ernsthaft glauben, Richard Perle, den vom Kampf gegen den Terror besessenen „Fürsten der Finsternis“ mit den gleichen politischen Argumenten überzeugen zu können wie den vehementen Kriegsgegner Dustin Hoffman? Normalerweise nicht. Doch was ist schon normal, wenn es um Juden geht? Oder, um es mit Papa Freud auszudrücken – was versteht ein Goj, ein Nichtjude, von meschugge?
Als quantitativer Faktor fallen gut fünf Millionen amerikanische Juden unter 300 Millionen Amerikaner kaum ins Gewicht. Zudem votieren sie seit den Tagen Frank Delano Roosevelts traditionell mit satten Mehrheiten für die Demokraten. Zuletzt fuhr Al Gore gut 80 Prozent der Jewish vote für seine Partei ein. Doch diesmal ist alles anders. Das hebräische Lager ist tief gespalten. Das macht die Sache doppelt spannend, denn obendrein leben amerikanische Juden zumeist in den heftig umkämpften Swing-Staaten, die über den Ausgang von Wahlen entscheiden können.
Der Väter Glaube ist keineswegs das einigende Band der jüdischen Wähler und damit das Sesam-öffne-dich der Parteipropaganda. In Glaubensfragen sind die Juden Amerikas uneinig und zumeist weniger engagiert als ihre frömmelnden Landsleute. Bob Dylan war zwischendurch Buddhist, Woody Allen Atheist – die meisten halten es mit Henry Kissinger. Sie sind skeptische Agnostiker. Ein gemeinsames Merkmal aber haben Amerikas Juden. Es ist mit einem Wort umschrieben, das mittlerweile ins Amerikanische Eingang gefunden hat: Angst.
Angst vor Antisemiten und ihrer Judenfeindschaft. Adolf Hitler war die Bestätigung, der GAU dieser Panik. Die Antisemitenangst aber ist viel älter. Sie ist ständiger Begleiter seit Beginn der jüdischen Diaspora vor zweitausend Jahren. Die Hebräer flohen von Land zu Land – allenthalben wurden sie verfolgt. Bis sie den Weg in God’s own country fanden.
In Amerika machten die Juden ihr Glück. Dank ihres Fleißes und ihrer Intelligenz werden sie zur erfolgreichsten amerikanischen Ethnie. In den Wissenschaften, im Business, in den Medien, in Mode, Film, Kunst, Kultur, Literatur, im Sponsoring, vor allem aber in Sachen Neurotik. Der prototypische Stadtneurotiker ist Jude, er muss ein Jude sein.
Die immer währende jüdische Diaspora-Furcht verschweißt Amerikas Hebräer zur Zielgruppe. Die einheitliche Therapie heißt Angstlösung durch Sicherheitsversprechen für Israel. Die Antisemitenangst ist selbst in Amerika kein bloßes jüdisches Hirngespinst. Autobauer Henry Ford war ein fanatischer Judenhasser und Bewunderer Adolf Hitlers. Die Angst vor dem Hexenjagd-Antisemitismus spiegelt sich in den Dramen Arthur Millers. Arrivierten Juden wiederum blieb der Zugang zu den feudalen, liberalen Clubs der East Coast lange verwehrt. Die Schranken fielen erst in den 70er Jahren – während der Amtszeit des Außenministers Henry Kissingers.
Da die amerikanischen Politprofis dank ihrer hebräischen Berater die konstante Judenfurcht kennen, versprechen sie ihren potentiellen Wählern die blau-weißen Israelfarben vom Himmel. John Kerry führt als Kronzeugen seinen zum Judentum konvertierten Bruder ins Feld. Und er gibt preis, dass er von Rechts wegen Kohn heißen müsste, denn sein Großvater sei Jude gewesen. Eben daher sollte er wissen, dass Mischpoche bei Juden nicht besonders gut ankommt.
Auch das Verhältnis des Bush-Clans zu den Juden ist heikel. Der Großvater des amtierenden Präsidenten, Prescott Bush, galt als Nazi-Sympathisant und soll als Bankdirektor der Union Banking Corp. dubiose Gelder aus Nazideutschland gewaschen haben. Dessen Sohn George Bush senior wiederum hatte zeitlebens ein distanziertes Verhältnis zur jüdischen Gemeinde, beklagte 1991 in einer Pressekonferenz des Weißen Hauses sogar deren Lobby in Washington. Mit mehreren israel-kritischen Bemerkungen machte er sich bei den Hebräern keine Freunde. Und obendrein entfaltete der Bush-Clan rege Geschäftsbeziehungen in den arabischen Raum. Die schwierigen Bande gipfelten schließlich in dem denkwürdigen „Fuck the Jews“-Ausspruch von Bushs Außenminister James Baker, der feststellte, dass Juden ohnedies nie Bush wählen würden. Was stimmte. Bush senior bekam nur 27 Prozent der jüdischen Stimmen, der schwache Dukakis dagegen 73 Prozent. Und gegen Clinton erzielte Bush senior gerade noch 15 Prozent der jüdischen Stimmen.
Wie seinem Vater, so gelang es auch George Bush junior lange nicht, ein gutes Verhältnis zur jüdischen Klientel aufzubauen. Nicht nur die kühle Beziehung zu Israel spielte dabei eine Rolle; auch das denkwürdige Bush-Zitat, wonach wohl nur Christen in den Himmel kämen, machte ihm wenig Freunde. Als ihn ein jüdischer Reporter 1998 vor seiner ersten offiziellen Nahost-Reise auf dieses Himmel-Zitat ansprach, witzelte er: „Go to hell.“ Gore erhielt daraufhin 79 Prozent der jüdischen Stimmen, Bush bekam nur 19 Prozent.
Aber anders als seinem Vater ist es George Bush inzwischen gelungen, die gestörten Beziehungen deutlich zu verbessern. Das liegt wesentlich an den Terror-Attacken vom 11. September. Seitdem verfolgt der Präsident eine konsequent pro-israelische Haltung, weil er in Israel den logischen und treuesten Verbündeten im Kampf gegen den Islamismus erkannte. Inzwischen spricht Ariel Sharon sogar von einer „Bush-Doktrin“, auf die sich ganz Israel berufen könne: „Kein Friede mit Terroristen.“
Die Fibel „Präsident George W. Bush. A Friend of the American Jewish Community“ wird in den USA hunderttausendfach verteilt. Der Titel ist Programm. Zudem betonte Bush soeben vor der „American-Israel Public Affairs Committee“: „Unsere Nation und die Nation Israels haben viel gemeinsam. Wir sind geboren aus Kampf und Opfer, gegründet von Flüchtlingen, die vor religiöser Verfolgung flohen…(unsere) Länder glauben daran, dass Gott ein Auge auf uns hält.
Diese Verbindungen haben uns zu natürlichen Verbündeten gemacht.“ Was immer Bushs wirkliche Motive für diese Umarmung sind, er hat damit die jüdische Wählerschaft in erstaunlich großer Zahl für sich gewonnen. Und gespalten. (R.S.)
Anne E. Kornblum ist Chefkorrespondentin des Boston Globe. Steven Waldman ist Chefredakteur von Beliefnet
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