Wer kann sich am Ende durchsetzen – Merkel oder Erdogan? Bild: picture alliance

Merkel in Istanbul - Feilschen um den Flüchtlingsdeal

Kolumne: Leicht gesagt. Merkel hat Erdogan beim UN-Gipfel in Istanbul eine Absage in Sachen Visafreiheit für türkische Bürger erteilt. Der türkische Präsident drohte daraufhin mit einem Scheitern des Flüchtlingsdeals. Die Situation scheint verfahren, doch EU und Türkei sind aufeinander angewiesen

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Wulf Schmiese leitet das „heute journal“ im ZDF. Zuvor hat er als Hauptstadtkorrespondent, jahrelang auch für die FAZ, über Parteien, Präsidenten, Kanzler und Minister berichtet.

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Nun droht Erdogan also Merkel – mal wieder: ohne Visa-Freiheit kein Flüchtlingsaustausch. Da sagt es sich leicht, dass damit ihre Politik am Ende sei – wieder mal. Abhängig vom Sultan sei Merkel. Der habe es in der Hand, Deutschland mit Fliehenden zu fluten und dadurch die Kanzlerin zu stürzen.

Möglich, dass Erdogan das Schicksal der Bundeskanzlerin wenig bedeutet, auch wenn die Zahl seiner internationalen Partner recht überschaubar geworden ist. Bei den Arabern ist er isoliert, den schiitischen Persern als sunnitischer Herrscher fern, mit Putin verfeindet. Da könnte Europa ganz nützlich sein. Sein strategisches Ziel wird also nicht sein, es sich mit dem wichtigsten Nachbarn – der EU – zu verscherzen.

Erdogan will das Gegenteil, nämlich möglichst viel Entgegenkommen aus Brüssel erreichen. Seine Drohung ist nichts anderes als Feilschen. Die Zeit dafür ist günstig wie nie. Es nützt ihm, wenn es nun heißt, Merkel sei allein von ihm abhängig.

Merkel ist auch nicht schlecht im Feilschen
 

Doch wie auf dem Basar ist seine Drohung, das geplante Geschäft platzen zu lassen, nur eine Reaktion auf Merkels Vorgabe. Sie hat ihm klipp und klar gesagt, dass es Visa-Freiheit nur geben werde, wenn die in der Türkei geltenden Anti-Terror-Gesetze gemildert würden. Das ist Teil von insgesamt 72 Bedingungen, die von der EU verlangt werden, wenn Türken künftig gleichermaßen frei in die EU einreisen sollen wie es jetzt schon EU-Bürger in die Türkei können.

Dieses Junktim wurde allerdings schon Ende 2013 ausgehandelt, lange vor der Flüchtlingskrise. Erdogan selbst hat das Abkommen seinerzeit als „Meilenstein“ gelobt. Für die aktuelle Kontingentlösung, die Merkel anstrebt, wurde der Türkei dabei nur ein Bonus in Aussicht gestellt. Und zwar in Form zeitlichen Vorziehens der Visa-Liberalisierung, die dann schon ab Juli gelten sollte, und nicht ab Oktober. Dieses Angebot hat Merkel nun faktisch kassiert: Aus Juli werde wohl nichts, und ob in diesem Jahr überhaupt noch was gehe, sei sehr fraglich. Deswegen tobt Erdogan.

Hier wollte die Kanzlerin ihren Kritikern beweisen, dass sie eben nicht vor dem türkischen Präsidenten einknickt. Wie er, ist auch sie nicht schlecht im Feilschen. Denn das soll Erdogan zeigen: Ich kann keinen Rabatt geben, wenn die Ware nicht vollständig ist, also die 72 Punkte nicht gänzlich erfüllt sind. Denn meine 27 Kollegen werden nachzählen.

Die EU könnte von ihren rigorosen Forderungen abrücken
 

Das ist längst nicht das Ende der Verhandlungen, auch wenn das nun vor allem diejenigen rufen, die von Anbeginn trompeteten: Der Türkei-Deal klappt nie! Wahrscheinlicher aber ist, dass eine Lösung gefunden wird. Gut möglich, dass die EU deshalb sogar abrückt von ihrer damals rigorosen Forderung nach Entschärfung der türkischen Anti-Terrorgesetze.

Es gibt dafür Argumente. Die Zeiten haben sich geändert; nicht nur, weil Millionen Menschen auf der Flucht sind, sondern auch wegen der zahlreichen Terroranschläge in der Türkei. Während Merkels jüngstem Besuch in Istanbul teilten Mitreisende einen Eindruck: Die Bundeskanzlerin macht sich keine Illusionen, dass Erdogan aufzuhalten ist auf seinem Weg in den Präsidialstaat. Und sie weiß, dass der Einfluss der EU auf die türkische Innenpolitik doch sehr begrenzt ist.

Erdogan will sein Beschützer-Image nicht aufgeben
 

Andererseits hat gerade dieser Besuch Hoffnung darauf gemacht, dass Erdogan ein Flüchtlingsabkommen wichtig ist. Denn als Gastgeber des ersten Welt-Nothilfegipfels der Vereinten Nationen pries Erdogan seine Türkei als ein Land, dass Menschen in Not immer Schutz gewähren werde. Bei aller Kritik an Erdogan gehört zur Wahrheit auch: Kein Land der Welt hat mehr Flüchtlinge aufgenommen als die von ihm regierte Türkei, allein 2,7 der 5 Millionen aus Syrien geflohenen Menschen leben dort.

Merkel setzt darauf, dass Erdogan, der sich auch als Beschützer der islamischen Welt sieht, dieses Herbergsvater-Image für Muslime in Not nicht aufgeben wird. Denn platzt die Abmachung, würde die Türkei zum Schleuserland schlechthin. Menschenschmuggler würden sich, wenn nicht durch den türkischen Staat selbst, dann entlang seiner Ägäis-Küsten ihre Routen bahnen.

Die Flüchtlingskrise wird am Ende die Türkei und die EU eben nicht weiter auseinandertreiben, wie es derzeit scheint. Sie wird zur Zusammenarbeit zwingen. Nicht Merkel ist auf Erdogan angewiesen, sondern Europa. Und umgekehrt!

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