- Was Islamisten und viele Europäer gemeinsam haben
Er gilt als „Marco Polo des Orients“: Der Reisende Ibn Battuta nahm die islamische Welt des 14. Jahrhunderts als Hort der Toleranz wahr. 700 Jahre später begab sich der Autor Erich Follath auf die Spuren des alten Pilgers. Was er sah, war eine andere islamische Welt: jenseits von Klischees, zerrissen zwischen Reformern und Fundamentalisten
Ibn Battuta bereiste im 14. Jahrhundert weite Teile der damals bekannten Welt. Seine 30-jährige Odyssee führte ihn von Tanger über Mekka, die Krim bis nach Samarkand, Indien, Indonesien und China. Er reiste zu Fuß, auf Schiffen, durch Wüsten und Gebirge – 120.000 Kilometer, eine Strecke, dreimal so lang wie der Äquator. Diese Leistung übertraf selbst die Expeditionen des Marco Polo. Das einigende Band der von ihm besuchten Länder war der Islam: In seinen Schriften schildert der „König aller Reisenden“ eine Religion des Fortschritts und der Toleranz. Der deutsche Autor Erich Follath folgte Battutas Route: In seinem Buch „Jenseits aller Grenzen“ zeigt er eindrucksvoll, wie fundamental sich die islamische Welt verändert hat.
Herr Follath, Ibn Battuta brach im Alter von 21 Jahren zu einer Pilgerfahrt nach Mekka auf. Statt zurückzukehren, reiste er immer weiter. Rund sieben Jahrhunderte später haben Sie innerhalb eines Jahres die wichtigsten Stationen des Ibn Battuta besucht. Was hat Sie dazu bewogen?
Während meiner jahrzehntelangen Reisen um die Welt stieß ich immer wieder auf eine Figur, von der – vor allem im arabischen Raum – erzählt wurde: Ibn Battuta. Mein langjähriger Freund und Kollege Peter Scholl-Latour hatte immer Ibn Battutas Werk „Rihla“ dabei – was auf Deutsch „Die Reise“ bedeutet. Ich war neugierig, besorgte mir das Werk und war begeistert.
Ende 2014 entschied ich mich dafür, mich für ein Jahr auf die Spuren Battutas zu begeben. Die gesamte Reiseroute wäre in einem Jahr nicht zu bewältigen gewesen, schon aufgrund der aktuellen politischen Lage in einigen Ländern. So entschied ich mich für zwölf Reiseziele in zwölf Ländern für die zwölf Monate im Jahr 2015.
Battuta bereiste die damalige islamische Welt in ihrer extremsten geografischen Ausdehnung. Gab es noch Spuren dieser Epoche? Oder sind diese restlos untergegangen?
Es gibt sie noch, besonders die Städte, von denen Battuta fasziniert war – sie sind viel größer als damals natürlich. Gleichwohl benötigte ich für meine zwölf Staaten elf Visa, während Battuta eine islamische Welt vorfand – die Umma – die grenzenlos war, im wahrsten Sinne dieses Wortes
Trotzdem bin ich seiner Welt begegnet, in Form des grandiosen architektonischen Erbes, der uralten Überlieferungen, der ethnischen und sozialen Vielfalt. Ich reiste durch eine globalisierte islamische Welt, ebenso wie Ibn Battuta zu seiner Zeit.
In unserer globalisierten Welt werden wieder Grenzzäune errichtet, teilweise sogar innerhalb der EU. Ist dieses Zeitalter möglicherweise doch nicht so fortschrittlich, wie wir gerne glauben möchten?
Heute werden fast täglich irgendwelche Drahtzäune aufgestellt. Das Mittelalter, also das Zeitalter Battutas, welches wir aus europäischer Perspektive – nicht zu Unrecht – als düstere Epoche betrachten, war damals in der Region des Islam nahezu grenzenlos. Es gab ein Gefühl einer Gemeinschaft. Battuta hätte sich wahrscheinlich nicht als Bürger Tangers definiert, sondern als Weltbürger, als Bürger der islamischen Gemeinschaft, was für ihn das Gleiche bedeutet hätte.
Inwieweit unterscheidet sich die Welt des Islams heute mit von der von Ibn Battuta?
In der arabischen Welt bekämpfen Militärdiktaturen den Islam. Religiöse Diktaturen unterdrücken ebenfalls ihre Bürger. Das gemeinsame Band des Islams, wie es Battuta vorfand, scheint zerrissen. Im nicht-arabischen, schiitischen Iran halten viele Bürger ihren „Gottesstaat“ für gescheitert. In Saudi-Arabien werden Menschenrechte mit Füßen getreten.
Salman Rushdie sagte einmal: „Mithilfe des enormen Wohlstands, den unsere Petro-Dollars brachten, haben die Saudis ihre sehr fundamentalistische Version des Islam verbreitet, die zuvor innerhalb der islamischen Welt nur den Status einer Art Sekte besaß. Dadurch – durch die Verbreitung der saudischen Form – hat sich die ganze Natur des Islam zum Nachteil verändert!“ Teilen Sie diese Einschätzung?
Die Ausbreitung der fundamentalistischen, puristischen, antipluralistischen, saudischen Form des Islams, des Wahhabismus, war nicht zu übersehen. Natürlich trägt der Westen durch seine Bündnispolitik da eine Mitverantwortung. Allerdings gibt es auch in der islamischen Welt zahlreiche Bemühungen, diese Tendenzen zu verhindern, zum Beispiel im volkstümlichen, ländlichen Islam Ägyptens.
Im Westen wächst die Ablehnung gegenüber Muslimen und dem Islam, im Nahen und Mittleren Ostens prägen Terror, Bürgerkriege und Staatszerfall den Alltag. Was würde Battuta heute dazu sagen?
Eine interessante Frage. Im Herbst vergangenen Jahres waren laut einer Umfrage fast zwei Drittel aller deutschen Nichtmuslime der Meinung, der Islam passe nicht in die westliche Welt. Gleichzeitig erkennen 90 Prozent der Muslime in Deutschland die Demokratie als beste aller Regierungsformen an. Viele Europäer scheinen im Zeitalter von islamistischem Terror nicht mehr zwischen Islam und Islamismus unterscheiden zu wollen. Damit aber teilen sie unbewusst die Auffassung der Islamisten: Die erkennen diesen Unterschied ebenso wenig an.
Ihr Freund und Kollege Peter Scholl-Latour sagte einmal: „Ich fürchte nicht die Stärke des Islam, sondern die Schwäche des Abendlandes.“
Das ist richtig. Dieser Trend wird verstärkt durch Pauschalurteile und Verdächtigungen. Die kritische Auseinandersetzung mit dem Islam wird mancherorts zu einem Amoklauf gegen diese Religion. Aber selbst wer im Westen den Islam für den Feind hält, kommt nicht um die Tatsache herum, dass irgendwann – Mitte dieses Jahrhunderts – der Islam die zahlenmäßig stärkste Religionsgemeinschaft sein wird. Das wird kein monolithischer Block sein, sondern eine Welt der ausgeprägten Verschiedenheit. Dieser Tage eskaliert zwischen Reformern und Fundamentalisten der Kampf um die Deutungshoheit.
[video:Auf den Spuren von Ibn Battuta]
So wie Ibn Battuta reiste 1981 auch der britische Schriftsteller V. S. Naipaul in die vier größeren nicht-arabischen Staaten der islamischen Welt – Iran, Pakistan, Malaysia und Indonesien. Wird sich das Zentrum der islamischen Welt von den arabischen Staaten entfernen, beispielsweise nach Indonesien?
Das ist gut möglich. Indonesien ist das Land mit der größten Bevölkerung in der islamischen Welt. Ich habe dort sehr hoffnungsvolle Ansätze beobachtet, politische Systeme zu entwickeln, die den Bedürfnissen der Bevölkerung nach freier Ausübung der Religion entgegenkommen. Von dort könnten auch Impulse zur Erneuerung des Islam kommen. Denn in der arabischen Welt besteht das Hauptproblem darin, dass man häufig der Meinung ist, der Koran dürfe auf keinen Fall interpretiert werden.
Wäre Ibn Battuta heute eine Zielscheibe von Islamisten und Islamfeinden?
Mit Sicherheit. Islamfeinde im Westen und Islamisten hätten seine differenzierte Betrachtungsweise, seine Bildung und Weltgewandtheit als Provokation empfunden.
Könnte sein Werk heute zum Verständnis zwischen Muslimen und Nichtmuslimen beitragen?
Ibn Battuta wurde zum Prototyp eines Reisenden. Er machte eine Pilgerfahrt durch die Welt, inspirierte künftige Globetrotter, brachte seine Leser zum Staunen, seine Feinde zum Schäumen. Wenn nicht im Westen, aber doch in der Welt der Muslime, ist Battuta inzwischen zu einem literarischen und historischen Fixstern geworden. Eine Inspiration für Forscher, Reisende, Sinnsuchende. Das ist das wahre Vermächtnis des Ibn Battuta.
Das Interview führte Ramon Schack.
Erich Follath: Jenseits aller Grenzen. DVA, 22. Februar 2016, 24,99 Euro.
Fotos: dpa/CPA Media/Pictures From History (Aufmacher), Leemage/dpa (Gemälde Ibn Battuta), Frank Schumann/Der Spiegel/Verlagsgruppe Randomhouse (Porträt Erich Follath)
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