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Attentat auf Olof Palme - So nah war die Stasi am Mordverdächtigen dran

Ein Freitagabend, eine enge Gasse, ein Schuss von hinten: Vor 30 Jahren wurde der schwedische Premierminister Olof Palme kaltblütig ermordet. Bis heute ist kein Attentäter gefasst. Die Stasi war jedoch einem Tatverdächtigen auf der Spur. Erstmals zeigen Akten aus dem „Sonderstab Palme-Mord“, wie ernst der DDR-Geheimdienst diesen Anschlag nahm

Autoreninfo

Von Andreas Förster ist vor Kurzem das Buch Eidgenossen contra Genossen - Wie der Schweizer Nachrichtendienst DDR-Händler und Stasi-Agenten überwachte im Berliner Ch. Links Verlag erschienen.

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Der Mord an Olof Palme ist 30 Jahre her. Doch noch immer tappen die Ermittler im Dunkeln. Erkenntnisse über den Schützen und den Tathintergrund? Fehlanzeige.                   

Ende Februar luden Polizei und Justiz in Stockholm zu einer Pressekonferenz. Rund 8000 Spuren sei man nachgegangen. Keine davon habe zur Lösung des Falls geführt. Die Ermittler zeigten erneut ein Phantombild des möglichen Täters, das damals nach Zeugenaussagen angefertigt wurde.

Verdächtigt wurde ein Iraner aus Uppsala
 

Dem DDR-Staatssicherheitsdienst lag das Bild 1986 auch vor. Dort hatte man kurz nach dem Palme-Mord eine eigene Sonderkommission zu dem Fall gebildet. Das Phantombild brachte die Stasi-Offiziere auf die Spur eines in Uppsala lebenden Iraners. Das nächtliche Attentat, die Verwicklung der Geheimdienste: Die Geschichte dieses Politikermordes ist ein wahrer Krimi.

Es ist der 28. Februar 1986. Olof Palme und seine Frau Lisbet besuchen an diesem Abend das Kino Grand in der Stockholmer Innenstadt. Sie schauen sich zusammen mit ihrem Sohn den Film „Gebrüder Mozart“ an. Vor dem Kino trennt sich die Familie. Das Ehepaar geht allein nach Hause. Sie sind ohne Leibwächter unterwegs, auf die der schwedische Ministerpräsident wie so oft in seiner Freizeit verzichtet.

Es ist 23.15 Uhr. Ein paar Meter vom Kino entfernt, an der Ecke Sveavägen/Tunnelgatan, kommt Palme ein Mann entgegen. Im Vorbeigehen rempelt er ihn leicht an der Schulter an. Es kommt zu einem kurzen Disput zwischen dem Unbekannten und dem Politiker, während die Frau langsam weiterläuft. Dann geht auch der Mann weiter, dreht sich aber plötzlich um und feuert aus einem Meter Entfernung einen Schuss in Palmes Rücken. Dann zielt er auf den Kopf von Lisbet Palme, aber er verfehlt sie knapp, weil sie sich in dem Moment bewegt. Ein Streifschuss verletzt sie nur leicht an der Schulter.

Als Drahtzieher kamen CIA, Mossad, PLO, Iran und einheimische Neonazis in Frage
 

Der Täter läuft los in die nur schwach beleuchtete Tunnelgatan, ein schmale Seitenstraße. Nach einigen Metern, auf Höhe der Baracken der Firma Kommunbyggs, bleibt er stehen und dreht sich um. Er sieht Lisbet Palme neben ihrem tödlich getroffenen Mann knien. Sie schaut hoch, blickt dem Mörder für Augenblicke ins Gesicht. Reglos schaut der Mann zurück, schweigend. Dann dreht er sich um, läuft weiter, biegt in eine Nebengasse ein, die Lundmakargatan, und verschwindet.

Seitdem sind drei Jahrzehnte vergangen, aber Täter und Hintergründe des Politikermordes sind nach wie vor ungeklärt. Dafür blühen Legenden und Verschwörungstheorien über das „schwedische Kennedy-Attentat“. Bücher sind darüber geschrieben worden und Filme gedreht. Die Täter werden wechselweise in PKK und PLO vermutet, ebenso bei der CIA, dem Mossad und beim BOSS, dem südafrikanischen Geheimdienst. Daneben zählen der Iran und einheimische Neonazis ebenso zum engeren Kreis der Verdächtigen wie eine geheime Bruderschaft aus Militär, Wirtschaft und Polizei Schwedens.

Der Sozialdemokrat Palme, der sein Land von 1969 bis 1976 und von 1982 bis 1986 regierte, hatte sich mit einer selbstbewussten Außenpolitik viele Gegner im In- und Ausland gemacht. Als starker Kritiker des Vietnam-Kriegs legte er sich mit dem Weißen Haus an, als Kämpfer gegen die Apartheid zog er den Zorn des dortigen Regimes auf sich. Sein Verständnis für die Sache der PLO verärgerte Israel, und auch seine Vermittlerrolle im Iran-Irak-Krieg bescherte ihm Missgunst. Und dann waren da noch geheime Rüstungsgeschäfte schwedischer Hersteller mit dem Ostblock und mit Kriegsparteien, die Palme großzügig abdeckte.

Stasi richtete Ermittlungskommission ein
 

In diese geheimen Rüstungsgeschäfte war auch die DDR einbezogen. Das könnte ein Grund dafür sein, dass die Stasi nach dem Palme-Mord ungewöhnlich aktiv wurde, wie aus bislang unveröffentlichten MfS-Akten hervorgeht. Offenbar fürchtete Ostberlin, dass die schwedischen Waffen- und Pulverlieferungen in die DDR und die ostdeutsche Unterstützung von Rüstungsexporten aus Stockholm in den Iran durch die Mordermittlungen aufgedeckt würden. Das hätte zu diplomatischen Verwicklungen führen können.  

Schon vier Tage nach dem Mord in Stockholm jedenfalls gab Stasi-Minister Erich Mielke persönlich eine Anweisung: Er wollte eine eigene Ermittlungskommission einrichten. Der dreiköpfige „Sonderstab Palme“ wurde von Oberst Günther Jäckel geleitet, stellvertretender Chef der für Terrorismusbekämpfung zuständigen Hauptabteilung XXII. Das Gremium hatte die Stasi-Führung täglich über die „Fahndungs- und Ermittlungsarbeit der gegnerischen Sicherheitsorgane“ zu informieren. Jeweils zu Dienstbeginn sollte es Mielkes Stellvertreter Gerhard Neiber eine Fortschreibung der aktuellen Erkenntnislage vorlegen.

Stasi-Agenten wurden in verschiedenen Terrororganisationen und deren Umfeld platziert. Ihre Informationen liefen beim „Sonderstab Palme“ ein. So berichtete beispielsweise IM „Doktor“, ein Spitzenfunktionär der Demokratischen Partei Kurdistans, dass Kurden in Westberlin und Schweden eine Verwicklung gemäßigter Kräfte ausschließen würden, eine Mittäterschaft der PKK hingegen nicht.

RAF-Mittäterschaft wurde ausgeschlossen
 

Ein IM „David“ meldete Details aus PLO-Kreisen in Tunis. Dort habe der Mord Unverständnis hervorgerufen und sei verurteilt worden. „Die verschiedenen Teilorganisationen der PLO und anderer Organisationen der Palästinensischen Widerstandsbewegung, zum Beispiel auch die Abu-Nidal-Gruppe, (würden) gerade in Schweden recht gute Arbeitsverhältnisse vorfinden, die sie kaum durch einen Mordanschlag aufs Spiel setzen würden“, konstatierte IM „David“. Andere Stasi-IM kamen zu dem Schluss, dass auch solche linken Terrorgruppen wie Asala und die Japanische Rote Armee nicht hinter dem Anschlag stecken würden.

Die Stasi traf sich regelmäßig im Spreewald, im „Forsthaus an der Flut“ in Briesen. Sie tauften das konspirative Objekt „Falke“. Dort wertete der Geheimdienst mit einigen der in der DDR untergetauchten RAF-Aktivisten die Hintergründe des Palme-Mordes aus. Das Fazit: Sowohl die Zielauswahl als auch die angewandten Mittel und Methoden ließen „eine Täterschaft der RAF als nicht wahrscheinlich erscheinen“, heißt es in einem Bericht an Stasi-Vize Neiber. Zwar bekannte sich schon wenige Tage nach der Tat ein angebliches „Kommando Christian Klar“ in einem Telefonanruf zum Palme-Attentat. Aber auch die westdeutschen Ermittlungsbehörden gingen in diesem Fall von Trittbrettfahrern aus.

Schließlich gab der „Sonderstab Palme“ einen Befehl an die Stasi-Hauptabteilung VI, die für die Grenzsicherung zuständig ist: Sämtliche Grenzpassagen aus Richtung Skandinavien seit dem Mord seien auszuwerten. Insgesamt überprüfte die Stasi die kopierten Passdokumente von rund 3000 Personen. Betroffen waren alle, die bis zum 9. März 1986 aus Schweden kommend über die Fährhäfen in Saßnitz und Rostock-Warnemünde sowie über den Flughafen Berlin-Schönefeld in die DDR eingereist waren. Die Ermittler verglichen die Passfotos mit Phantombildern, die die schwedische Polizei vom Palme-Mörder und seiner mutmaßlichen Helfer vor Ort veröffentlicht hatte.

Stasi machte den Iraner Heidari zum Hauptverdächtigen
 

Bei diesen Überprüfungen stieß die Stasi auf einen Exil-Iraner Amir Heidari aus Uppsala. Er wies große Ähnlichkeit mit dem ersten veröffentlichten Phantombild des Schützen auf. Außerdem trafen zwei weitere Merkmale auf ihn zu – Größe und mögliches Alter. Der Name des Mann ist in den von der Stasi-Unterlagenbehörde herausgegebenen Akten zwar geschwärzt. Klar ist aber: Heidari war am 3. März 1986 aus Schweden kommend im Flughafen Berlin-Schönefeld gelandet und von dort nach Westberlin weitergereist.

Heidari war kein Unbekannter. Bei Interpol galt der Iraner als Kopf einer der größten Schlepperorganisationen Europas. Von seiner Zentrale in Uppsala aus hatte er seine Helfer befehligt und zwischen 1980 und 2010 rund 200.000 Flüchtlinge nach Europa, in die USA und nach Kanada gebracht. Allein nach Schweden sollen er und seine Helfer fast 40.000 Menschen geschmuggelt haben.

Den Stasi-Akten zufolge informierte der „Sonderstab Palme“ im März 1986 umgehend Minister Mielke über den Verdacht gegen Heidari. Denn auch beim DDR-Geheimdienst war der Iraner bereits aufgefallen. Im Juli 1985 war er in Ostberlin festgenommen worden. Man hatte ihn dabei erwischt, wie er Pässe iranischer Staatsbürger fälschte, die in die DDR eingereist waren. Er wollte ihnen eine Weiterreise nach Schweden ermöglichen. Bei einer Vernehmung gab Heidari damals an, dass sein Vorgehen den schwedischen Behörden bekannt sei und dort gebilligt werde. Dennoch wies ihn die DDR aus und verhängte eine Einreisesperre gegen ihn.

Heidari wurde wegen illegaler Schleusung verhaftet
 

Tatsächlich hatte auch Stockholm den in Ostberlin festgenommenen Exil-Iraner bereits im Visier. Das erfuhr die Stasi wenig später von schwedischen Quellen. Auch fand die Stasi bei ihren weiteren Ermittlungen heraus, dass Heidari angeblich zu einer geheimen Widerstandsorganisation gehörte. Diese sei mit ehemaligen Agenten des Schah-Geheimdienstes SAVAK durchsetzt und habe Verbindungen zu BND und CIA unterhalten.

Der „Sonderstab Palme“ zog daraus das Fazit, dass der verdächtige Exil-Iraner ein Motiv für den Mord an Palme gehabt haben könnte: Zum einen die Khomeini-freundliche Politik der schwedischen Regierung und Palmes Vermittlerrolle im Iran-Irak-Krieg, die die Schah-Anhänger gegen den Ministerpräsidenten aufgebracht hätten; zum anderen die Maßnahmen der schwedischen Regierung „zur Unterbrechung des durch diese Person mitorganisierten Asylantenstroms“ aus dem Iran, wie es in einem Vermerk für Stasi-Minister Mielke heißt.

Im Oktober 1986 nahm die schwedische Polizei Heidari in seinem Wohnort Uppsala fest. Der Vorwurf: Nicht der Anschlag auf Palme, sondern illegale Einschleusung iranischer Bürger nach Schweden. In den folgenden Jahren wurde der Iraner wiederholt verhaftet. und wegen seiner Schleusertätigkeit zu mehreren Gefängnisstrafen verurteilt. 2010 verwiesen ihn die Schweden schließlich des Landes. Daheim in Iran kam er ins Gefängnis und wurde gefoltert, wie er selbst später angab. Nach sieben Monaten sei ihm die Flucht gelungen. Heute vermuten Ermittler Heidari irgendwo in Europa.

Wegen des Palme-Mordes wurde Heidari jedoch nie belangt. In einem Interview mit der schwedischen Zeitung Expressen hatte er gesagt, er sei am Mordabend auf einer Geburtstagsparty in Stockholm gewesen.

Das könnten mehr als ein Dutzend seiner iranischen Freunde bezeugen.

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