- Nazis, zeigt euch!
Kolumne Stadt, Land, Flucht. Was gemein ist? Monatelang mit Menschen zu tun gehabt zu haben, die man dann auf einer Party in trauter Gemeinschaft mit ihren Nazikameraden trifft. Besser ist es, man erkennt sie gleich. Dann ist es auch gut, wenn sich ihr intellektueller Bankrott in ihrer Kleiderauswahl widerspiegelt
Zunächst einmal: Ich bin nicht dabei gewesen. Ich habe am Samstag vergangener Woche vier Kinder ins Bett gebracht und mich dann dazu gelegt. Um am nächsten Morgen um fünf Uhr wieder Brei zu kochen. Das nur nebenbei.
Wir hatten mal wieder Besuch aus der Stadt und so dachte der Bauer, er bietet den Gästen etwas. Den Klassiker unter den Dorffeierlichkeiten sogar – das Schützenfest. Erst am nächsten Morgen klärte man mich darüber auf, was sich im Festzelt abgespielt hatte.
Zwischen die feiernden Schützenthronanwärter hatten sich zur Happy Hour mit Korn und Cola drei Besucher in Thor-Steinar-Kleidung gemischt. Das Auftreten der muskulösen Männer, deren Shirts in Fraktur die „Helden der Wehrmacht“ preisten, überraschten außer meinen Mann und die Städterfreunde nach kaum einen. Auf Nachfrage riet man ihnen denn, ihre „politischen Überzeugungen“ bei solch einer Festlichkeit „an der Garderobe“ abzugeben.
Zutiefst verunsichert
Wir lernen also: Während in den Städten jeder seine eigene Party feiert, müssen sich auf dem Land Nazis, Antifaschisten, Normalos und Proleten zusammenraufen. Wenn es nicht ständig eingeschlagene Zähne oder zumindest verbale Auseinandersetzungen geben soll, ist das wahrscheinlich sinnvoll. Wir lernten aber noch etwas: Man kann niemals sicher sein, wen man vor sich hat. Im Dunstkreis der Nazis befand sich auch eine Bekannte, mit der ich in den vergangenen Monaten zu tun hatte.
Ich bin seither tief verunsichert, wer hier noch alles dazu gehört. So wird jedes Gespräch im Dorf zum Testlauf. Etwa wenn die sehr blonde Frau vom Ordnungsamt sich darüber beschwert, dass am Monatsanfang übel riechende „ausländische Mitbürger“ in ihr Büro strömten, um die Schecks abzuholen. Oder wenn der Augenarzt die „ostblockartigen Diagnoseverfahren“ der Konkurrenz anprangert.
Überall höre ich den Nazi heraus und frage mich ständig, woran ich bin. Bin ich umgeben von rechten Menschenhassern? Langsam kommt mir der Gedanke, dass ich ganz froh wäre, wenn all diese Idioten ihre beschränkte Sicht der Dinge in hässlichem Kleidungsstil ausdrückten. Wenn ihre intellektuelle Bankrotterklärung gleichzeitig in der ästhetischen einen Widerhall fände. Dann wüsste ich, woran ich bin. Aber so?
Trauriger Alltagsangst
Die rechte Realität in Deutschland spiegelt das Konkret-Magazin seit nunmehr sieben Jahren mit einer Chronik. Hier werden „Vorfälle aus dem ganz normalen deutschen Alltag“ dokumentiert. Demnach vergeht in Deutschland kein Tag ohne rassistische, antisemitische oder neofaschistische Vorfälle – hier ein paar Hakenkreuze an jüdischen Friedhöfen, da eine Benzin-, Sprengstoff- oder Buttersäureattacke auf ein Flüchtlingsheim. Nicht zu vergessen: zahlreiche verbale und nonverbale Angriffe auf Migranten. Die Angst vor dem Fremden schlägt immer häufiger um in Gewalt. Einen 24-prozentigen Anstieg rechtsextremistischer Angriffe hat der Verfassungsschutz im vergangenen Jahr gezählt. Eine Berichterstattung über vermeintliche „Heerscharen“ an Asylbewerbern und deren vermeintlich hohen Kosten für Deutschland leistet dem Vorschub.
In einem Dossier haben die Schüler der kirchlichen Journalistenschule ifp vor einiger Zeit vorgerechnet, wie viel Geld Deutschland für Asylbewerber ausgibt. Im Jahr 2011 waren das zum Beispiel 908 Millionen Euro. Die entsprechen „drei Tausendstel des gesamten Bundeshaushaltes“. Tau-sends-tel!
Aber wer braucht schon solche Fakten, wenn er die politische Überzeugung an der Garderobe abgeben kann.
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