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Islamistischer Anschlag in Texas - Der Westen kassiert sich selbst

Kisslers Konter: Zwei Attentäter schießen auf eine Ausstellung, in der Mohammed-Karikaturen gezeigt werden. Die Tat ist unentschuldbar. Dennoch sehen sich nun eher die Veranstalter als die Angreifer auf der Anklagebank. So verspielt der Westen sein Freiheitsversprechen, dessen Kern die Freiheit zum Streit ist – und die Bereitschaft, fremde und falsche Ansichten zu ertragen

Alexander Kissler

Autoreninfo

Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Provokation gelungen, Attentäter tot: Ist das die Moral des Anschlags von Garland, Texas? Am Sonntagabend schossen dort zwei Männer auf ein Kulturzentrum, in dem gerade eine Ausstellung mit Mohammed-Karikaturen eröffnet worden war. Es soll sich um Sympathisanten des „Islamischen Staates“ handeln.

Polizisten, zum Schutz der Ausstellung abgestellt, erwiderten das Feuer. Ein Polizist wurde verletzt, die beiden Angreifer starben. Hätte niemand sie aufgehalten, müssten wir womöglich bis zu 200 Tote beklagen, darunter den niederländischen Politiker Geert Wilders, der zur Eröffnung eine Rede gehalten hatte. Hieße es dann heute weltweit „I am Geert“, „Ik ben Wilders“?

Vermutlich nicht. Der Rechtspopulist gilt als schmieriger Geselle, sein Identifikationspotential außerhalb der Sympathisantenszene ist gering. Doch hätte er den Tod verdient, entschuldigt die charakterliche oder weltanschauliche Disposition eines potentiellen Opfers die Täter, ein kleines bisschen zumindest? Offenbar tut sie das, lautet der Tenor der Berichterstattung doch, dies- und jenseits des Atlantiks: Selber schuld. Man weiß, was einem blüht, wenn man Muslime reizt. Oder Geert Wilders sich ins Haus lädt. Oder gar beides, wie es die Veranstalter von Garland getan haben, für die „provokante islamfeindliche Aktionen“ das tägliche Brot sind.

Die „Amerikanische Initiative zur Verteidigung der Freiheit“ (AFDI) gelte als „extrem rechts und anti-islamisch“.

So erklärt man es uns. Das mag komplett stimmen – doch ein Beleg macht stutzig: Die AFDI habe in ihrem Furor eine „Kampagne gegen den Bau eines islamischen Zentrums in der Nähe des World Trade Center“ gestartet.

In diesem Kampf hatte sie indes einen prominenten Mistreiter, den saudi-arabischen Blogger Raif Badawi, der im Plan für ein solches Zentrum eine große Geschmacklosigkeit sah. Wegen dieser und vergleichbarer Meinungsäußerungen wurde er zu 1000 Peitschenschlägen verurteilt.

Früher gab es zahllose Darstellungen Mohammeds
 

Rund 350 Einsendungen zum Mohammed-Zeichenwettbewerb gab es. Immerhin 10.000 Dollar standen als Preisgeld bereit. Eine Zeichnung zeigt den schwertschwingenden Mohammed mit der Sprechblase „Ihr könnt mich nicht zeichnen“ und eine Hand mit Bleistift, die genau das tut, „darum zeichne ich dich.“ Das hat, soviel wird man sagen dürfen, „Charlie Hebdo“-Niveau. Auf einem anderen Bild zischen aus Mohammeds Bart dem Betrachter Schlangen entgegen, bissig und wild. „Für viele Muslime“, lesen wir bei tagesschau.de, „sind bildliche Darstellungen des Propheten als Gotteslästerung verboten.“

Das stimmt, doch es stimmt nur für heute – früher gab es gerade in Persien zahllose Darstellungen Mohammeds –, es stimmt tatsächlich nicht für alle Muslime, und es verwischt die Grenzen zwischen Prophet und Gott; letzteres war Mohammed nach keiner Lesart. Tahar Ben Jelloun schreibt in seinem klugen Buch „Der Islam, der uns Angst macht“: Mohammed könne „gar nicht karikiert werden, er ist ein Geist, ein höher stehender Geist, nicht mit einem Bleistift zu erfassen.“ Jelloun weiß, dass er viele Muslime mit dieser Auffassung gegen sich hat, sein düsteres Fazit verwundert nicht: „Der Islam ist zum Synonym für Grausamkeit, Rückschritt und Barbarei geworden.“

Haben die Veranstalter von Garland, Texas klug gehandelt? Sie müssen sich auf jeden Fall jene Frage gefallen lassen, die nach den Attentat auf die Redaktion von „Charlie Hebdo“ Anne Marie Slaughter von der „New America Foundation“ stellte: ob „Darstellungen des Propheten Mohammed geeignet sind, die Art von Debatte und Verhalten zu fördern, die mit dem Zusammenleben von Muslimen, Christen, Juden, Andersgläubigen und Atheisten in einer Gesellschaft vereinbar sind“? Diese Frage aber kann nur gestellt werden, wenn es keine rhetorische ist, wenn wir alle uns noch gemeinsam in einem abwägungsoffenen Raum befinden.

Das Umstrittene ist der Normalfall
 

Genau damit soll es nach dem Willen der radikalislamischen Attentäter weltweit ein Ende haben – und offenbar auch nach der fürsorgenden Ansicht vieler Kommentatoren im angeblich so freien Westen. Darum kam kaum eine Meldung ohne den Zusatz aus, die fragliche Ausstellung sei „höchst umstritten“ gewesen. Natürlich war sie das, natürlich kann man sie für eine zynische Eselei halten, für einen Akt kraftmeierischen Bekenntnisstolzes, wie man ihn Texanern leicht zutraut. Darüber aber gerät in Vergessenheit, dass das Umstrittene der Normalfall ist in einer freien Gesellschaft. Dinge sind nur dann umstritten, wenn man über sie streiten darf. Und wenn man öffentlich nicht mehr frei streiten darf, mit richtigen oder mit falschen Argumenten, ist es vorbei mit der Freiheit. Kim Jong Un ist in Nordkorea alles andere als umstritten; das Herrscherhaus der Al Saud erfreut sich in Riad eines fabelhaften Leumunds. Nicht am Umstrittenen geht eine freie Gesellschaft zugrunde, sondern an denen, die keinen Streit ertragen.

Niemand darf verpflichtet sein, den Islam zu mögen. Niemand muss in Habachtstellung gehen, wenn Vertreter von Kirche oder Synagoge für ihre Ziele werben. Wir alle aber sind verpflichtet, die Ansichten und Narreteien der anderen zu ertragen. Das und nichts anderes meint Toleranz. Insofern sind die schleichende Täter-Opfer-Umkehr und die galoppierende Bereitschaft des Westens, den Kern seines Freiheitsversprechens aus Angst vor Islamisten einzukassieren, die eigentlich beunruhigende Nachricht aus Garland, Texas.

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