- Exklusiv für Xing-Leser: Es knirscht vernehmlich
Die deutsch-französischen Regierungskonsultationen – für kommende Woche fest geplant – sind auf Januar verschoben. Offiziell heißt es, Minister seien verhindert und in einigen Fragen gebe es noch Abstimmungsbedarf. Also hätten beide Seiten gemeinsam die Verschiebung um wenige Wochen beschlossen. Bestenfalls eine Teilwahrheit.
Im Aachener Vertrag haben Deutschland und Frankreich regelmäßige Regierungsgespräche fest miteinander vereinbart. Mindestens einmal pro Jahr sind gemeinsame Sitzungen beider Kabinette vorgesehen. Nun, 2022, wird es sie nicht geben. Die Konsultationen in der kommenden Woche sind abgesagt und auf Januar verschoben worden. Man muss nicht gleich alles überbewerten und dramatisieren, aber der Normalfall ist es eben nicht, dass solche Gespräche abgesagt werden.
Am Verhältnis der beiden Chefs zueinander liegt es sicher nicht. Emmanuel Macron und Olaf Scholz verstehen sich gut, haben und pflegen einen engen Draht. Der Kanzler wird am kommenden Mittwoch auch weiterhin in Paris erwartet, zwecks persönlicher Absprachen vor dem EU-Gipfel. So weit so gut.
Aber hinter den Kulissen der beiden Regierungsapparate knirscht es heftiger, als zugegeben wird. Und das in mehreren Fragen. Allein die Art und Weise der jetzigen Verschiebung spricht Bände: Die französische Seite hatte zunächst über die Pariser Ausgabe des Nachrichtentableaus Politico durchsickern lassen, dass die Konsultationen wohl nicht wie geplant stattfinden würden. Dass Regierungssprecher Hebestreit am Tag darauf in der Bundespressekonferenz den Vorgang bestätigte und als Grund dafür eben parallele Verpflichtungen mehrerer Minister und inhaltliche Abstimmungsfragen benannte, hat gleichwohl für Irritationen gesorgt. Auch die offizielle Meldung über die Verschiebung hätte der Gastgeber Paris gerne selbst verkündet. Man kann das für eine Petitesse und eine Stilfrage halten. Aber die sind in Frankreich nun einmal wichtig.
Die Differenzen reichen von der Energie- bis zur Verteidigungspolitik
Zur Wahrheit über die Regierungskonsultationen gehört auch, dass zwar ein Treffen pro Jahr vertraglich festgeschrieben ist, dass aber schon der Termin 2020 wegen Corona ausfallen musste und der 2021 nur als Videokonferenz stattfinden konnte. Ein reales Zusammentreffen der ja in beiden Ländern neuen Regierungsmannschaften wäre wichtig gewesen. Die Zusammenarbeit wird in aller Regel besser, wenn die handelnden Personen sich auch persönlich kennen und verstehen.
Und damit zu den inhaltlichen Differenzen. Denn davon gibt es zurzeit mehr als nur eine. Sie betreffen sehr unterschiedliche Punkte, reichen von der Energie- bis zur Verteidigungspolitik. Einerseits liefert Frankreich seit letzter Woche erstmals direkt Gas nach Deutschland und erhält im Gegenzug – nicht zum ersten Mal – Strom, weil die Hälfte aller Atomkraftwerke wegen Wartungsarbeiten und technischer Probleme nicht am Netz sein können. Das wird in Paris positiv vermerkt. In Zeiten des heißen Kriegs Russlands gegen die Ukraine und des Wirtschaft- und Energiekriegs gegen die EU-Staaten sei das ein wichtiges Signal. Gleichzeitig will Frankreich aber an den faktisch widerlegten Lebenslügen festhalten, man produziere mehr als genügend (Atom-)Strom, der sei zudem billig, und deshalb sei Atomstrom auch die Lösung künftiger Energiefragen.
Überhaupt denkt man in Paris, Gas sei in erster Linie ein deutsches Problem, für den Rest Europas gehe es beim Thema Energiesicherheit viel mehr um Stromfragen. Auch deshalb sind die Probleme um die projektierte Gaspipeline MidCat-STEP aus Spanien entstanden. Frankreich hat das Projekt ganz offiziell bereits 2019 als ökologisch und vor allem ökonomisch unsinnig beerdigt. Wenn eine bereits bestehende kleinere Gasleitung zwischen Frankreich und Spanien nur zur Hälfte ausgelastet sei, welchen Sinn mache dann eine größere, fragt man sich hier. Vor allem aber ist man irritiert über den spanisch-deutschen Alleingang.
Deutschlands Ablehnung eines gemeinsamen Gaspreisdeckels löst Irritationen aus
Wenn Spanien und Deutschland angesichts der Energiekrise eine Neubewertung der Sachlage anstrebten, dann müsse man schon mit Frankreich reden. Abgesehen davon, dass die Leitung frühestens in einigen Jahren fertig wäre und erst dann, wenn der Krieg in der Ukraine hoffentlich längst beendet ist, Beiträge zur Versorgungssicherheit lieferte, sind die Regierungen in Berlin und Madrid in der Pflicht, zu belegen, welchen Nutzen die Gaspipeline MidCat haben könnte, auch für Frankreich.
Insgesamt versteht man das Verhalten der Bundesregierung in Fragen der Energiepolitik in Paris nicht: In Europa vehement gegen einen gemeinsamen Gaspreisdeckel zu agieren, aber gleichzeitig im nationalen Alleingang – Stichwort Doppel-Wumms – die eigene Bevölkerung und Industrie schützen zu wollen, löst Irritationen bis Kopfschütteln aus.
Dass Macrons Regierung ihrerseits zum Beispiel die Inflation mit horrenden Subventionen künstlich klein hält, ohne die geringste Vorstellung, wie das in Zukunft refinanziert werden soll, wird nicht als Teil des Problems betrachtet. Die derzeitigen Streiks belegen im Gegenteil, dass ein großer Teil der Franzosen die Unterstützungsmaßnahmen für die individuelle Kaufkraft noch für deutlich zu gering erachtet.
Wie immer man auch die Politiken aus dem Kanzleramt und dem Élysée bewerten mag, ihre Unterschiedlichkeit belegt, wie notwendig die Regierungskonsultationen gerade jetzt gewesen wären, und wenn auch nur, um Argumente und Positionen auszutauschen.
In Scholz’ Prager Rede fehlte jeder Hinweis auf die deutsch-französischen Rüstungsprojekte
Ein zweites Feld von Differenzen existiert in der Militär- und Verteidigungspolitik. Rund um das FCAS-System, das bemannte und unbemannte Kampfflugzeuge miteinander verkoppeln soll, gibt es weiter erhebliche Differenzen. Die liegen allerdings viel weniger auf Regierungsebene – wie alle Beteiligten auf beiden Seiten inklusive der Grünen bekunden –, sondern bei den Firmen. Die befinden sich miteinander in hartem Clinch. Dassault weigert sich weiterhin standhaft, Airbus Einblicke in die firmeneigene Computertechnik zu gewähren. Umso erstaunlicher, als es sich bei Airbus Defence und Space keineswegs um ein rein deutsches Unternehmen handelt. Auch in diesem Problembereich gilt: Wäre das Interesse beider Regierungen an der Zusammenarbeit stärker, stiege wohl auch der Druck auf die Unternehmen, an gemeinsamen Lösungen zu arbeiten.
Mit seiner Prager Rede hat Olaf Scholz die programmatische Antwort auf Macrons berühmte Sorbonne-Rede „Initiative für Europa“ von 2017 gegeben. Fünf Jahre zu spät. Der Vorwurf geht allerdings an seine Vorgängerin. Scholz‘ Rede ist Frankreich nur in einem engen Kreis von Personen wahrgenommen worden, auch weil sie nicht gut genug angekündigt war.
Inhaltlich ist die Rede durchaus positiv bewertet worden, besonders das Bekenntnis zum Aufbau einer unabhängigen europäischen Verteidigungspolitik. Bis eben auf die Tatsache, dass jeder Hinweis auf die deutsch-französischen Rüstungsprojekte fehlte. Unverständnis ist ein schwaches Wort für die Reaktionen. Warum hat Scholz nicht darüber geredet, fragen sich nicht nur die üblichen Deutschlandkritiker. Die zudem erkennbaren deutschen Sympathien für ein israelisches Raketenabwehrsystem (gegenüber einer europäischen Eigenentwicklung) nähren weitere Zweifel am Willen zur Zusammenarbeit. Dass Frankreich selbst am von Scholz initiierten Raketenschild um der eigenen Unabhängigkeit willen nicht teilnehmen will, wird geflissentlich übersehen.
Es knirscht vernehmlich. Praktisch ist das eine Aufgabenstellung für Macron und Scholz bei ihrem Treffen kommenden Mittwoch. Und erst recht eine für die Regierungskonsultationen im Januar. Ein Treffen ohne sichtbare Fortschritte und inhaltliche Vereinbarungen wäre wirklich ein Problem.
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