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Sebastian Blomberg, Michael Wittenborn und Thorsten Merten in „Curveball – Wir machen die Wahrheit“

Filme der Woche - Von Biowaffen, Pilzen und anderen Arschbomben

Donnerstag ist Kinotag. Unser Filmkritiker Dieter Osswald hat für Sie die wichtigsten Neustarts der Woche gesichtet. Sein Fazit: zwei Highlights und ein Flop.

Autoreninfo

Dieter Oßwald studierte Empirische Kulturwissenschaft und schreibt als freier Journalist über Filme, Stars und Festivals. Seit einem Vierteljahrhundert besucht er Berlinale, Cannes und Co. Die lustigsten Interviews führte er mit Loriot, Wim Wenders und der Witwe von Stanley Kubrick.

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Curveball

„Eine wahre Geschichte. Leider!“ heißt es im Vorspann unheilschwanger. Die Wahrheit will auch BND-Biowaffenexperte Wolf (Sebastian Blomberg) wissen, der sich 1997 im Irak auf die Suche nach Massenvernichtungswaffen macht. Die UN-Mission wird ergebnislos abgebrochen, womit auch des Agenten Affäre mit der CIA-Kollegin endet. Zwei Jahre später wird der Wissenschaftler in die Chefetage der BND-Zentrale zitiert. In einem Asylbewerberheim, so berichtet Abteilungsleiter Schatz, behaupte der Iraker Rafid Alwan, er wäre in seiner Heimat an der Produktion von Anthrax-Erregern beteiligt gewesen. Mehr noch: Er wüsste zudem von einem tödlichen Unfall mit Biowaffen.

Gemeinsam mit Verbindungsoffizier Retzlaff reist Wolf sofort nach Zirndorf, um den vermeintlichen Informanten zu treffen. Beim Verhör im schäbigen Zimmer der BND-Außenstelle gibt sich der Iraker in Plauderlaune. Für sein Wissen freilich fordert er aus Sicherheitsgründen eine eigene Wohnung sowie einen deutschen Pass. Die Erzählungen des Informanten klingen indes eher blumig als verifizierbar. Eine Blutprobe von Rafid mit Anti-Körpern könnte den Beweis für Milzbrand-Erreger bringen. Doch allein die Amerikaner verfügen über eine zuverlässige Analyse-Technologie. Für Abteilungsleiter Schatz ist das keine Option, schließlich will seine Behörde der CIA-Konkurrenz einen „Knaller“ präsentieren.

Beim BND knallen die Korken

Mit einer schlichten Zeichnung kann Informant „Curveball“ die Agenten doch noch überzeugen: Sie zeigt, wie LKW als mobile Labore eingesetzt werden, weshalb Beweise von den UN-Kontrolleuren nie gefunden werden konnten. Beim BND knallen die Korken, Kanzler Schröder dankt persönlich. Der Katzenjammer ist groß, als ein Satellitenfoto die ganze Geschichte als Fälschung entlarvt. Nach den Terroranschlägen vom 11. September ändert sich die Lage dramatisch. Den USA kommt der angebliche Beweis sehr gelegen. Außenminister Colin Powell präsentiert vor der UN die Fälschung als Grund für einen Angriff auf den Irak – und Joschka Fischer schweigt dazu. Der mittlerweile beurlaubte Wolf ist entsetzt. „Was gibt dir das Recht, die Fakten zu verdrehen?“ will er von seiner CIA-Freundin wissen. „Wir machen die Fakten!“ bekommt er als kühle Antwort.

„Die Wahrheit löst sich auf“

Wie in der süffisanten Kapitalismus-Satire „Die Zeit der Kannibalen“ zeigt Regisseur Johannes Naber in dieser Polit-Posse ein gutes Gespür für gelungene Situationskomik und exzellente Dialoge. Sein abermaliger Hauptdarsteller Sebastian Blomberg gibt den besorgten Biowaffenexperten mit spürbarem Vergnügen. Als naiver Tor gerät er unaufhaltsam unter die Räder von Machtinteressen und Intrigen. Ständig im Zugzwang, kämpft Agent Wolf wie ein Löwe gegen die Lügen. Selbst im Schlafanzug trotzt er wacker Schnee und Eis, um mit einem spektakulären Slapstick-Einsatz per Schlitten den entführten Informanten aus seinem geheimen Versteck zu befreien.

„Die Wahrheit löst sich auf und alle finden es normal!“, zieht der geknickte Held frustriert Bilanz. Für eine smarte Satire ist diese Erkenntnis ein gefundenes Fressen. Bei allem Spaß geht der Ernst des Themas nie verloren. „Der damalige Kanzleramtschef ist heute Bundespräsident“, meldet der Nachspann nüchtern. Für Schauspiel-Star Fahri Yardim ein gelungener Einstand als Produzent. Auf den nächsten Streich von Johannes Naber kann man nach diesem Komödien-Coup allemal gespannt sein.  

Fazit: bravouröser Polit-Thriller über perfide Machtphantasien, made in Germany  

 

Fantatische Pilze

Willkommen im Reich der Mykologie. Bereits die Fakten wirken atemberaubend. Mehr als 3,8 Millionen Spezies von Pilzen existieren, das sind sechsmal mehr, als es Pflanzen gibt. Unter jedem Schritt im Wald finden sich 500 Kilometer Pilzfäden, mit jedem Atemzug nehmen wir zehn Sporen auf. Manche Pilze leuchten grün in der Nacht, ein Hallimasch aus Oregon hält einsamen Weltrekord: Sein Gewicht wird auf 600 Tonnen geschätzt, das Alter auf gut 2.000 Jahre.

Zum Staunen bietet sich reichlich Gelegenheit in dieser Doku, auch visuell verblüfft dieses cineastische Pilzgericht mit famosen Bildern. Regisseur Louie Schwartzberg gilt als Zeitraffer-Pionier, der bereits vor 40 Jahren auf 35 Millimeter mit dieser Technik begann. Nicht nur die Pilze lässt Schwartzberg in Sekundenschnelle wachsen, auch das unterirdische Myzel erweckt er spezialeffektvoll zum Leben: Nach Aufnahmen aus dem Rasterelektronenmikroskop entstanden kunstvolle Animationssequenzen. Bei so viel Raffinesse lässt sich darüber hinwegsehen, dass die süßliche Ich-Erzählerin mit aufdringlicher Naivität als dramaturgisches Mittel wenig überzeugend wirkt. Auch jenes Kapitel über halluzinogene Pilze gerät zur etwas langatmigen „Liebes Tagebuch“-Nummer mit Drogengeständnissen.

Illustrer Expertenreigen

Solch kleineren Macken steht eine überzeugende Haben-Seite gegenüber. Allen voran durch die Beiträge des renommierten Wissenschaftlers Paul Stamets, „dem bekanntesten Pilz-Experten der Welt“, wie das SZ-Magazin befand. Nach diesem Fungi-Fachmann wurde eigens der „Lieutenant Commander Paul Stamets“ in der CBS-Serie „Star Trek: Discovery“ benannt. Zum illustren Reigen der Experten gehören der New York Times-Kolumnist Michael Pollan, die Anthropologieprofessorin Anna Lowenhaupt Tsing, die Food-Journalistin Eugenia Bone sowie der Mediziner Andrew Weil.

Sie alle tragen aus ganz unterschiedlichen Richtungen zum faszinierenden Pilz-Puzzle bei: Wie funktioniert dieser Verdauungstrakt des Waldes, über den nach jüngsten Erkenntnissen auch Bäume untereinander kommunizieren? Wie gelingt dem Lebewesen der erstaunliche Einsatz gegen Ölteppiche? Wenn der Löwenmähnen-Pilz es schafft, Nerven nachwachsen zu lassen, könnte das zur Hoffnung im Kampf gegen Alzheimer werden? Das Füllhorn des Wissens gerät derart üppig, dass jenes Buch zum Film von Paul Stamets als eine sinnvolle Ergänzung erscheint. Das große Staunen gibt es freilich nur auf der großen Leinwand.     

Fazit: gelungene Naturdoku mit eindrucksvollen Bildern 

 

Beckenrand Sheriff

Milan Peschel ist doch immer perfekt gut. Sebastian Bezzel als knurriger Provinz-Cop in den Eberhofer-Krimis unschlagbar. Marcus Rosenmüller gilt als bayerisches Regietalent. Das Thema Freibad schließlich bietet ein perfektes Biotop für Pointen. Doch denkste: Aller guten Zutaten zum Trotz entpuppt sich diese Komödie als erstaunlich unwitziger Klamauk, bei dem sämtlicher Spaß überraschend schnell baden geht. Wer den Trailer kennt, wird kaum weitere Gags entdecken.

Im Zentrum der öden Spaß-Parade steht ein spießiger Schwimmmeister, dem ein Asylbewerber als neuer Mitarbeiter zugeteilt wird. Der kann zwar gar nicht schwimmen, hat es jedoch faustdick hinter den Ohren. Als das kleine Freibad von großen Bau-Löwen bedroht wird, will die vertrottelte Wasserballmannschaft das Unheil verhindern. So dünn die einfältige Story, so einfallslos und gelangweilt plätschert sie vor sich hin. Timing, Dialoge, Überraschungen? Alles abgesoffen in diesem Stümper-Stück aus dem Nichtkönner-Becken.

Fehlt nur noch die Torte im Gesicht

Als ranziger Running Gag scheitert ein Turmsprung chronisch an der Feigheit des Angebers. Gleichfalls zum Gähnen gerät ein Baustellen-Sketch aus der Klamottenkiste. „Das Leben ist wie ein Freibad“ predigt der Pfarrer. Fehlt nur noch die Torte im Gesicht. An diesem Film funktioniert einfach ganz und gar nichts. Regelrecht peinlich präsentiert sich jenes aufgepfropfte Asylanten-Drama, welches plump und bieder noch ein bisschen politische Korrektheit bieten will – und die Figuren zu bloßen Stichwortgebern reduziert. Bei derart geringer Story-Substanz können weder ein Peschel noch der Bezzel etwas retten. Allenfalls als unfreiwillig komisch lässt sich diese Kino-Arschbombe ertragen.  

Fazit: ziemlich seichte Klamotte in einem Freibad 

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Thorwald Franke | Do., 9. September 2021 - 16:37

Genau das sage ich schon seit Jahren: Schröder und Fischer wussten natürlich um die Qualität dieser Information, schwiegen aber dazu.

Die Qualität der Information war allerdings nicht ganz so schlecht wie hier behauptet, denn es gab keinen klaren Gegenbeweis. Die Information war einfach vage und durch keine zweite Quelle bestätigt. "uncorrobated" auf Englisch.

Und der Schmuh soll auf CIA-Ebene geschehen sein. Denn Colin Powell, der sich dafür entschuldigt hat, dass es nicht stimmte, was er sagte, sagte klar, dass er das nicht wusste. Auch andere Insider der Bush-Regierung, die Bush verrissen haben, haben nicht den Vorwurf erhoben, dass die Regierung das gefälscht hätte. Es muss der Geheimdienst gewesen sein, der sich damit unzulässig verselbständigt hatte.