- Der Krieg würgt die Wirtschaft ab
Der Reformprozess in der Ukrainer gestaltet sich schwieriger als erwartet. Daran ist nicht nur der Konflikt im Osten Schuld. Die schwere Wirtschaftskrise vertreibt die Maidan-Euphorie
Die Revolution erreichte Kiew Otto Hieber im März. Der Manager ist bei der Frechener Quarzwerk-Gruppe für die Produktion in der Ukraine zuständig. Plötzlich hatte er den aufgeregten Geschäftsführer der ukrainischen Kaolin-Grube am Hörer. Ein zwielichtiges Volkskomitee, angebliche Maidan-Unterstützer, wolle eigene Vertreter in die Leitung der Firma hiefen, sagte er. Die Deutschen hatten Glück: Die Belegschaft und die Dorfbewohner stellten sich auf die Seite der rechtmäßigen Eigentümer. Trotz der plötzlichen Revolutionswirren um sein Unternehmen klang Hieber damals optimistisch. Von der Übergangsregierung erhoffte er sich vor allem rechtsstaatliche Reformen.
Monate später streift die akute Lage im Land wieder die Produktionsstätte der Frechener. Kürzlich mussten sich mehrere Mitarbeiter bei den Behörden melden, wegen eines möglichen Einsatzes beim Konflikt im Osten des Landes. Drei junge Männer aus dem Ort, wo das deutsche Unternehmen ansässig ist, wurden zur Armee eingezogen. Das ganze Dorf sammele nun Geld, damit sie sich anständige Ausrüstung und kugelsichere Westen leisten können.
„Die Stimmung ist derzeit bedrückt, weil viele Mitarbeiter an den Konflikt im Osten des Landes denken“, sagt Hieber. Und die Reformen? Die Regierung hat offenbar gerade andere Sorgen. „Zwar gehören die willkürlichen Kontrollen und das Chaos bei der Erstattung von Steuervorauszahlungen nun der Vergangenheit an“, erklärt der Manager. Beides gehörte zu den meistbeklagten Problemen von Investoren im Land. Ob das aber an Reformen liege oder die regionalen Beamten sich einfach noch nicht wieder trauten, sei schwer zu sagen.
Dennoch hat Hiebers Unternehmen Glück, weil die meisten Kunden entweder im Ausland sind oder für den Export produzieren. Denn die ukrainische Wirtschaft steckt derzeit in einer tiefen Krise. Um fünf Prozent sackte des BIP im zweiten Quartal in die Tiefe. Die Landeswährung Hrywna stürzte kürzlich auf ihr historisches Rekordtief, während die Inflation auf 12 Prozent hochschnellte.
Ökonomie als Selbstbedienungsladen
Schon unmittelbar nach der Revolution im Frühjahr war klar, dass die Misswirtschaft der vergangenen Jahre, nicht nur der Ära Janukowitsch, sondern auch aus der Zeit seiner Vorgänger Juschtschenko und Kutschma die neuen Machthaber vor riesige Herausforderungen stellt. Die Ökonomie des Landes mutierte zu einem Selbstbedienungsladen für Politiker und Oligarchen. Der wichtigste Geldbringer des Landes sind die größtenteils aus Sowjetzeiten stammende Stahl- und Kohleindustrie. Umgekehrt blieb das Land abhängig von Importen, nicht nur von Gas aus Russland, sondern auch von Maschinen und Autos, Chemikalien für Industrie und Landwirtschaft. Das miserable Investitionsklima machte sich immer mehr bemerkbar. Beinahe zwei Jahre steckt die Ukraine nun schon in einer Rezession. Hinzu kommt, dass Janukowitschs Regierung die Staatsfinanzen durch den künstlich gestützten Kurs der Hrywna und durch zahlreiche Subventionen, sei es für die Heizkosten der Haushalte oder für die Kohlegruben in seiner Heimatregion Donbas, ruinierte.
Seit Ende Februar ruhen nun die Hoffnungen auf Premierminister Arsenij Jatzenjuk. Gegenüber dem IWF verpflichtete er sich, die Staatsfinanzen in Ordnung zu bringen. Im Gegenzug rettete der Internationale Währungsfonds die Ukraine mit einem Kredit vor der Staatspleite. Fünf Monate später attestieren Experten, wie etwa die Ökonomen der „Deutschen Beratergruppe“, die im Auftrag der Bundesregierung Kiew in makroökonomischen Fragen berät, Jatzenjuk erste Erfolge. Unpopuläre Maßnahmen wie die Abwertung der Hrywna, die Streichung von zahlreichen Subventionen, Steuererhöhungen und gedrosselte Rentensteigerungen haben dazu geführt, dass das Budget-Defizit statt der befürchteten 12 Prozent nur 8,5 beträgt. Dank stark eingebrochener Importe erzielte das Land das erste Mal seit zehn Jahren einen Exportüberschuss.
Die Menschen in Kiew, die den Machtwechsel getragen haben, weil sie die allgegenwärtige Korruption und Willkür leid hatten, spüren diese Erfolge kaum. Stattdessen macht sich die Wirtschaftskrise auch in der wohlhabenden Hauptstadt Kiew bemerkbar. In den teuren Shoppingmalls stehen erste Läden bereits leer, der Einzelhandel beklagt Umsatzeinbrüche, während die Reallöhne im Jahresvergleich um mehr als fünf Prozent schrumpften. „Die Menschen werden langsam ungeduldig, weil der Kampf gegen die Korruption nur langsam voranschreitet, während sie zu leiden haben“, meint Dimitri Sologub, Analyst der Raiffeisenbank in der Ukraine. Noch hätten die Menschen genug Reserven, zumal die Statistiken dank großer Schattenwirtschaft die Lage etwas schlechter darstellen als sie tatsächlich sei. Die Optimisten in Kiew werden allerdings weniger. Laut neuesten Umfragen der ukrainischen Research and Branding Group sehen derzeit fast 40 Prozent der Hauptstädter ihr Land nicht mittendrin, sondern erst am Anfang einer großen Krise. Knapp die Hälfte klagte im vergangenen Monat über Einkommenseinbußen.
Die Nervosität in Kiew steigt. Als kürzlich das ukrainische Parlament über die neuen Lustrationsgesetze abstimmte, die den Staatsapparat von Vertretern des alten Systems freihalten sollten, demonstrierten vor dem Parlamentsgebäude mehrere Hundert Menschen. Die fürchteten, das Parlament, das noch zu Zeiten von Janukowitsch gewählt wurde, könnte das Gesetz abschmettern. Das Parlament stimmt für das Gesetz und bescherte den Anhängern der Maidan-Bewegung zumindest einen erneuten Teilerfolg.
Wie weit der Weg für die Regierung noch ist, zeigt etwa auch die Ernüchterung, die sich unter den Unternehmern des Landes breitmacht. Der Unternehmensverband European Business Association misst regelmäßig die Stimmung im Land. Während alle denkbaren Stimmungsbarometer nach der Revolution im Frühjahr in die Höhe schnellten, macht sich nun zur Jahresmitte die erste Ernüchterung breit. So ist der Anteil jener, die glauben, dass sich das Investitionsklima in den kommenden drei Monaten verbessern werde, von 57 auf 38 Prozent gesunken. Gleichzeitig sagten drei Viertel der EBA-Mitglieder, dass die Bedingungen in den vergangenen Monaten entweder gleich geblieben oder sich gar noch weiter verschlechtert haben.
Otto Hieber gehört nach wie vor zu den Optimisten, wenn es um die langfristigen Perspektiven geht. Ein Wendepunkt könne etwa die mit großer Wahrscheinlichkeit im Herbst anstehende Parlamentswahl sein. „Das Wichtigste ist jetzt aber, dass der Konflikt im Osten beigelegt wird“, so der Manager.
Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.