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Spitzelhauptstadt - „Wien ist wie ein europäisches Guantanamo“

Deutschland wird beschattet. Von Wien aus. In seinem Buch „Die Schattenstadt - Was 7.000 Agenten über Wien aussagen“ beschreibt der Autor die undurchsichtigen Verflechtungen in der österreichischen Hauptstadt

Autoreninfo

Petra Sorge ist freie Journalistin in Berlin. Von 2011 bis 2016 war sie Redakteurin bei Cicero. Sie studierte Politikwissenschaft und Journalistik in Leipzig und Toulouse.

So erreichen Sie Petra Sorge:

Herr Bobi, in Ihrem Buch behaupten Sie, dass Wien die ideale Stadt für Spione ist. Warum das?
Wien ist ein Eldorado für Geheimdienste, ein geradezu traditionell erwünschtes „Fremdenverkehrs“-Phänomen. Sie müssen wissen: Jeder zweite der rund 17.000 in Wien akkreditierten Diplomaten hat zumindest Verbindungen zu einer oder mehreren Geheimdienstorganisationen. Insbesondere die Amerikaner, aber auch die Russen, haben in Wien seit dem Kalten Krieg ein Heimspiel. Für die Amerikaner ist Wien so etwas wie ein europäisches Guantanamo, wo vieles erlaubt ist, was anderswo nicht geht.

Das ist aber ein derber Vergleich. Wie meinen Sie das?
Die Amerikaner betreiben Guantanamo als quasi rechts-neutrales Gebiet, wo sie Dinge tun dürfen, die auf US-Staatsgebiet illegal wären. Im vorliegenden Fall dürfen sie in Österreich Dinge tun, die in Deutschland illegal wären. Sie operieren von Österreich aus, wo Spionage von Ausländern gegen Ausländer erlaubt ist. Die Arbeitserleichterungen für Geheimdienstler weltweit sind in diesem Land ohne Vergleich.

Der deutsche BND-Agent, der für die CIA spitzelte, soll seine Anweisungen von der US-Botschaft in Wien erhalten haben. Was wissen Sie darüber?
Über den konkreten Herrn weiß ich auch nur, was in den Medien behauptet wird. Aber Sie können davon ausgehen, dass er nicht der einzige deutsche Informant ist und dass er auch nicht erst gestern angeheuert wurde, nur weil man erfahren wollte, wie man in Deutschland mit der NSA-Geschichte umgeht.

Wusste die österreichische Regierung vom Ausspionieren der Bundesrepublik?
Das glaube ich kaum. Die Amerikaner bedienen sich zwar seit jeher beim österreichischen Heeresnachrichtenamt, dem militärischen Geheimdienst, aber sie selbst geben praktisch nichts her. Dass die Amerikaner die österreichische Regierung darüber informieren, wen sie ausspionieren, schließe ich aus. Und dass die Österreicher die Amerikaner bespitzeln, ebenfalls. Das hat sich seit dem Kalten Krieg kaum verändert. Die österreichische Regierung hat kürzlich in Person der Innenministerin Johanna Mikl-Leitner behauptet, Spionage-Vorwürfe untersucht, aber nichts gefunden zu haben. Auf Nachfrage musste sie allerdings einräumen, bei den Amerikanern nicht einmal nachgefragt zu haben. Das ist typisch.

Aber Deutsche und Österreicher tauschen sich schon aus?
Also Kontakt haben sie mit Sicherheit mehr als man denken möchte. Doch die Leute vom BND dürften ja auch nicht auf den Kopf gefallen sein und primär an der Durchsetzung ihrer eigenen Interessen arbeiten. Das alles läuft in einem doppelbödigen Spannungsfeld gefährlicher Freundschaften ab.

Warum wurde ausgerechnet Wien zur europäischen Agentenmetropole?
Der Wiener hat durch die Jahrhunderte seiner politischen und psychosozialen Entwicklung etwas wie eine Volkskultur der Spionage hervorgebracht. Was Geheimdienste professionell machen, macht der Wiener schon viel länger privat: Das Geheimhalten eigener Verhältnisse, das Herauslocken der geheimgehaltenen Verhältnisse des anderen, das scheibchenweise „Weiterverkaufen“ dieser Geheimnisse gegen gesellschaftlichen Profit – das ist einfach eine ausgeprägte Ur-Eigenschaft der Wiener Gesellschaft. Der Wiener hat daher ein tiefsitzendes Verständnis für Personen, die etwas zu verbergen haben und er versteht es meisterhaft, diese Personen zu bedienen und dabei wieder Profit zu machen. Deshalb gibt es auch viele Spione, die Wien dermaßen lieben, dass sie selbst nach ihrer Pensionierung hier bleiben.

Woher haben Sie überhaupt diese Informationen zu Ihrem Buch - schließlich arbeiten „Geheimdienste“ doch im Verborgenen?
Da haben Sie Recht. Aber es gibt hochqualifizierte Beobachter in der Polizei und den Grazer Spionageforscher Siegfried Beer, von dem die Schätzung auf 7.000 Agenten stammt. Für alle, vor allem auch für die österreichische Staatspolizei, ist frei ersichtlich und von niemandem dementiert, dass praktisch sämtliche ausländischen Botschaften in Wien personell massiv überbesetzt sind, nur um Platz für Geheimagenten zu schaffen. Hierzulande gibt es aus politischen Gründen keine Ernst zu nehmende Spionageabwehr, auch, weil man Österreich als „diplomatische“ Drehscheibe aufrecht erhalten möchte. Das gibt dem Land Bedeutsamkeit und hat auch wirtschaftliche Effekte.

Und die Österreicher stört das gar nicht? In Deutschland sind die Bürger zurecht erzürnt über die Spitzeleien.
Die deutschen Bürger sind erzürnt, weil sie klare Verhältnisse und saubere Rechnungen wünschen. Die Österreicher aber beschreiten den „österreichischen Weg“, der zwischen allen Fronten hindurchführt und nirgendwo anstreift. Da ist allzu viel Klarheit weder erwünscht, noch dienlich. Das ist ein gut funktionierendes Erfolgsrezept für dieses Land.

Erwarten Sie sich noch weitere Skandale für Deutschland?
Was die Amerikaner alles über die Deutschen wissen, kann man seriöser Weise nicht sagen. Aber selbstverständlich gibt es da viel mehr als jetzt bekannt wurde. Bekannt werden meist nur Unfälle. Aber wie wir wissen, gibt es zwischen den relativ seltenen Unfällen reibungslosen Verkehr.

Wird es nach dem Agentenskandal - und auch den Enthüllungen in Ihrem Buch - nun auch Konsequenzen für Wien bzw. die österreichische Regierung geben?
Das kann ich mir nicht vorstellen. Aus österreichischer Sicht ist ja gar nichts passiert. Das ist ja alles ganz normal.

Fotos: picture alliance und Ecowin (Cover und Autorenbild), Mitarbeit: Annika Schmitz

 

Emil Bobi: Die Schattenstadt - Was 7.000 Agenten über Wien aussagen. Ecowin, 2014, 208 Seiten, 21,95 Eur

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